RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: CHRISTIAN HIERONIMI

Verhaftung in Cum-ex-Verfahren schreckt Beraterszene auf

Anwalt: Beschuldigtem droht Strafe von bis zu zehn Jahren

Verhaftung in Cum-ex-Verfahren schreckt Beraterszene auf

Herr Hieronimi, der ehemalige Freshfields-Partner Ulf Johannemann ist in Zusammenhang mit der rechtlichen Aufarbeitung der Cum-ex-Komplexe verhaftet worden. Auf welcher rechtlichen Grundlage geht die Staatsanwaltschaft vor?Grundlage der Festnahme dürfte eine Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall sein. Ob der Tatbestand der Steuerhinterziehung allerdings verwirklicht ist und damit auch ein besonders schwerer Fall in Betracht kommt, hängt von der Vorfrage ab, ob die sogenannten Cum-ex-Geschäfte überhaupt rechtswidrig sind. Der Tatbestand sieht eine Strafbarkeit grundsätzlich nur bei Erzielung von ungerechtfertigten Steuervorteilen vor. In der Vergangenheit ist die Rechtsprechung bei Cum-ex-Geschäften noch von einem zulässigen steuerrechtlichen Gestaltungsmittel ausgegangen. Nicht zuletzt auch aufgrund des inzwischen bestehenden öffentlichen Interesses an Cum-ex-Geschäften wird nunmehr von Seiten der Ermittlungsbehörden zunehmend vertreten, dass es sich um ein Gestaltungsmissbrauch im Sinne § 42 Abgabenordnung handelt und damit der Tatbestand der Steuerhinterziehung eröffnet ist. Warum gehen die Ermittlungsbehörden gegen den Berater vor?Bei den Cum-ex-Geschäften handelt es sich um komplexe juristische Bewertungen des geltenden nationalen und internationalen Steuerrechts. Hier liegt es nahe, dass diese Geschäftspraktiken durch Steuerjuristen entwickelt beziehungsweise die Täter durch rechtliche Beratung begleitet wurden. Insoweit könnte der Tatbeitrag des Juristen sowohl als Steuerhinterziehung oder als Beihilfe zur Steuerhinterziehung gewertet werden. Die Abgrenzung kann nur in der Gesamtschau des Geschehens getroffen werden. Die Kriterien der Abgrenzung mittäterschaftlicher von sonstiger Beteiligung der Tat sind der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die objektive Tatherrschaft und der Wille zur Tatherrschaft. Die Unterscheidung ist von erheblicher Bedeutung, denn im Falle der Beihilfe ist die Strafe von Gesetzeswegen zu mildern. Welche Strafe droht dem Beschuldigten?Für die Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall sieht das Gesetz ein Strafmaß von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Was treibt die Ermittlungsbehörden in ihrem Vorgehen?Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass es hier um Steuernachteile in Milliardenhöhe geht und die Problematik der Cum-ex-Geschäfte mittlerweile auch die Aufmerksamkeit der Politik und Öffentlichkeit erreicht hat. Insbesondere die Politik sieht zunehmend ein Ärgernis in diesen Geschäftspraktiken. Dass hier ein Haftbefehl gegen einen Steuerjuristen erlassen worden ist, erscheint zunächst ungewöhnlich, allerdings kommt es auch hier auf die Einzelheiten der Tat an. Offensichtlich ist das Amtsgericht Frankfurt, welches für den Erlass des Haftbefehls zuständig war, entweder von dem Haftgrund der Fluchtgefahr oder Verdunklungsgefahr ausgegangen. Es spricht somit einiges dafür, dass der Beschuldigte konkrete Bemühungen angestellt hat, sich entweder der bereits laufenden Strafverfolgung zu entziehen oder Beweismittel zu vernichten. Es kann aber auch davon ausgegangen sein, dass allein die Höhe der zu erwartende Strafe als Fluchtanreiz ausreichend ist. Was bedeutet die Vorgehensweise für die zukünftige steuerrechtliche Beratung?Für die zukünftige steuerrechtliche Beratung dürfte der Fall, abgesehen von der rechtlichen Bewertung der Cum-ex-Geschäfte, keine Veränderung mit sich bringen. Steuerberater und Rechtsanwälte können sich in gleicher Weise strafbar machen wie auch sonstige Personen. Dass in den vorliegenden Fällen Juristen verwickelt waren, kann jedoch für die anderen Tatbeteiligten strafrechtlich einen Unterschied machen. Die Verwirklichung der Steuerhinterziehung setzt neben der objektiven Verwirklichung des Tatbestandes auch ein subjektives Element voraus. SDer Täter muss wissen beziehungsweise fahrlässig nicht wissen, dass er ein strafbares Verhalten verwirklicht. Lässt er sich bezüglich seiner Geschäftspraxis anwaltlich beraten, und kommen Juristen zu dem Ergebnis, dass die Geschäftspraxis strafrechtlich unbedenklich ist, so darf man in der Regel auf einen solchen Rat vertrauen. Christian Hieronimi ist Fachanwalt für Strafrecht in eigener Kanzlei in Berlin. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.