RECHT UND KAPITALMARKT

Was passiert, wenn ein Staat pleitegeht?

Kein einheitliches Verfahren für Staateninsolvenzen - Bisherige Regelungen greifen zu kurz

Was passiert, wenn ein Staat pleitegeht?

Von Sven Schelo *)Schon seit Beginn der Staatsschuldenkrise im vergangenen Jahr mehren sich die Stimmen in Politik und Wissenschaft, dass zu deren Bewältigung ein Insolvenzverfahren für Staaten sinnvoll sei. Als Vorteil wird die mögliche Entschuldung des Staates wie auch eine Disziplinierungswirkung genannt. Diese Debatte ist nun mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen erneut aufgeflammt.Der Begriff Insolvenzverfahren ist aber zu präzisieren. Denn im Gegensatz zum üblichen Geschäftsleben geht es nicht darum, eine Insolvenzmasse, hier das Staatsvermögen, zu liquidieren und eine Quote an die Gläubiger des Staates auszuzahlen. Vielmehr ist allein ein anderer Aspekt gemeint: nämlich die Sanierung des Staates durch einen Schuldenschnitt, also durch Reduzierung der Passivseite der Staatsbilanz, etwa vergleichbar mit einem Insolvenzplanverfahren oder dem Vorgehen nach Chapter 11 in den USA. Allerdings gibt es ein solches weltweit greifendes Verfahren derzeit nicht. Bekanntes PhänomenDer Ansatz zur Restrukturierung von Staatsschulden ist nicht neu. 2001 hat der Internationale Währungsfonds (IWF) hierzu ein Verfahren vorgestellt, das Züge eines Insolvenzverfahrens hat. Der Vorschlag konnte sich aber aus zwei Gründen nicht durchsetzen: Zum einen greift ein solches Verfahren immer in die staatliche Souveränität ein. Außerdem hätte die Regierung nach diesem Vorschlag – zumindest in Teilaspekten – die Zügel aus der Hand zu geben und sie auf einen unabhängigen Dritten, sei es eine Person, Kommission oder ein Gericht, zu übertragen.Zum anderen haben sich ungeregelte Staateninsolvenzen in der Vergangenheit durchaus als nützliches Instrument für den Staat erwiesen, sich zu sanieren. Denn der Staat konnte sich durch Anwerfen der Notenpresse unbeschränkt Landeswährung verschaffen und sich so – um den Preis der Hyperinflation – zumindest der Schulden in Inlandswährung entledigen. Die in ausländischer Währung lautenden Schulden wurden schlichtweg nicht bezahlt, da die Möglichkeiten der Beitreibung für die Gläubiger beschränkt sind. Vollstreckung schwierigWas aber passiert derzeit – ohne rechtlichen Rahmen – bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit eines Staates? Zunächst einmal haben Staaten, wie auch Unternehmen, Gläubiger. Ein Großteil dieser Gläubiger sind andere Staaten, Banken und institutionelle Investoren, die in Staatsanleihen des jeweiligen Staates investiert haben. Im Falle der Nichtzahlung von Zinsen oder Tilgung dieser Schulden entstehen Kündigungs-rechte – mit möglichen Begleiteffekten, wie beispielsweise einer Herabstufung des Ratings. Teilweise gibt es in Anleihen auch jetzt schon sogenannte “Collective Action Clauses”, mit denen durch Mehrheitsentscheidungen der Gläubiger Schuldenerlasse bewirkt werden können.Im Übrigen sind die Gläubiger dann aber zunächst einmal auf sich gestellt. Eine gerichtliche Vollstreckung von Forderungen, ein übliches Szenario bei jedem anderen Schuldner, ist gegenüber Staaten kein einfaches Unterfangen. Zunächst muss der Gläubiger einen Vollstreckungstitel aus seiner Forderung erlangen, also in der Regel zunächst gegen den Schuldnerstaat klagen. Zudem muss auch Vermögen des Staates, wie etwa Konten oder Immobilien, ausfindig gemacht werden, in das vollstreckt werden kann.Weil dieser Weg mühsam ist, versuchen Gläubiger meist auf dem Verhandlungsweg wenigstens einen Teil ihrer Forderungen zu erhalten. Diese Verhandlungslösungen wurden durch die Gründung des Pariser Clubs 1956 in gewisser Art institutionalisiert. In diesem Rahmen haben Staaten in über 400 Abkommen großzügige Schuldenerlasse an Schuldnerstaaten gewährt. Seit 1970 gibt es daneben den Londoner Club. Hier schließen sich private Gläubiger und mittlerweile auch Banken und Fondsmanager eines überschuldeten Landes ad hoc in sogenannten “London Club Advisory Committees” zusammen, wenn die Regierung des betroffenen Landes um eine Umstrukturierung der Schulden bittet.Während die Gläubigerstaaten