Unternehmen kombinieren Malus und Clawback
Von Thomas Müller-Bonanni und Alice Jenner *)Am 1. Januar 2020 trat das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Europäischen Aktionärsrechterichtlinie (Arug II) in Kraft, am 20. März 2020 folgte eine grundlegende Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK 2020). Das Arug II verpflichtet börsennotierte Unternehmen, ihre Vorstandsvergütungssysteme künftig mindestens alle vier Jahre der Hauptversammlung zur Billigung vorzulegen. Der DCGK 2020 enthält zum Teil weitreichende neue Empfehlungen zur Vorstandsvergütung, die eine kritische Überprüfung der bestehenden Vorstandsvergütungssysteme erfordern.Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Empfehlung, sogenannte Malus- und/oder Clawback-Regelungen einzuführen. Unter Malus wird die Befugnis des Unternehmens verstanden, noch nicht ausgezahlte variable Vergütungsbestandteile, typischerweise den Jahresbonus (Short Term Incentive/STI) und/oder den auf mehrjähriger Bemessungsgrundlage ermittelten Bonus (Long Term Incentive/LTI), in bestimmten Fällen zu reduzieren. Unter Clawback wird die Befugnis verstanden, bereits ausgezahlte variable Vergütungsbestandteile zurückzufordern.Malus- und Clawback-Regelungen sind in der Praxis nicht neu. Kreditinstitute einer bestimmten Größenordnung sind bereits seit mehreren Jahren verpflichtet, Malus- und Clawback-Regelungen vorzusehen, unter anderem in ihren Vergütungssystemen für Organmitglieder. Auch eine Reihe von Dax-Unternehmen hat in den vergangenen Jahren Clawback- und Malus-Regelungen auf freiwilliger Basis eingeführt (z. B. Adidas, Allianz, SAP und BASF). Mit dem neuen DCGK wird jetzt erstmals eine entsprechende Empfehlung für alle börsennotierten Unternehmen ausgesprochen. Unternehmen, die der Empfehlung nicht folgen, müssen dies in ihrer jährlichen Entsprechenserklärung zum Kodex gegenüber dem Kapitalmarkt offenlegen und begründen.Die Pflicht, das Vorstandsvergütungssystem der Hauptversammlung zur Billigung vorzulegen, greift erst ab dem Jahr 2021. Zahlreiche börsennotierte Unternehmen haben jedoch bereits im laufenden Kalenderjahr ein entsprechendes Hauptversammlungsvotum herbeigeführt. Die internationale Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer hat dies zum Anlass genommen, anhand der Beschreibungen der Vergütungssysteme in den Einladungen zur Hauptversammlung auszuwerten, wie die betreffenden Unternehmen die Kodexempfehlung zu Malus- und/oder Clawback-Regelungen umgesetzt haben. Rückforderung gilt als StigmaDie Studie zeigt zunächst, dass die Vorstandsvergütungssysteme von mehr als zwei Dritteln der insgesamt 29 Unternehmen, die bis zum Stichtag 31. Juli 2020 ein Hauptversammlungsvotum herbeigeführt haben, sowohl Malus- als auch Clawback-Regelungen vorsehen, obwohl der DCGK 2020 seinem Wortlaut nach eigentlich nur entweder Malus- oder Clawback-Regelungen verlangt. Eine Kombination der beiden Instrumente ist allerdings sinnvoll, weil die Möglichkeit, in Bonusansprüche einzugreifen, ansonsten von zeitlichen Zufälligkeiten abhängig wäre, nämlich davon, ob ein Eingriffstatbestand während der laufenden Bonusperiode (dann Malus) oder erst nach der Auszahlung des Bonus (dann Clawback) bekannt wird.Eine weniger einheitliches Bild ergibt die Analyse der Eingriffstatbestände, also der Sachverhalte, die einen Eingriff in Bonusansprüche ermöglichen sollen. Begrifflich lassen sich insoweit Compliance-Regelungen und Performance-Regelungen unterscheiden. In die Kategorie Performance-Regelungen fallen alle Sachverhalte, die die rechnerische Richtigkeit der Bonusermittlung betreffen, also beispielsweise Berechnungsfehler oder fehlerhafte Bewertungsannahmen. Unter die Kategorie der Compliance-Sachverhalte werden alle Formen von Pflichtverletzungen gefasst, insbesondere Verstöße gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten eines Vorstandsmitglieds sowie Verstöße gegen Gesetze oder unternehmensinterne Verhaltensregeln. Entsprechende Compliance-Regelungen fanden sich in den Vorstandsvergütungssystemen von 22 der 29 untersuchten Unternehmen.Ganz überwiegend sehen die