Was der Green Deal für Unternehmen bedeutet
Von Thomas Dünchheim und Sebastian Gräler *)Die Europäische Kommission hat vor knapp einem Jahr den “European Green Deal” vorgestellt, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Das strategische Konzept der Kommission enthält konkrete Zielvorgaben und einen sektorenübergreifenden Maßnahmenplan für die künftige Ausrichtung einer nachhaltigen, wettbewerbsfähigen europäischen Wirtschaft. Die seitdem ergangenen Gesetzesentwürfe und Strategien lassen bereits heute erkennen, dass der Green Deal die europäische Wirtschaft grundlegend verändern wird.Das übergeordnete Ziel des Green Deals ist die schrittweise Reduzierung von Treibhausgasemissionen, wie etwa Kohlenstoffdioxid (CO2), bis hin zur vollständigen Klimaneutralität im Jahr 2050. Zur Bekräftigung ihres Engagements, die klima- und umweltbedingten Herausforderungen zu bekämpfen, hat die Europäische Kommission im Zuge der Umsetzung des Green Deals im März 2020 einen Entwurf für ein europäisches Klimagesetz vorgelegt, welches das Ziel der Klimaneutralität erstmalig rechtsverbindlich festlegen soll. Klimaneutralität erfordert einerseits die Verringerung aller aktuell emittierten Treibhausgase sowie andererseits die Kompensation der unvermeidbaren Emissionen durch natürliche Speicherung, z. B. in Wäldern oder Mooren.Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, sind umfassende Investitionen erforderlich, die die Kommission im “Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa” konkretisiert hat. Der Plan soll Investitionen in Höhe von mindestens 1 Bill. Euro in den nächsten zehn Jahren ermöglichen. Dies erfordert ein Zusammenwirken von EU-Haushalt, Mitgliedstaaten und privaten Akteuren. Um die Anreize für Investitionen zu erhöhen, plant die Kommission, grüne Investitionen künftig finanz- und steuerrechtlich zu privilegieren. Es soll zudem ein einheitlicher Rahmen für die Klassifizierung ökologisch nachhaltiger Tätigkeiten geschaffen und die Verfolgung langfristiger ökologischer Ziele stärker in den Corporate-Governance-Rahmen von Unternehmen integriert werden. Betroffene Sektoren Ein Transfer der europäischen Wirtschaft hin zu einer “grünen” Wirtschaft kann jedoch nur gelingen, wenn alle Wirtschaftssektoren einen aktiven Beitrag leisten. Hierzu muss vor allem die Energieerzeugung dekarbonisiert werden. Der Fokus liegt hierbei auf dem Ausbau erneuerbarer Energien, um alle Wirtschaftssektoren ausreichend mit grüner Energie zu versorgen. In der am 19. November 2020 von der Kommission vorgestellten Offshore-Windenergie-Strategie wird unter anderem das Ziel formuliert, die europaweite Offshore-Windenergie-Kapazität von aktuell 12 Gigawatt (GW) auf mindestens 60 GW bis 2030 und sogar bis zu 300 GW im Jahr 2050 auszubauen. Das dafür benötigte Investment wird auf 800 Mrd. Euro geschätzt.Die Industrie selbst soll ihre Produktpolitik, vor allem in ressourcenintensiven Sektoren wie dem Bau-, Elektronik- und Kunststoffsektor, aktiv nachhaltiger gestalten und dadurch zu einer besseren Kreislaufwirtschaft beitragen. Änderungen in der Lebensmittel- und Agrarpolitik sind dahingehend vorgesehen, dass durch den verringerten Einsatz an Pestiziden und Düngemitteln die Produktion gesunder Lebensmittel gefördert werden soll.Darüber hinaus sieht der Green Deal für den Mobilitäts- und den Transportsektor tiefgreifende Veränderungen vor. Für die Automobilindustrie werden voraussichtlich noch strengere Verbrauchs- und Umweltvorgaben für Verbrennermotoren zur technischen Herausforderung. Zugleich soll der Einsatz alternativer Kraftstoffe erweitert und die E-Ladesäulen-Infrastruktur ausgebaut werden. Ein weiteres Ziel ist es, Transportnetze und Mobilität durch intelligente Verkehrsmanagementsysteme zu automatisieren und so effektiv wie möglich zu gestalten.Zudem sind Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität, zum Schutz von Wasser, Luft und Böden und zum Schutz des Klimas geplant, beispielsweise die Ausweitung