RECHT UND KAPITALMARKT

Urteil heizt Diskussion über Cum-ex neu an

Zivilgerichtliche Entscheidung des Landgerichts Frankfurt erschwert strafrechtliche Vermögensabschöpfung

Urteil heizt Diskussion über Cum-ex neu an

Von Thomas Asmus und Martin Werneburg *)Das jüngst von der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen VW verhängte Bußgeld in Höhe von 1 Mrd. Euro hat ein Schlaglicht auf ein staatliches Instrument geworfen, das bei der Aufarbeitung von Cum-ex-Geschäften schon seit Monaten massive Anwendung findet: Die ordnungswidrigkeiten- und strafrechtliche Vermögensabschöpfung, also die Einziehung von “Taterträgen” durch den Staat. Die Strafverfolgungsbehörden setzen dieses Instrumentarium in Cum-ex-Fällen ein, um die Rückgewinnung gegebenenfalls mehrfach erstatteter oder angerechneter Kapitalertragsteuer, die von der betreffenden Aktiengesellschaft nur einmal einbehalten und an das Finanzamt abgeführt wurde, zu betreiben. Den Finanzämtern steht dieses Instrumentarium nicht zur Verfügung, ihnen bleiben die Mittel der Abgabenordnung, um gegebenenfalls zu Unrecht gewährte Kapitalertragsteuer im Nachhinein abzuerkennen. Während es bei VW auf den ersten Blick erklärungsbedürftig ist, warum der Staat Taterträge in Milliardenhöhe soll abschöpfen können, wird diese Frage bei Cum-ex-Sachverhalten kaum gestellt. Denn in der allgemeinen Wahrnehmung holt sich der Staat in Cum-ex-Fällen nur wieder, was ihm ohnehin zusteht, nämlich die Kapitalertragsteuer. Die Vermögensabschöpfung ist aber kein Instrument, um staatliche Schäden zu kompensieren. Sie basiert bei VW wie bei Cum-ex auf dem Gedanken, dass den Begünstigten von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten die gewonnenen Vorteile genommen werden sollen.Die Gründe für den vermehrten Einsatz der Vermögensabschöpfung in Cum-ex-Fällen sind vielfältig. Hintergrund mag zum Teil sein, dass man durch intensive Ermittlungsarbeit strafrechtlich relevante Zusammenhänge aufgedeckt hat und nun entsprechend verfolgt. Zum Teil dürfte aber auch eine Rolle spielen, dass die Finanzämter wegen eingetretener abgabenordnungsrechtlicher Verjährung die von ihnen seinerzeit erteilten Anrechnungsverfügungen oder Freistellungsbescheide, auf deren Grundlage Kapitalertragsteuer (gegebenenfalls mehrfach) angerechnet oder erstattet wurde, vielfach nicht mehr ändern können. Zeitfrage Das gilt nach derzeitigem Rechtsstand jedenfalls für Anrechnungsverfügungen, die im Jahr 2011 oder vorher ergingen und bei denen die Verjährung nicht durch Tätigkeit des Finanzamts binnen fünf Jahren aufgehalten wurde. Demgegenüber erlauben es die strafrechtlichen Einziehungsvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen, erlangte Vorteile noch für Taten abzuschöpfen, die vor 30 Jahren begangen wurden.Die Schwierigkeit der Vermögensabschöpfung besteht darin, dass sie mehr voraussetzt als die Feststellung einer zu Unrecht ergangenen Anrechnungsverfügung bzw. eines Freistellungsbescheides. Sie ist nur zulässig, wenn eine schwere Steuerhinterziehung der maßgebenden Akteure des Unternehmens, bei dem Vorteile abgeschöpft werden sollen, konstatiert werden kann. Und das heißt auch, dass ein entsprechender Vorsatz nachgewiesen werden muss. Das mag im Einzelfall gelingen. In der Praxis ist es aber häufig so, dass für einen Vorsatznachweis lediglich Indizien vorliegen und die involvierten Unternehmen bei der Interpretation dieser Indizien nicht selten gegenüber den Behörden keinen Wissensvorsprung haben. Das Damoklesschwert eines auf Vermögensabschöpfung gerichteten Bußgeldbescheides führt dann zu Einigungen, die faktisch eine (partielle) Vermögensabschöpfung bedeuten.Das kürzlich im Zivilrechtsstreit mit der Depotbank Société Générale zugunsten der Helaba ergangene Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (25. April 2018 – Az. 2 12 O 262/16) zeigt plastisch, dass Banken, die kurz vor oder am Dividendenstichtag Aktien deutscher Unternehmen von ausländischen Verkäufern gekauft und Kapitalertragsteuer angerechnet haben, Steuerhinterziehung schwerlich vorgeworfen werden kann, nur weil der Verkäufer bzw. seine Depotbank die Kapitalertragsteuer nicht abgeführt hat