Vorstandsvergütungssysteme mit Compliance-Regelungen – mit Unterschieden im Detail – Qualifizierungen der Eingriffstatbestände vor. Teilweise wird eine “schwerwiegende”, “wesentliche” oder “erhebliche” Pflichtverletzung gefordert, teilweise auf eine “vorsätzliche oder grob fahrlässige” Pflichtverletzung abgestellt. All diesen Ansätzen gemein ist das Anliegen, die Eingriffsschwelle hinauszuschieben, was durchaus im Interesse des Unternehmens liegen kann. Die Qualifizierung der Eingriffstatbestände bewirkt, dass der Aufsichtsrat nicht mit einem überbordenden Prüfprogramm belastet wird, bei dem er jedwede auch noch so geringe und mitunter folgenlose Pflichtwidrigkeit (z. B. die fehlende Einholung einer Zweitunterschrift) untersuchen müsste. Vor allem aber vermeidet die Qualifizierung der Eingriffstatbestände eine Fehlincentivierung des Vorstands im Sinne eines Anreizes zu übergroßer Risikoscheu. Dieser Anreiz geht erfahrungsgemäß weniger von der Sorge um die Bonushöhe als von dem Stigma aus, das mit einer Rückforderung von Bonusansprüchen für das Vorstandsmitglied verbunden ist, zumal die Rückforderung künftig im jährlichen Vergütungsbericht offengelegt werden muss. Dass das Risiko einer Fehlincentivierung durchaus real ist, hat auch eine Studie der Universität Göttingen gezeigt, über die in der Ausgabe dieser Zeitung vom 26. Mai 2020 berichtet wurde. Bankenregulierung strengerMit der Qualifizierung der Eingriffstatbestände geht einher, dass ein wesentlicher Bereich des Vorstandshandelns von Eingriffen in die variable Vergütung ausgenommen ist, nämlich derjenige des Handelns im Rahmen der sogenannten Business Judgement Rule. Immer dann, wenn das Vorstandsmitglied eine unternehmerische Entscheidung auf angemessener Informationsgrundlage getroffen hat und hierbei vernünftigerweise annehmen durfte, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln, steht aktienrechtlich fest, dass keine Pflichtverletzung vorliegt. Damit scheidet dann auch ein Eingriff in Bonusansprüche aus.In der Bankenregulierung ist dies übrigens strenger. Dort verlangt das Aufsichtsrecht, dass Bonusansprüche auch dann ganz oder teilweise reduziert bzw. zurückgefordert werden können, wenn das Vorstandsmitglied ohne Pflichtwidrigkeit einen erheblichen Verlust verursacht. Aus Vorstandssicht ist dies doppelt misslich, weil die Bonusansprüche wegen der Auswirkungen des Verlusts auf die Zielerreichung ohnehin geringer ausfallen. Bei den auf mehrjähriger Grundlage ermittelten LTI-Ansprüchen wirkt sich dies noch mehrere Jahre lang aus.Ein uneinheitliches Bild zeigt sich bei den Clawback-Fristen, also der Frage, wie lange eine Rückforderung von Bonusansprüchen möglich sein soll. Mehr als die Hälfte der insgesamt 25 Unternehmen, deren Vorstandsvergütungssysteme eine Rückforderungsmöglichkeit vorsehen, machen insoweit keine Angaben. Soweit Angaben gemacht werden, reichen die Rückforderungszeiträume von einem bis zu fünf Jahren nach der Auszahlung bzw. zwei Jahre nach Beendigung des Dienstverhältnisses.Nur rund 40 % der untersuchten Unternehmen machen Angaben dazu, in welchen Bonuszeitraum eingegriffen werden kann, ob also im Fall der Aufdeckung eines Pflichtenverstoßes, der im Jahr 2021 begangen wurde, im Jahr 2023 in die variable Vergütung für das Jahr 2021 oder in die variable Vergütung für das Jahr 2023 eingegriffen werden kann. Hiermit ist die Frage der sogenannten Periodengerechtigkeit angesprochen, die von den Unternehmen, die hierzu Angaben machen, im Sinn eines Eingriffs in das Jahr oder die Bemessungsperiode der Pflichtverletzung, nicht in das Jahr der Aufdeckung beantwortet wird.Kaum ein Unternehmen macht Angaben zu der Frage, ob Bonusansprüche brutto oder netto zurückgefordert werden können. Die Bankenregulierung lässt eine Beschränkung der Rückforderung auf den Nettobetrag zu. Allerdings wird sich das Unternehmen bei dieser Gestaltung Steuererstattungsansprüche des Vorstandsmitglieds gegen den Fiskus regelmäßig abtreten lassen wollen. *) Dr. Thomas Müller-Bonanni ist Partner und Dr. Alice Jenner Counsel bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Düsseldorf.