RECHT UND KAPITALMARKT

Was die Aufgabe der BaFin wirklich ist

Diskussionen mit Blick auf den Fall Wirecard - Der Rahmen für ein amtshaftungsrechtlich relevantes Fehlverhalten ist eher begrenzt

Was die Aufgabe der BaFin wirklich ist

Von Bernd Geier *)Der Fall Wirecard ruft nicht nur Aufsichtsbehörden und die Staatsanwaltschaft auf den Plan, sondern auch Politiker und Verbraucherschützer. Die Medien berichten von mindestens einer Amtshaftungsklage. Bundesfinanzminister Scholz tritt für einen Aktionsplan zu erweiterten Aufgaben und Befugnissen der Aufsicht ein. Gegebenenfalls wird ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Damit stellt sich die Frage, was eigentlich zum Aufgabenkanon der BaFin gehört und was nicht.Die BaFin nimmt primär Aufgaben mit Bezug zur Finanzindustrie und dem Kapitalmarkt wahr: Sie ist unter anderem Aufsichtsbehörde für Unternehmen, die zur Erbringung von Bankgeschäften, Finanz- oder Zahlungsdienstleistungen zugelassen sind. Sie verfügt über kapitalmarktrechtliche Zuständigkeiten, zum Beispiel im Bereich Marktmissbrauch, der Prüfung von Emittenten und der Finanzberichterstattung. Eine umfassende Aufsicht über die Realwirtschaft gehört jedoch nicht zu ihrem Aufgabenkreis. Sie ist auch kein Ersatzwirtschaftsprüfer und keine allgemeine Strafverfolgungsbehörde.Wirecard wird in der öffentlichen Diskussion als Zahlungsdienstleister und damit Teil der Finanzindustrie wahrgenommen. Damit liegt es auf den ersten Blick auf der Hand, sich bei Missständen an die BaFin zu wenden. Die Wirecard AG als gelistete Muttergesellschaft der Gruppe verfügt jedoch selbst über keine Erlaubnis zur Erbringung von Bankgeschäften, Finanz- oder Zahlungsdienstleistungen. Lediglich ein Tochterunternehmen, die Wirecard Bank AG, ist in Deutschland als Kreditinstitut zugelassen. In anderen Ländern verfügen weitere Gruppenunternehmen über Zulassungen.Formell sind BaFin (und EZB) daher zunächst Aufsichtsbehörden der Wirecard Bank AG. Insoweit bestehen umfassende, hoheitliche Befugnisse, zum Beispiel zur Anordnung von Sonderprüfungen ohne besonderen Anlass sowie zur Erteilung von Auskünften und Vorlage von Unterlagen. So führte die BaFin beispielsweise im Jahr 2019 eine Sonderprüfung zur Geldwäschebekämpfung bei der Wirecard Bank durch. Gruppenweite Aufsicht?Davon ist die Frage zu trennen, ob die BaFin auch verpflichtet ist, sich Mutterunternehmen der Wirecard Bank AG genauer anzusehen, insbesondere die Wirecard AG.In der Tat existieren Vorschriften zur Berücksichtigung von Gruppenunternehmen im Rahmen des Bankaufsichtsrechts, insbesondere mit Bezug zum sogenannten aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis. Erfasst werden davon jedoch nicht alle Konzerngesellschaften. Vielmehr umfasst der Konsolidierungskreis – vereinfacht – nur Unternehmen mit speziellem Bezug zur Finanzindustrie, insbesondere Finanzholdinggesellschaften und sonstige Finanzinstitute. Diese Gesellschaften sind in der Regel nicht selbst erlaubnispflichtig. Erst der jüngst vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf eines Risikoreduzierungsgesetzes begründet für bestimmte Finanzholdinggesellschaften eine Zulassung.Bislang erfolgt die Kontrolle im Wesentlichen indirekt über ein für die Gruppensteuerung verantwortliches Unternehmen (übergeordnetes Unternehmen) – typischerweise ein gruppenangehöriges Kreditinstitut und dessen Aufsichtsbehörde. Das übergeordnete Unternehmen ist verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass bestimmte aufsichtsrechtliche Vorgaben auch innerhalb des Konsolidierungskreises, das heißt durch nachgeordnete Unternehmen, beachtet werden.Die Aufsicht kann Auskünfte und Unterlagen gegebenenfalls auch direkt von nachgeordneten Unternehmen verlangen beziehungsweise Prüfungen dieser Unternehmen anordnen.Die Wirecard AG wurde von EZB und BaFin jedoch nicht als Finanzinstitut, sondern als Technologieunternehmen eingestuft. Sie ist damit nicht Teil des aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreises und fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften.Unabhängig davon ist die BaFin jedoch zur Prüfung der Rechnungslegung von Emittenten