des Emissionshandels. Die EU-Kommission prüft derzeit, inwiefern der Emissionshandel auf den Seeverkehr ausgeweitet werden kann und ob den Luftfahrtunternehmen weniger kostenlose Zertifikate zugeteilt werden sollen.Die Auswirkungen, die der Green Deal mit sich bringt, werden sich früher oder später in allen Unternehmen, die in der EU wirtschaftlich tätig sind, bemerkbar machen. Insbesondere von Unternehmen aus ressourcen- oder energieintensiven Branchen werden umfangreiche Veränderungen erwartet, die nicht von jedem Unternehmen ohne finanzielle Risiken und Einbußen umgesetzt werden können.Der unvermeidbare Rückgang der fossilen Brennstoffe wird sich nicht nur auf die betroffenen Regionen, sondern auf die gesamte europäische Wirtschaft auswirken, weil zahlreiche Wirtschaftssektoren und die damit verbundenen Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Wertschöpfungskette fossiler Brennstoffe abhängen. Der Erfolg des Green Deals wird insbesondere auch davon bestimmt werden, ob es gelingt, den Ausbau erneuerbarer Energien so schnell wie möglich voranzubringen, sodass ökologisch verträgliche und zeitgleich kostengünstige Alternativen für die abhängigen Wirtschaftssektoren zur Verfügung stehen.Um einen gerechten Übergang zu gewährleisten, hat die Kommission den Just Transition Fund (JTF) eingerichtet. Die darin enthaltenen Zuschüsse von bis zu 50 Mrd. Euro im Zeitraum von 2021 bis 2027 sollen für die von der Umsetzung der Vorgaben des Green Deals besonders betroffenen Regionen und Unternehmen dazu genutzt werden, um neue Arbeitsplätze in diesen Regionen zu schaffen und die Weiterbildung betroffener Arbeitnehmer für die Zukunft zu unterstützen. Daneben sind weitere 45 Mrd. Euro für private Investitionen und rund 30 Mrd. Euro für Darlehen für den öffentlichen Sektor zur Investition in die Energie- und Verkehrsinfrastruktur vorgesehen. EntwicklungspotenzialNeben den skizzierten Risiken bietet der Green Deal erhebliches Entwicklungs- und Innovationspotenzial. Die nachhaltige Umstrukturierung der Industrie bietet die Chance, weiteres Wachstum zu ermöglichen. Nach Ansicht der Kommission könnte das Wachstum an Industrieerzeugnissen und Dienstleistungen zu einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts der EU um 12 % führen. Durch die Anpassung der Wettbewerbs- und Subventionsvorschriften für nachhaltige und ökologische Geschäftsideen besteht durch den Green Deal enormes Entwicklungspotenzial. Aber auch große Unternehmen können vom Green Deal profitieren, indem sie neue Geschäftsbereiche erschließen oder die nachhaltige Veränderung bestehender Betriebsabläufe und -prozesse vorantreiben. So haben sich diverse Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie eigene Ziele gesteckt, um bereits im Jahr 2030 klimaneutral zu sein bzw. klimaneutral zu wachsen.Der Green Deal wird aufgrund des sektorenübergreifenden Ansatzes und des umfassenden Maßnahmenplans die europäische Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten grundlegend verändern. Ein Rückgang der Wirtschaftstätigkeit in den energieintensiven Bereichen und damit verbundene wirtschafts- und sozialstrukturellen Veränderungen der Regionen ist unvermeidbar, jedoch bietet der Green Deal auch ein erhebliches Zukunfts- und Entwicklungspotenzial. Die Investitionen können zur Entstehung einer nachhaltig wachsenden, aber gleichzeitig wettbewerbsfähigen EU-Wirtschaft beitragen, indem neue, an der Kreislaufwirtschaft orientierte Industrien entstehen, saubere Energien genutzt und dadurch letztlich auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Unternehmen sollten sich den tiefgreifenden Strukturwandel, den der Green Deal eingeläutet hat, bewusst machen und bereits jetzt eine Strategie erarbeiten, wie sie den ökologischen Wandel der europäischen Wirtschaft für sich nutzen können, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. *) Prof. Dr. Thomas Dünchheim ist Partner und Dr. Sebastian Gräler Senior Associate von Hogan Lovells.