RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: ELISA HOVEN

Wenn Konzerne strafmündig werden

Deutschland erhält Unternehmensstrafrecht - Hohe Geldbußen möglich

Wenn Konzerne strafmündig werden

Was bedeutet die Schaffung eines Unternehmensstrafrechts für Unternehmen?Natürlich schafft ein solches Gesetz für Unternehmen neue Sanktionsrisiken. Es ist davon auszugehen, dass Staatsanwaltschaften künftig konsequenter gegen Unternehmen vorgehen, aus denen Straftaten begangen werden. Zudem sind künftig höhere Sanktionen möglich; die bisherige Begrenzung auf 10 Mill. Euro nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht wird durch eine umsatzbezogene Regelung ersetzt. Allerdings garantiert das neue Gesetz den Unternehmen auch, dass ihre Compliance-Programme oder Bemühungen um interne Aufklärung und Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden honoriert werden. Das war bislang nicht geregelt. Ändert sich die Risikolage?Ja, insbesondere durch die Einführung des Legalitätsprinzips: Staatsanwaltschaften müssen künftig auch gegen Unternehmen ermitteln, wenn ein entsprechender Verdacht besteht. Wird es mehr Klarheit über die Regeln geben? Was bedeutet es für Compliance-Maßnahmen? Was bedeutet es für interne Untersuchungen?Ja, bislang ist die Rechtslage intransparent und wenig vorhersehbar. Das gilt insbesondere mit Blick auf interne Untersuchungen und Compliance-Maßnahmen. Zum einen wird festgelegt, dass Bemühungen von Unternehmen um Prävention (Compliance) und Aufklärung (interne Untersuchungen) honoriert werden. In diesen Fällen wird die Sanktion niedriger ausfallen, gegebenenfalls kann sogar das Verfahren eingestellt werden. Zum anderen wird gesetzlich festgelegt, unter welchen Voraussetzungen Material aus internen Untersuchungen von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt werden kann. Hier gibt es bislang eine bundesweit nicht einheitliche Rechtsprechung – was für Unternehmen und Kanzleien zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt hat. Was lernen Unternehmen aus der Beschlagnahme von Compliance-Unterlagen bei einer Wirtschaftskanzlei, die von Volkswagen mit der internen Aufklärung des Dieselskandals beauftragt war?Unternehmen müssen wissen, dass die Ergebnisse ihrer internen Untersuchungen – zumindest falls das neue Gesetz in Kraft tritt – von den Strafverfolgungsbehörden weitgehend beschlagnahmt werden können. Ob Unternehmen hieraus Schlüsse ziehen und unter dem Damoklesschwert einer solchen Beschlagnahme ihre internen Untersuchungen künftig anders durchführen, vermag ich nicht einzuschätzen. Ich halte die Möglichkeit einer solch umfassenden Beschlagnahme für problematisch. Das Unternehmen hat letztlich keine andere Wahl, als zu kooperieren und die Beweise gegen sich selbst zu liefern. Was bedeutet die Reform für den Verfolgungszwang?Staatsanwaltschaften müssen künftig auch gegen Unternehmen ermitteln, wenn ein entsprechender Verdacht besteht. Hat Deutschland überhaupt Staatsanwälte, die geeignet sind?Ja, aber noch nicht in ausreichender Anzahl. Der Erfolg des Verbandssanktionengesetzes wird davon abhängen, wie es umgesetzt wird. Hierfür braucht es hoch spezialisierte Staatsanwälte/-innen, die auch die Realitäten im Unternehmen verstehen. Mit der Verfolgung von Unternehmen sollten Schwerpunktstaatsanwaltschaften betraut werden, die über das notwendige Wissen verfügen, Strukturen aufbauen können und keine starke personelle Fluktuation haben. Gleichwohl bleibt natürlich das Problem, dass Staatsanwälte/-innen – und auch Richter/-innen – nicht dazu ausgebildet sind, etwa Compliance-Management-Systeme zu bewerten. Hier muss mit Sachverständigen aus der Praxis zusammengearbeitet werden. All diese Aspekte der Umsetzung muss der Gesetzgeber bedenken, bevor er ein solches Gesetz erlässt. Elisa Hoven ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medienstrafrecht an der Universität Leipzig. Die Fragen stellte Christoph Ruhkamp.