Wieder mal Neues zur Vorstandsvergütung
Von Roman Stenzel und Benedikt Hohaus *)Spätestens seit der Finanzkrise ist die Vergütung von Vorstandsmitgliedern Gegenstand diverser nationaler und europäischer Reforminitiativen. Auch Investoren und Stimmrechtsberater befassen sich verstärkt mit der Vergütung des obersten Managements und sorgen mitunter dafür, dass die Hauptversammlung das Vergütungssystem missbilligt. Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Vorstandsvergütungsangemessenheitsgesetzes (VorstAG) stehen mit der Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) und dem Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) wesentliche Änderungen der einschlägigen Regelungswerke bevor.Die Regierungskommission hat am 9. Mai 2019 einen grundlegend überarbeiteten DCGK beschlossen. Die Neufassung wird nach Inkrafttreten von ARUG II wirksam. Die Kodex- Empfehlungen sind zwar rechtlich nicht bindend. Jedoch sind Abweichungen offenzulegen und zu begründen, so dass eine faktische Bindungswirkung besteht. Gerade im politisch sensiblen Bereich der Vorstandsvergütung ist der Aufsichtsrat meist wenig geneigt, Abweichungen zu rechtfertigen. Konkretes ModellDer DCGK empfiehlt für die langfristige variable Vorstandsvergütung nunmehr ein konkretes Modell. Demnach soll der Aufsichtsrat auf erster Stufe die Leistungskriterien für die variable Vergütung für das bevorstehende Geschäftsjahr festlegen, wobei neben operativen vor allem strategische Ziele zu berücksichtigen sind. Auf Grundlage der Zielerreichung nach Ablauf des Geschäftsjahres ist auf zweiter Stufe ein Bonusbetrag zu ermitteln, der überwiegend in Aktien der Gesellschaft anzulegen oder entsprechend aktienbasiert zu gewähren ist. Eine Verfügung und damit eine Wertrealisierung soll erst nach vier Jahren möglich sein. Auf diese Weise tragen die Vorstandsmitglieder die durch den Aktienkurs vermittelten positiven und negativen Auswirkungen der erreichten (strategischen) Ziele.Das neue Aktienmodell soll die komplexen und von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich ausgestalteten Mehrjahresberechnungen vereinfachen und vereinheitlichen. Dieser Ansatz war im Konsultationsverfahren von verschiedener Seite kritisiert worden. Kritikpunkte waren insbesondere, dass den Unternehmen Flexibilität bei der Vergütungsgestaltung genommen werde und sich das empfohlene Modell zu sehr auf den Aktienkurs fokussiere. Überwiegend aktienorientiertDie Regierungskommission hat dieser Kritik in zweierlei Hinsicht Rechnung getragen. Zum einen wird nur eine “überwiegende” aktienorientierte Gewährung empfohlen. Die tradierten Modelle können damit fortgeführt werden, soweit diese weniger als die Hälfte des Langfristbonus ausmachen. Zum anderen lässt die Formulierung neben Aktien auch andere aktienbasierte Instrumente wie Optionen oder virtuelle Aktien zu. Bei der Umsetzung sind verschiedene aktien-, kapitalmarkt- und steuerrechtliche Themen zu beachten.Eine weitere neue praxisrelevante Empfehlung betrifft Abfindungszahlungen an ausscheidende Vorstandsmitglieder, die in der Vergangenheit häufig Gegenstand öffentlicher Kritik waren. Der DCGK empfiehlt künftig, dass variable Vergütungskomponenten, die bei Ausscheiden noch offen sind, bis zum vertraglichen Ende der Bemessungsperiode fortlaufen. Damit partizipieren ausgeschiedene Vorstandsmitglieder an der positiven und negativen Unternehmensentwicklung nach ihrem Ausscheiden. Die gängige Praxis, potenzielle Ansprüche aus variablen Vergütungen zu schätzen und – gegebenenfalls abgezinst – auf Grundlage einer Aufhebungsvereinbarung vorzeitig auszubezahlen, wird damit zur rechtfertigungsbedürftigen Kodexabweichung. Neue EmpfehlungErwähnenswert ist außerdem eine neue Empfehlung, wonach in begründeten Fällen eine variable Vergütung einbehalten oder zurückgefordert werden können soll. Solche Claw-back-Klauseln sind zwar immer wieder Gegenstand der Diskussion um angemessene Managergehälter, jedoch