Wie sich eine Kartellstrafe in Luft auflösen kann
– Herr Dr. Wirtz, der Talanx-Konzern muss nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine gegen den von ihm übernommenen Industrieversicherer Gerling verhängte Kartellstrafe nicht zahlen. Schützen Übernahmen jetzt vor Bußgeldern?Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn man zwei große Eimer Farbe zusammenschüttet und einmal kräftig durchrührt, kommt eine andere Farbe heraus. Übertragen auf die Entscheidung des BGH bedeutet das, wenn man zwei Unternehmen miteinander verschmilzt und es kommt ein neues Gebilde heraus, entfällt auch die Bußgeldhaftung. Der BGH arbeitet in seiner Entscheidung heraus, dass die Bußgeldhaftung an den Rechtsträger anknüpft. Wenn dieser aber bei einer Fusion verschwindet und seine Eigenständigkeit verliert, ist eine Kartellstrafe hinfällig.- Was bedeutet das BGH-Urteil für künftige M & A-Transaktionen?Wenn ich ohnehin ein Unternehmen kaufen möchte, so zeigt das BGH-Urteil jetzt zumindest den Weg auf, wie ich ein im Raum stehendes Bußgeld dabei vermeiden kann.- Ist denn dieses Schlupfloch im Sinne des Gesetzgebers?Es ist Kern des deutschen Rechtsträgerprinzips, dass ein Bußgeld nur einem Unternehmen auferlegt werden kann, dessen Organe sich rechtswidrig verhalten haben. Ich muss als Erwerber nicht mit meinem Vermögen für Verstöße haften, die vor dem Kauf passiert sind. Im deutschen Kartellbußgeldrecht gibt es keine Sippenhaft und keine Konzernhaftung.- In anderen Fällen hafte ich trotz Übernahme – wenn es zum Beispiel um Produktfehler geht. Was ist der Unterschied zu Kartellbußen?Ein Bußgeld hat strafrechtlichen Charakter. Das ist etwas anderes als die zivilrechtliche Haftung, die eine Gesamtrechtsnachfolge vorsieht. Hier kommen Sie um die Haftung nicht herum.- Gibt es Ihres Wissens derzeit ähnliche Kartellverfahren vor deutschen Gerichten?Ja, Ende 2007 sind sieben Flüssiggashersteller mit insgesamt 208 Mill. Euro Bußgeld bestraft worden. Der Fall wird derzeit vor dem OLG Düsseldorf verhandelt. Dann der Fall Silomörtel aus dem Jahr 2009, in dem knapp 40 Mill. Euro Strafen verhängt worden sind. In beiden Fällen sind betroffene Unternehmen zwischenzeitlich übernommen worden.- Wird die Entscheidung aus Ihrer Sicht zu Änderungen im Wettbewerbsrecht führen?Davon ist auszugehen. Der Gesetzgeber hat in den Eckpunkten zur 8. GWB-Novelle schon auf die zu erwartende BGH-Entscheidung hingewiesen und angekündigt, die Bußgeldhaftung im Falle einer Übernahme anzupassen. Im jetzt veröffentlichten Referentenentwurf ist das noch nicht angesprochen, da der BGH seinen Beschluss erst später bekannt gegeben hat.- Was könnte sich ändern?Es wird bemängelt, das Bundeskartellamt sei bei der Durchsetzung von Bußgeldern bei Übernahmen deutlich schlechter gestellt als die EU-Kommission. Die geht viel laxer mit der Haftungsausweitung auf Unbeteiligte um, macht das Bußgeld am Unternehmen als wirtschaftliche Einheit fest und kann deshalb in der Regel auch nach M & A-Transaktionen die Strafen einfordern. Hierin liegt ein großer Unterschied zum deutschen Rechtsträgerprinzip, das auf die juristische Person abstellt. Es ist davon auszugehen, dass die deutschen Kartellwächter Druck machen werden, diesen Nachteil im Konzert der europäischen Wettbewerbshüter zu beseitigen. Die Frage ist aber, ob man das deutsche Rechtsträgerprinzip wirklich über Bord werfen will. Dies hielte ich für falsch. Denn es fehlte dann jegliche persönliche Schuld des Managements der haftenden Unternehmung für die Kartellabsprache.- Das Industrieversicherungskartell, das 2005 aufgedeckt worden war, war ein Riesenfall. Ist mit der Talanx-Entscheidung das Kapitel rechtlich abgeschlossen?Noch nicht vollständig. Das Kartellamt verlangt von den Versicherern, die 2009 ihre Einsprüche gegen die Bußgelder zurückgenommen und gezahlt haben, Zinsen in Höhe von mehr als 25 Mill. Euro. Dagegen haben sich die Unternehmen zur Wehr gesetzt. Das OLG hält die Zinspflicht auch tatsächlich für verfassungswidrig, da sie Kartelldelinquenten im Vergleich zu anderen benachteiligt. Bei Ordnungsstrafen wegen Umweltvergehen zum Beispiel werden keine Zinsen verlangt. Das OLG hat deswegen ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht angestrengt.—-Dr. Markus M. Wirtz ist Partner der Düsseldorfer Kanzlei Glade Michel Wirtz. Das Interview führte Antje Kullrich.