und es deshalb zu einer mehrfachen Anrechnung von Kapitalertragsteuer kam. Im Urteilsfall war die Verkäuferin der Aktien nach der Überzeugung des Gerichts zugleich das für den Verkäufer der Aktien den Verkaufsauftrag ausführende Kreditinstitut. Nachdem das Finanzamt – offenbar in noch unverjährter Zeit – der Helaba die Anrechnung der aus dem Aktienerwerb folgenden Kapitalertragsteuer im Nachhinein versagte, klagte diese gegen die Verkäuferin auf Schadenersatz und bekam Recht. Das Landgericht Frankfurt argumentiert, dass die Verkäuferin zur Abführung von Kapitalertragsteuer nicht nur aufgrund steuerlicher Vorschriften gegenüber dem Fiskus, sondern auch aufgrund kaufvertraglicher Nebenpflichten gegenüber der Käuferin verpflichtet gewesen sei. Weil sie diese Pflicht nicht erfüllt hatte und aus diesem Grund der Helaba die Steueranrechnung im Nachhinein versagt wurde, habe die Verkäuferin der Helaba den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Helaba konnte zudem zur Überzeugung des Gerichts darlegen, dass der Aktienerwerb für sie wirtschaftlich sinnvoll war und die Sinnhaftigkeit sich nicht daraus ergab, dass die Vorteile einer mehrfachen Steueranrechnung realisiert und zwischen den Kontrahenten aufgeteilt worden wären. Wie die Fälle zu beurteilen sind, in denen der Käufer einen Vorteil (gegebenenfalls unwissentlich) nur wegen einer zuvor nicht abgeführten Kapitalertragsteuer generieren konnte, ergibt sich hieraus nicht.Das Urteil zeigt, dass mit der Annahme einer Vorsatztat Vorsicht geboten ist. Man wird einem Käufer, der um den Dividendenstichtag Aktien von ausländischen Käufern erworben hat, nicht per se unterstellen können, er handele mit der Absicht oder nehme es auch nur in Kauf, Vorteile aus nicht abgeführter Kapitalertragsteuer zu realisieren. Zugleich enthält das Urteil unter diesem Aspekt nur wenig, was den auf Verkäuferseite eingesetzten deutschen Depotbanken vorgeworfen werden könnte. Denn diese waren – anders als im Urteilsfall – oftmals nicht zugleich Verkäufer der Aktien. Meistens wurden sie lediglich als sogenannter Sub-Custodian eingesetzt, der reine Abwicklungsfunktionen für die meist ausländischen Verkäuferbanken übernahm. Wie solche Fälle zu lösen sind, ergibt sich aus dem Urteil nicht. Das Urteil wird der Diskussion zwischen Strafverfolgungsbehörden und Unternehmen, die Cum-ex-Geschäfte aufarbeiten, neue Nahrung bieten. Soweit die Finanzämter Anrechnungsverfügungen und Freistellungsbescheide verjährungsbedingt nicht mehr ändern können, erschwert das Urteil Unternehmen, bei denen Vermögensvorteile abgeschöpft werden sollen, eine vorschnelle Einigung. Denn es fehlt bereits an einer höchstrichterlichen Klärung der präzisen steuerlichen Pflichten der an Cum-ex-Transaktionen Beteiligten. Deshalb ist auch nicht gesichert, was die Vorstellungen der Beteiligten gewesen sein müssen, um eine Strafbarkeit zu begründen. Auf Basis eines solchen Befundes einen angedrohten Bußgeldbescheid durch “freiwillige” Zahlung zu vermeiden, bedarf einer sorgfältigen Ermessensausübung.Aber auch die Strafverfolgungsbehörden stehen vor einer schweren Aufgabe. Ihnen fällt – gerade wenn das Finanzamt wegen Verjährung Anrechnungen nicht mehr rückgängig machen kann – die Aufgabe zu, in einem steuerlich komplexen und in vielfacher Hinsicht unklaren rechtlichen Umfeld Steueraufkommen wiederzugewinnen und dabei den Blick für Argumente und Indizien, die gegen eine Vermögensabschöpfung sprechen, nicht zu verlieren. Vielzahl an FällenEin Ende der staatlichen Aufarbeitung von Cum-ex-Sachverhalten ist so bald nicht in Sicht. Finanzgerichte, Strafgerichte und Zivilgerichte werden in den nächsten Jahren eine Vielzahl von Fällen zu entscheiden haben und dabei jeweils steuerliche Auslegungsfragen beantworten müssen. Ob diese Fragen immer kohärent und widerspruchsfrei beantwortet werden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wird jede Entscheidung analysiert und von den Beteiligten argumentativ verwertet werden. Daraus wird sich noch die eine oder andere überraschende Wendung ergeben. —-*) Dr. Thomas Asmus und Martin Werneburg sind Rechtsanwälte und Steuerberater bei Lindenpartners in Berlin.