Recht und Kapitalmarkt

Vorstand und Insolvenzverwalter im Kompetenzgerangel

Schwierige Rollenverteilung in der Pleite - Pflichten nach Wertpapierhandelsgesetz und Aktienrecht zu beachten

Vorstand und Insolvenzverwalter im Kompetenzgerangel

Von Benedikt Gillessen und Sven-Holger Undritz *)Unternehmen wie die I. G. Farbenindustrie AG, Babcock-Borsig AG, Herlitz AG, Philipp Holzmann AG, Escada AG oder Arcandor AG mit ihren Töchtern Karstadt und Quelle eint nicht nur, dass sie jeweils einen bekannten Namen tragen – sie alle waren oder sind auch börsennotierte Aktiengesellschaften in der Insolvenz. Da solche Unternehmen oft sowohl eine traditionsreiche und wirtschaftlich bedeutende Vergangenheit als auch eine Vielzahl von Arbeitnehmern und Aktionären haben, wird ihr Schicksal in der Regel mit großer öffentlicher Anteilnahme verfolgt. Trotz einer kurzen Häufung nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes sind derartige Fälle aber vergleichsweise selten und wichtige Zuständigkeitsfragen an der Schnittstelle vom Insolvenz- zum Aktien- und Kapitalmarktrecht weiterhin ungeklärt. Die Grundfrage besteht darin, ob für kapitalmarktrechtliche Pflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) weiterhin der Vorstand oder aber der Insolvenzverwalter zuständig ist. Doppelte GewaltenteilungDie drei Organe einer Aktiengesellschaft (Hauptversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand) leiten ihre Kompetenzen vom Aktionär als Eigenkapitalgeber und Eigentümer des Unternehmens ab. Im Falle einer Insolvenz treten mit der Gläubigerversammlung, dem regelmäßig gebildeten Gläubigerausschuss und dem Insolvenzverwalter drei weitere Personen bzw. Personengruppen hinzu, die ihrerseits die Zuständigkeit für bestimmte Entscheidungen beanspruchen. Diese zusätzlichen Entscheidungsträger führen ihre Kompetenz auf die Gläubiger und damit die Fremdkapitalgeber des Unternehmens zurück.Im Grundsatz scheint die Aufgabenteilung in diesem doppelten System der Gewaltenteilung einfach zu sein: Der Insolvenzverwalter, unterstützt und überwacht durch Gläubigerausschuss und -versammlung, übernimmt vom Vorstand die Vermögensverwaltungs- und -verfügungsbefugnis. Er ist für alles zuständig, was “kostet” oder die Vermögenswerte der Gesellschaft betrifft.Doch ebenso wie die Insolvenz nicht die Börsennotierung und die daraus resultierenden Pflichten der Gesellschaft berührt, bleibt auch der Vorstand bis auf Weiteres im Amt und wird vom Aufsichtsrat in seiner Resttätigkeit überwacht. Daher ist die landläufige Meinung, dass der Insolvenzverwalter insgesamt das “Kommando” übernehme, nicht zutreffend – auch wenn unternehmerisch denkende Insolvenzverwalter mit starker Persönlichkeit oft anders agieren. Das dabei verstärkt entstehende Kompetenzgerangel wird noch verschärft, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren vom Gericht mit einer nochmals schwächeren rechtlichen Stellung im Sinne von § 22 Insolvenzordnung ausgestattet wurde.Für die verschiedenen kapitalmarktrechtlichen Pflichten gilt im Regelfall jedoch: Bei Ad-hoc-Mitteilungen nach § 15 WpHG muss je nach Anlass unterschieden werden. Ist die meldepflichtige Information unmittelbar mit den Vermögenswerten der insolventen Gesellschaften verbunden (etwa der Abschluss einer wichtigen Restrukturierungsvereinbarung mit Gläubigern), liegt die Mitteilungspflicht beim Insolvenzverwalter. Tritt dagegen ein außerhalb davon liegender mitteilungspflichtiger Umstand ein (etwa aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Restrukturierung), ist der Vorstand zuständig. Allerdings muss ihn der Insolvenzverwalter nach § 11 WpHG im Hinblick auf die dabei entstehenden Kosten unterstützen.Die Verpflichtung zur Führung eines Insiderverzeichnisses nach § 15b WpHG liegt je nach Anlass ebenfalls beim Insolvenzverwalter oder Vorstand. Soweit eine vorübergehende Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG in Betracht kommt, wird man die Entscheidungskompetenz hierüber entsprechend zuordnen müssen. Man setzt sich dann aber in Widerspruch zum Emittentenleitfaden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, der generell die Beteiligung mindestens eines