derzeit kein Marktstandard in der Vertragspraxis. Es spricht viel dafür, dass Rückforderungen eher in Fällen (schwerer) Pflichtverletzungen in Betracht kommen als bei wirtschaftlichem Misserfolg. Die zivilrechtliche Wirksamkeit entsprechender Vertragsklauseln hängt insbesondere davon ab, ob die im Einzelfall gewählte Formulierung mit AGB-Recht zu vereinbaren ist. Der europäische Gesetzgeber hat in der zweiten Aktionärsrechterichtlinie verschiedene Vorgaben im Hinblick auf die Vorstandsvergütung gemacht.Trotz der am 10. Juni 2019 abgelaufenen Umsetzungsfrist ist das ARUG II bislang noch nicht beschlossen. Die Bundesregierung hatte am 20. März 2019 einen Regierungsentwurf des ARUG II vorgelegt, der am 5. Juni 2019 Gegenstand der Anhörung des Rechtsausschusses war. Es zeichnen sich drei wesentliche Neuerungen ab:Erstens hat der Aufsichtsrat einer börsennotierten AG künftig ein Vergütungssystem für die Vorstandsmitglieder zu beschließen. Darin ist ein abstrakter Rahmen für die Vergütungsgestaltung festzulegen, u. a. im Hinblick auf die festen und variablen Vergütungselemente, die jeweiligen Leistungskriterien, das Zusammenspiel mit der Unternehmensstrategie, Rückforderungsmöglichkeiten (Claw-back) sowie die Berücksichtigung der Vergütungs- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer. Der Aufsichtsrat bindet sich durch das Vergütungssystem selbst und kann nur unter engen Voraussetzungen davon abweichen. Er sollte daher sorgfältig abwägen, wie konkret das Vergütungssystem gefasst sein soll und welche Spielräume im Einzelfall verbleiben. Transparenz ändert sichZweitens ändert das ARUG II die Vergütungstransparenz. Die individuellen Angaben im Anhang oder Lagebericht werden durch einen separaten Vergütungsbericht ersetzt. Die Möglichkeit, durch sogenannten Opt-out-Beschluss der Hauptversammlung von der individualisierten Offenlegung abzusehen, entfällt. Im Vergütungsbericht sind künftig auch Leistungen an ausgeschiedene Vorstandsmitglieder auszuweisen. Ferner ist der Vorstandsvergütung die Ertragsentwicklung des Unternehmens gegenüberzustellen (Pay/Performance-Sensitivität). Darüber hinaus ist ein Vergleich mit der durchschnittlichen Arbeitnehmervergütung in den letzten fünf Geschäftsjahren anzustellen. Die Kommission arbeitet derzeit noch an Leitlinien zur standardisierten Darstellung.Drittens erweitert das ARUG II die Kompetenzen der Hauptversammlung. Diese beschließt künftig (jährlich) über den Vergütungsbericht sowie (alle vier Jahre sowie bei wesentlichen Änderungen) über das Vergütungssystem. Im Gesetzgebungsverfahren ist derzeit noch nicht abschließend geklärt, ob der deutsche Gesetzgeber von seinem europarechtlichen Wahlrecht Gebrauch machen wird, die Vergütungsvoten nur beratend auszugestalten (Say on Pay). Experten haben im Rechtsausschuss teilweise rechtlich bindende Hauptversammlungsentscheidungen befürwortet. Diese hätten eine beachtliche Verschiebung des aktienrechtlichen Kompetenzgefüges zur Folge. Aufsichtsrat gefragtSo oder so ist der Aufsichtsrat mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Er wird bei den Vergütungsentscheidungen verstärkt die Aktionäre einzubinden haben und sollte bei ablehnenden Hauptversammlungsvoten die Reaktionsmöglichkeiten sorgsam abwägen.Wieder einmal ist die Vergütung von Vorstandsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften Gegenstand regulatorischer Maßnahmen. Über das Für und Wider der einzelnen Neuregelungen lässt sich sicherlich streiten. Die Praxis steht jedenfalls vor der Aufgabe, die (künftigen) Vorgaben aus ARUG II und gegebenenfalls neuem DCGK umzusetzen. Der Aufsichtsrat ist gut beraten, das bestehende Vergütungssystem zu überprüfen und etwaigen Anpassungsbedarf zu ermitteln. Angesichts der anhaltenden Diskussionen muss kein Prophet sein, wer mit weiteren regulatorischen Maßnahmen in der Zukunft rechnet. *) Dr. Roman Stenzel ist Counsel und Dr. Benedikt Hohaus Partner von P+P Pöllath + Partners.