im Pariser Club beträchtliche politische Einflussmöglichkeiten haben, wird eine Umschuldung im Londoner Club häufig dadurch ausgelöst, dass der Schuldnerstaat sich gegenüber dem Pariser Club bereit erklärt, seine finanziellen Verpflichtungen auch gegenüber nichtstaatlichen Gläubigern zu vergleichbaren Bedingungen umzuschulden. ESM als Lösung?Was bedeutet das für den Euroraum? Zumindest der Vorteil der Entschuldung durch Hyperinflation scheidet hier aus, da einzelne Euro-Staaten nicht die Notenpresse an-werfen können. Zur Lösung des Problems soll der 2010 eingerichtete, vorläufige Europäische Rettungsschirm mit einem Kreditvolumen von 750 Mrd. Euro im Juni 2013 durch einen permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) abgelöst werden. Der ESM regelt kein – ursprünglich von Deutschland gefordertes – Insolvenzverfahren für Staaten. Allerdings müssen, entsprechend dem internationalen Trend im nichtstaatlichen Bereich, alle nach Juli 2013 ausgegebenen Staatsanleihen mit einer Mindestlaufzeit von einem Jahr Collective Action Clauses (CAC) enthalten.Nach diesen Klauseln unterwerfen sich Anleihegläubiger unter bestimmten Voraussetzungen der Mehrheitsentscheidung (regelmäßig 75 % der Stimmen) aller Gläubiger dieser Anleihe, insbesondere wenn sich der Emittent, bei Staatsanleihen also der Staat, in Verzug mit seinen Zahlungsverpflichtungen befindet. Diese Klauseln schaffen innerhalb der jeweiligen Anleihe ein Umschuldungsverfahren, in dem durch Mehrheitsentscheidungen die Anleihe neu strukturiert werden kann.Da sich Staaten heutzutage durch einen beträchtlichen Anteil von Anleihen refinanzieren, bieten solche Klauseln ein erhebliches Potenzial zur Restrukturierung der Staats-schulden. Zur umfassenden Bewältigung einer Staatsinsolvenz sind diese Klauseln dennoch nicht ausreichend. Zum einen setzt dies voraus, dass sich in allen relevanten Anleihen identische CAC-Klauseln befinden. Gerade im Hinblick auf bestehende Anleihen können Lücken entstehen. Darüber hinaus beschränken sich die CAC-Klauseln auf Anleihen und sind daher keine geeigneten Instrumente für andere Kapitalquellen, wie zum Beispiel einfache Kredite. Durch ihren einseitigen Fokus werden sie zudem dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung nicht gerecht.Ein Verfahren, das die oben genannten Kriterien enthält, müsste also darüber hinausgehen. Die Stoßrichtung eines solchen Verfahrens könnte dreierlei vorsehen: Zu-nächst die Möglichkeit, den Staat durch Mehrheitsbeschlüsse von Gläubigern zu entschulden, des Weiteren möglichst wenig in die Souveränität des Staates einzugreifen und schließlich eine möglichst schonende Behandlung der Kapitalmärkte. Letzteres könnte durch Transparenz des Verfahrens sowie Vorhersehbarkeit und Fortführung des staatlichen Tagesgeschäfts erfolgen – vergleichbar mit einer Betriebsfortführung in der Insolvenz.Im Hinblick auf die Mehrheitsbeschlüsse kann sowohl das deutsche Insolvenzplanverfahren als auch das US-Chapter-11-Verfahren als Vorbild dienen. Hiernach können Gläubiger in Gruppen eingeteilt werden. Die Entschuldung kommt dann zustande, wenn bestimmte Mehrheiten dieser Gruppen zustimmen. Zur Wahrung der Souveränität des Staates wird es darauf ankommen, dass nur er selbst berechtigt ist, dieses Verfahren einzuleiten. Außerdem sollten nur die Durchführung und Überwachung des Verfahrens des Schuldenschnitts auf eine dritte, neutrale Instanz übertragen werden – nicht aber weitere Hoheitsbefugnisse. Dominoeffekte beachtenDer delikateste Punkt aber bleibt: Selbst wenn das Verfahren antizipierbar und transparent ist und sich möglichst nahtlos in den Ablauf der Volkswirtschaft einfügt, ist eine Reaktion der Kapitalmärkte und Börsen auf ein solches Verfahren unvermeidbar – unabhängig von dessen konkreter Bezeichnung. Auch Dominoeffekte auf andere Mitglieder des Euroraums oder Gläubiger sind nicht auszuschließen. Wenn aber kein Weg mehr an einem Zahlungsausfall vorbeiführt, sollte dieser Ausfall – zumindest bezogen auf unsere vernetzte Währungsunion – besser innerhalb eines vorhersehbaren Verfahrens erfolgen als außerhalb.—-*) Dr. Sven Schelo ist Partner im Frankfurter Büro von Linklaters LLP.