Vorstandsmitglieds fordert. Der Sonderfall der Insolvenz wurde hier vermutlich nicht bedacht.Stimmrechtsmeldungen nach §§ 21 ff WpHG beruhen auf Veränderungen gesellschaftsrechtlicher Beteiligungsverhältnisse. In der Entgegennahme und Veröffentlichung solcher Mitteilungen von Aktionären einer insolventen Gesellschaft nach § 26 WpHG liegt kein Vermögensbezug. Daher gehört diese Aufgabe zum Pflichtenkreis, der dem Vorstand verblieben ist. Der Insolvenzverwalter muss aber auch hier nach § 11 WpHG hinsichtlich der Kosten unterstützen. Gleiches gilt für Mitteilungspflichten nach §§ 26a und 27a WpHG. Gehören dagegen zur Vermögensmasse der insolventen Gesellschaft Aktien einer anderen börsennotierten AG, obliegen diesbezügliche Stimmrechtsmitteilungen nach §§ 21, 22 oder 25 WpHG dem Insolvenzverwalter.Das Insiderhandelsverbot nach § 14 WpHG ist vom Insolvenzverwalter und vom Vorstand zu beachten. Dass auch Mitarbeiter der Insolvenzgerichte “Insider” sein können, wird in der Praxis leicht übersehen. Die Mitteilungspflichten von Personen mit Führungsaufgaben nach § 15a WpHG (Director’s Dealings) sind ebenfalls auf den Insolvenzverwalter zu erweitern. Zwar unterliegt dieser ebenso wie seine Mitarbeiter schon wegen der zu wahrenden Unabhängigkeit einem umfassenden Handelsverbot, dieses gilt aber nicht für dessen Verwandte. In Bezug auf diese sind ebenso wie beim Vorstand und dessen Angehörigen entsprechende Meldungen abzugeben. Die Veröffentlichung solcher Meldungen als rein gesellschaftsbezogene Obliegenheit muss hingegen allein der Vorstand sicherstellen. Geteilte ZuständigkeitenAuch die Erfüllung der Pflichten nach Börsengesetz und Börsenzulassungsverordnung liegt beim Vorstand. Auch hier hat ihn der Insolvenzverwalter aber nach § 43 Börsengesetz durch Bereitstellung der erforderlichen Mittel zu unterstützen. Geteilte Zuständigkeiten treten dann ein, wenn ein vollständiges oder teilweises Delisting vom regulierten Markt eingeleitet werden soll: Den bloßen Rückzug aus dem Prime Standard an der Frankfurter Wertpapierbörse kann der Insolvenzverwalter alleine veranlassen, da nicht in Aktionärsrechte eingegriffen wird und der Wegfall der entsprechenden Zusatzkosten allein die Vermögensposition der Gesellschaft betrifft.Für ein vollständiges Delisting bedarf es dagegen nach der BGH-Entscheidung in Sachen Macrotron grundsätzlich eines Beschlusses der Hauptversammlung. Diese hat zwar der Vorstand einzuberufen, wegen der erheblichen Kosten muss der Insolvenzverwalter aber mitwirken. Sollte jedoch die Gläubigerversammlung über die Vollbeendigung der Gesellschaft beschließen (bzw. auf ein Insolvenzplanverfahren verzichten), ersetzt dies einen Hauptversammlungsbeschluss. In diesem Fall sind Insolvenzverwalter und Vorstand gemeinsam für die Durchführung des Delistings zuständig.Unklar wird die Rechtslage in Bezug auf die Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 Aktiengesetz: Die Vorschrift gilt nur für Vorstand und Aufsichtsrat, denen mit Einsetzung des Insolvenzverwalters jedoch ein Teil ihrer vom Corporate Governance Kodex vorausgesetzten Aufgaben entzogen wurde. Zu diesem geänderten Kompetenzgefüge “passt” der Kodex nicht mehr. Während Vorstand und Aufsichtsrat eigentlich im Detail über Abweichungen berichten müssten, werden Erklärungen in der Praxis oft ganz unterlassen. Sachgerecht wäre allerdings zumindest ein genereller Hinweis auf die Nichtanwendung infolge der Insolvenz.Die unterschiedlichen Kompetenzen von Insolvenzverwalter als Wahrer der Gläubigerrechte und den regulären Gesellschaftsorganen zeigt sich eindrücklich auch am Schicksal der Vorstände: Deren gesellschaftsrechtliche Bestellung und Abberufung obliegt zwar unverändert dem Aufsichtsrat, für Abschluss oder Kündigung ihrer Dienstverträge ist aber der Insolvenzverwalter zuständig. Der Vorstand einer insolventen AG muss zwar nicht befürchten, durch den Insolvenzverwalter seines Amtes enthoben zu werden – so las sich kürzlich eine Ad-hoc-Mitteilung von Arcandor. Wurde die Kündigung aber wirksam ausgesprochen, erhält er keine Vergütung mehr.—-*) Dr. Benedikt Gillessen ist Local Partner, Dr. Sven-Holger Undritz Partner im Hamburger Büro von White & Case.