zuständig. Seit Einführung des zweistufigen Enforcement-Verfahrens unter Einbindung der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung DPR e.V. sind ihre Rechte insoweit jedoch beschränkt. Nur die Prüfstelle ist ermächtigt, stichprobenartige Prüfungen anzuordnen. Ein eigenes Prüfungsrecht steht der BaFin nur zu, wenn ihr die Prüfstelle berichtet, dass ein Unternehmen seine Mitwirkung bei einer Prüfung verweigert oder mit dem Ergebnis der Prüfung nicht einverstanden ist oder erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Prüfungsergebnisses der Prüfstelle oder an der ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung durch die Prüfstelle bestehen.Die Prüfstelle ist damit unabhängige Instanz erster Stufe. Der BaFin kommt lediglich eine Überwachungsfunktion zu. Sie kann jedoch (anlassbezogen) Prüfungen durch die Prüfstelle “anstoßen”, die diese dann jedoch in eigener Verantwortung (das heißt nicht weisungsgebunden) durchführt. Lediglich für den Fall, dass der BaFin selbst ein Sonderprüfungsrecht zusteht, kann sie die Prüfung unmittelbar direkt an sich ziehen. Dies setzt jedoch voraus, dass das betroffene Unternehmen Institut oder zumindest Teil des aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreises ist.In Bezug auf Wirecard übte die BaFin infolge anonymer Hinweise Anfang 2019 ihr Initiativrecht aus und stieß eine Prüfung durch die Prüfstelle an. Diese führte allerdings bis Anfang Juli 2020 zu keinem Prüfbericht, der der BaFin ermöglicht hätte, das Verfahren an sich zu ziehen.Im Zusammenhang mit Wirecard bestand laut Medienberichten mehrfach der Verdacht der Marktmanipulation, auch gegenüber Außenstehenden, aus unterschiedlichen Gesichtspunkten. Letztlich für die Insolvenz der Wirecard AG ausschlaggebend war der Verdacht, dass in der Bilanz ausgewiesene Positionen in Höhe von 1,9 Mrd. Euro nicht existierten könnten. Insoweit ist rechtlich unbestritten, dass der Tatbestand der Marktmanipulation durch falsche Bilanzzahlen erfüllt sein kann. Die BaFin ist auch zuständige Aufsichtsbehörde und verpflichtet, Verdachtsmomenten nachzugehen (sowie gegebenenfalls die Staatsanwaltschaft einzuschalten).Die Frage ist jedoch, wie diese Aufklärung zu erfolgen hat, wenn der Verdacht auf einer vermeintlich fehlerhaften Finanzberichterstattung fußt, für deren initiale Analyse bei Industrieunternehmen die Prüfstelle zuständig ist. Es liegt dann gegebenenfalls nahe, dass die BaFin erst die Ergebnisse der Prüfstelle abwarten muss, ehe sie dem Verdacht der Marktmanipulation selbst weiter aufklärerisch nachgehen kann. Im Ergebnis ist das Verhältnis zwischen Enforcement-Prozess und Marktmissbrauchsrecht jedoch noch nicht abschließend geklärt.Der Rahmen für ein amtshaftungsrechtlich relevantes Fehlverhalten der BaFin ist daher eher begrenzt. Zum einen verfügt die BaFin aktuell gegenüber Industrieunternehmen nur über sehr begrenzte Befugnisse. Zum anderen nimmt sie ihre Tätigkeiten kraft gesetzlicher Regelung lediglich im öffentlichen Interesse wahr. Voraussetzung für Amtshaftungsansprüche ist jedoch die Verletzung drittbezogener Amtspflichten. Erst jüngst wurde gerichtlich bestätigt, dass es auch weiterhin – trotz einer verstärkten Betonung des kollektiven Verbrauchsschutzes – an dieser Drittbezogenheit fehle. Das sollte trotz vereinzelt abweichender Literaturmeinungen auch für den Bereich der Bilanzkontrolle gelten. Politischer HandlungsbedarfDie Bundesregierung hat den Vertrag mit der Prüfstelle zum Ende 2021 gekündigt. Sollte keine neue Prüfstelle ernannt werden, erstarken die Rechte der BaFin damit ab 2022 automatisch wieder. Sie kann dann gegenüber Emittenten der Realindustrie direkt Prüfungshandlungen vornehmen und selbst aufklären. Auch entfiele das (schwierige) Konkurrenzverhältnis zwischen zweistufigem Enforcement-Prozess und Marktmissbrauchsrecht. Eine weitere Anpassung der Rechtslage wäre damit gegebenenfalls gar nicht mehr erforderlich – gegebenenfalls jedoch eine personelle Aufstockung der BaFin im Bereich der Prüfung. *) Prof. Dr. Bernd Geier ist Partner von Bryan Cave Leighton Paisner und Professor für Wirtschaftsrecht, Bank-/Kapitalmarktrecht und Regulierung.