Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Patrick Nordhues

Urteil des Landgerichts Frankfurt bringt Unsicherheit für Akquisitionen

Mittelbare Folgen des Erwerbs zu beachten - Commerzbank-Entlastung nichtig

Urteil des Landgerichts Frankfurt bringt Unsicherheit für Akquisitionen

– Herr Dr. Nordhues, das Landgericht (LG) Frankfurt am Main hat in seinem Urteil vom 15. Dezember 2009 (Az. 3-5 O 208/09) die Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand der Commerzbank für das Geschäftsjahr 2008 für nichtig erklärt. Was ist der Hintergrund des Rechtsstreits?Mehrere Aktionäre hatten die Entlastungsbeschlüsse vor dem Hintergrund der Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank angefochten. Diese wurde seinerzeit ohne Beschlussfassung der Hauptversammlung der Commerzbank durchgeführt. Bekannterweise führte die Übernahme dazu, dass die Commerzbank staatliche Hilfe in Anspruch nehmen musste. Die Kläger beriefen sich darauf, dass Vorstand und Aufsichtsrat bei dem Erwerb der Dresdner Bank ihre kaufmännischen Sorgfaltspflichten nicht beachtet und die Commerzbank in eine wirtschaftliche Schieflage geführt hätten. Zudem hätte für die Übernahme die Zustimmung der Hauptversammlung eingeholt werden müssen.- Wie begründet das Gericht seine Entscheidung?Das Gericht geht von einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit für die Übernahme der Dresdner Bank aus. Eine solche besteht nach der sogenannten “Holzmüller”-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wenn “tief in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre und deren Vermögensinteressen eingegriffen wird”. Dies sei vorliegend der Fall gewesen, da der Erwerb der Dresdner Bank zu einer wesentlichen Veränderung der Unternehmensstruktur der Commerzbank geführt habe. Insbesondere habe die Erhöhung des Verschuldungsgrads der Commerzbank dazu geführt, dass diese staatliche Hilfe in Anspruch nehmen musste, unter anderem mit der Folge, dass der staatliche Rettungsfonds Soffin (Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung) Großaktionär wurde und die Commerzbank für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 keine Dividenden ausschütten konnte.- Der BGH hatte aber doch der Mitwirkung der Hauptversammlung bei Käufen und Verkäufen enge Grenzen gesetzt. Setzt das LG Frankfurt neue Maßstäbe an?Insbesondere in den beiden “Gelatine”-Entscheidungen im Jahre 2004 hatte der BGH klargestellt, dass ungeschriebene Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung nur ausnahmsweise und in engen Grenzen anzuerkennen sind. Die Entscheidungen wurden bislang so interpretiert, dass qualitativ hierzu eine sogenannte “Mediatisierung” des Einflusses der Aktionäre erforderlich ist, zum Beispiel in Form einer Verlagerung von Gesellschaftsvermögen auf nachgelagerte Beteiligungsgesellschaften. Zudem musste die Maßnahme in quantitativer Hinsicht eine dem Holzmüller-Fall (betroffen waren damals 80 % des Gesamtvermögens der Gesellschaft) vergleichbare Erheblichkeitsschwelle erreichen. Das LG Frankfurt am Main löst sich von diesen Grundsätzen und stellt eine Gesamtbetrachtung an, bei der die Veränderung der Unternehmensstruktur im Vordergrund steht.- Welche Folgen hat das Urteil für die betroffene Bank?Kompetenzverletzungen berühren die Vertretungsmacht des Vorstands und damit geschlossene Verträge über den Erwerb der Dresdner Bank grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme gilt jedoch für Fälle, in denen der Kompetenzverstoß für den Vertragspartner evident war, das heißt massive Verdachtsmomente für eine Kompetenzüberschreitung bestanden. Zudem ist zu befürchten, dass Aktionäre der Commerzbank auf Rückabwicklung der Transaktion beziehungsweise Schadenersatz klagen.- Was haben Unternehmen, die Portfolioänderungen planen, im Licht dieses Urteils zu beachten?Für Beteiligungsveräußerungen ist weitgehend anerkannt, dass diese nicht der Holzmüller- bzw. Gelatine-Rechtsprechung unterfallen. Sollte die Rechtsprechung des LG Frankfurt am Main Bestand haben, ist für Beteiligungserwerbe wie im vorliegenden Fall zukünftig zu beachten, dass nicht allein die Mediatisierung des Aktionärseinflusses bzw. die Überschreitung bestimmter Schwellenwerte für die Frage einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit maßgeblich ist. Auch mittelbare Folgen müssten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung genau untersucht werden. Das Urteil des LG Frankfurt führt somit zu einer erhöhten Rechtsunsicherheit bei Unternehmenskäufen.—-Dr. Patrick Nordhues ist Rechtsanwalt bei McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP in Düsseldorf. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.