Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Sabine Dieckmann

Tendenz zu verschärfter Haftung für Anlageberater nicht zu erkennen

Banken müssen nicht generell auf das Risiko eines Totalverlusts hinweisen

Tendenz zu verschärfter Haftung für Anlageberater nicht zu erkennen

– Frau Dr. Dieckmann, müssen Banken in der Krise bei der Anlageberatung besondere Vorsicht walten lassen?Banken orientieren sich aufgrund gesetzlicher Vorgaben bei der Beratung von Anlegern grundsätzlich an den individuellen Bedürfnissen des Kunden und seiner Risikobereitschaft. Die derzeitige Krise hat dazu geführt, dass Kunden sehr viel kritischer Anlagemöglichkeiten hinterfragen und prüfen, ob sie bereit sind, für eine höhere Rendite auch ein höheres Risiko in Kauf zu nehmen. – Gibt es in der jüngeren Rechtsprechung Signale, dass vor dem Hintergrund der Krise die Haftung von Banken im Zusammenhang mit der Anlageberatung verschärft wird?Eine solche Tendenz lässt sich entgegen anders lautender Angaben von Anlegervertretern nicht erkennen. Vielmehr hält die Rechtsprechung an den Grundsätzen einer anlage- und anlegergerechten Beratung fest. Gerichte prüfen im Wege einer einzelfallbezogenen Ex-ante-Betrachtung, ob der Anlageberater zum Zeitpunkt des Anlagegesprächs aus damaliger Sicht ausreichende Risikohinweise erteilt hat. Sie berücksichtigen also, dass auch Banken die momentane Entwicklung des Marktes nicht vorhersehen konnten. – Haben Sie ein Beispiel? Jüngstes Beispiel ist das “Lehman-Urteil” des Landgerichts Frankfurt, welches herausgestellt hat, dass über das Bonitätsrisiko der Investmentbank Lehman zum Zeitpunkt des Anlagegesprächs nicht aufgeklärt werden musste, da deren Insolvenz damals nicht vorhersehbar war. – Müssen Banken immer über das Risiko eines möglichen Totalverlusts aufklären?Nein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass auf ein mögliches Totalverlustrisiko nur in bestimmten Fällen ausdrücklich hinzuweisen ist, beispielsweise wenn im Verkaufsprospekt durch die Darstellung von Risikobegrenzungsmaßnahmen das Risiko verharmlost wurde oder ein besonderer Anlass für eine zusätzliche Aufklärung besteht. In dem erwähnten Lehman-Urteil hielt das Gericht die im Prospekt enthaltenen Hinweise für ausreichend und daher eine zusätzliche Aufklärung im Beratungsgespräch nicht für erforderlich. – Welche Konsequenzen hätte die Forderung nach einer umfassenden Aufklärung des Kunden?Würde die Rechtsprechung diese Grundsätze aufgeben und stereotyp eine “allumfassende” Aufklärung unter Einbeziehung sämtlicher, auch unwahrscheinlicher Risiken fordern, wäre damit den Kundeninteressen gerade nicht gedient. Der Kunde, der kein eigenes Spezialwissen hat, wäre gar nicht mehr in der Lage, zwischen konservativen und riskanteren Anlageformen zu unterscheiden und damit eine für sich angemessene Risikoabwägung zu treffen. – Welche Anforderungen werden nun an eine anlage- und anlegergerechte Beratung gestellt?Eine anlagegerechte Beratung erfolgt unter Berücksichtigung allgemeiner Marktrisiken einerseits und spezieller Risiken des angebotenen Produkts andererseits. Die Anforderungen, die an die entsprechenden Risikohinweise gestellt werden, hängen dabei maßgeblich von der Bekanntheit des Anlageprodukts ab. Ein Beispiel: Während bei einer Anlage in Immobilienfonds eher davon auszugehen ist, dass sich auch der Anleger selbst über entsprechende Risiken informieren kann, müssen bei neuartigen Kapitalmarktprodukten bei der Anlageberatung unter Umständen verstärkt Risikohinweise erteilt werden, und zwar abhängig vom Kenntnisstand des Kunden. Die anlegergerechte Beratung berücksichtigt diesen Wissensstand des einzelnen Kunden sowie seine Risikobereitschaft und sein Anlageziel. – Wie weit geht eine Verpflichtung von Banken, sich regelmäßig über Brancheninformationsdienste zu unterrichten?Banken sind nicht verpflichtet, jede Art von Berichterstattung, insbesondere nicht in speziellen Brancheninformationsdiensten, auszuwerten. Der BGH hat in Fortsetzung seiner “Bond”-Rechtsprechung kürzlich entschieden, dass es ausreichend ist, wenn Banken die anerkannten überregionalen Wirtschaftsmedien kennen und entsprechend berücksichtigen. Diese Rechtsprechung ist zu begrüßen, da sie dem Umstand Rechnung trägt, dass Brancheninformationen oft Publikationen enthalten, die sich nicht mit der Meinung der Fachöffentlichkeit decken und sich später als falsch herausstellen.Dr. Sabine Dieckmann ist Partnerin bei White & Case im Büro Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.