Immobilien

Wundersame Geldvermehrung im Immobilienmarkt

Warum die Swiss Re ihre Londoner "Gurke" nach nur vier Jahren mit 100 Prozent Gewinn verkaufen kann

Wundersame Geldvermehrung im Immobilienmarkt

Von Daniel Zulauf, Zürich “The Gherkin”, der Londoner Büroturm mit der unverwechselbaren Form einer Essiggurke, kommt drei Jahre nach seiner Einweihung in neue Hände. Die Swiss Re verkauft das 200 Meter hohe Gebäude des Stararchitekten Norman Foster mit großer Wahrscheinlichkeit an die deutsche IVG Immobilien AG und wird glaubhaften Gerüchten zufolge rund 1,4 Mrd. Franken dafür erlösen. Die Transaktion ist beispielhaft für den Boom im europäischen Büromarkt, der nicht zuletzt durch die stark zunehmenden Kreditverbriefungen befeuert wird. IVG als KaufinteressentIVG ist im Vergleich zum weltgrößten Rückversicherer ein kleines Unternehmen. Das per Ende 2005 ausgewiesene Eigenkapital von 920 Mill. Euro reicht kaum, um den Großeinkauf auf die eigene Rechnung zu nehmen. Es ist deshalb anzunehmen, dass IVG den nötigen Kredit in kleine Stücke teilt, die als Anleihen bei Drittinvestoren platziert werden können.Die Nachfrage nach verbrieften Hypothekarkrediten für europäische Geschäftsliegenschaften ist so hoch wie nie zuvor. Seit Anfang des Jahres wurden nach Angaben der UBS sogenannte Commercial Backed Securities (CMBS) im Wert von 55 Mrd. Euro ausgegeben. Das ist ein Drittel mehr als im ganzen Vorjahr und dreieinhalb mal so viel wie im Jahr 2004. Verbriefungen höher verzinstVerbriefte Hypotheken werden generell etwas höher verzinst als gewöhnliche, qualitativ gleichwertige Anleihen. Pensionskassen, Versicherungskonzerne oder Hedgefonds, die im gegenwärtigen Tiefzinsumfeld erhebliche Schwierigkeiten haben, ihre hohen Mittelzuflüsse zu ansprechenden Renditen anzulegen, sind deshalb außergewöhnlich hungrig nach diesen Papieren. “Die Nachfrage ist enorm”, sagt Caroline Philips, Bereichsleiterin Verbriefung in der Commerzbank-Tochter Eurohypo in London, der Bank mit den meisten Immobilienkreditverbriefungen in Europa.Als Konsequenz der gestiegenen Nachfrage seien die Renditeaufschläge in diesen Papieren eingebrochen, erklärt Philips. Für die rasche Renditearbitrage sorgen Hedgefonds, die mit hohem Fremdkapitaleinsatz zu Werke gehen, um die Rendite ihrer eigenen Mittel noch etwas hinaufzuhebeln. Möglich ist das, weil die Banken den Markt großzügig mit Liquidität versorgen.Die Credit Suisse etwa erhöhte den Einsatz ihres Eigenkapitals für Verbriefungstransaktionen und andere besondere Immobilienfinanzierungen im dritten Quartal um mehr als 1 Mrd. Franken bzw. ein Drittel. Für neue Wetten auf die Aktienmärkte gab die Bank 80 % weniger Eigenmittel frei. Niedrige Zinsen als TreiberVerbriefungsspezialisten sehen den Hauptgrund für den gegenwärtigen Boom vor allem in den niedrigen Zinsen. In diesem Umfeld lohne es sich auch, kleine Renditeunterschiede konsequent auszunutzen. Nach Ansicht des UBS-Spezialisten Reto Bachmann hat auch der neue internationale Standard für die Eigenmittelunterlegung der Banken Basel II einen Einfluss auf die Dynamikder europäischen Kreditverbriefung. “Vor allem riskantere Ausleihungen könnten in Zukunft auch aufgrund von Basel II vermehrt verbrieft werden, weil sie mit mehr Eigenmitteln unterlegt werden müssen als Ausleihungen mit einem geringeren Risiko.”Tatsächlich entfernen europäische Banken neben Hypotheken vermehrt auch andere Kredite aus ihren Bilanzen, um sie als Anleihen verpackt im Publikum zu streuen. Das Emissionsvolumen für verbriefte Kleinkredite in Europa hat sich in den vergangenen drei Jahren von 1,1 Mrd. auf gegenwärtig 6,2 Mrd. Euro versechsfacht. Verbriefte Automobilkredite nahmen 2006 bislang um 56 % auf 12 Mrd. Euro zu .Rückläufig waren einzig verbriefte Kreditkartenschulden, und auch das nur deshalb, weil dieser Markt in Europa bislang fast nur in Großbritannien existiert und die Verschuldung der dortigen Konsumenten den Zenit überschritten hat. Gemessen am Emissionsvolumen, hat der europäische Verbriefungsmarkt im November eine Größe von über 420 Mrd. Euro erreicht – rund 25 % mehr als im Vorjahr. Zumindest Geschäftsimmobilien sind jetzt in Europa ähnlich leicht handelbar wie in Amerika, wo die Verbriefung von Hypothekarkrediten schon 30 Jahre alt ist.Zu den Profiteuren gehört nun auch die Swiss Re, die mit ihrem berühmten Londoner Büroturm in wenigen Jahren einen für Immobilien fast unglaublichen Gewinn von schätzungsweise 100 % erzielt. “Auffällig an dem Geschäft ist, dass die Swiss Re eine offensichtlich gute Immobilie weiterverkauft”, sagt Konrad Landolt, verantwortlich für die Vermarktung von Anlageobjekten bei der SPG Intercity in Zürich. Die hohen Preise hätten bei vielen Immobilieneigentümern zu einem Umdenken geführt. Gute Immobilien am Markt”Früher war es normal, nur die Mauerblümchen im Portefeuille zu verkaufen. Das ist nun anders”, sagt Landolt. Nach seiner Beobachtung bewegen sich die Preise für Objekte mit “soliden Mietern” auch nach dem starken Anstieg der vergangenen zwei Jahre weiter nach oben.In die Schweiz gelockt werden die Ausländer vor allem durch den im europäischen Vergleich hohen unterschied zwischen Hypothekarzins und Liegenschaftsrendite”, erklärt Jan Eckert, Leiter des Immobilien-Investmentbanking von Sal. Oppenheim in Zürich. “Die Lex Koller war eine Käseglocke für die Schweiz. In der Isolation machten ein paar wenige Investoren den Markt unter sich aus. Jetzt bläst auch hier der gleiche Wind wie im restlichen Europa.” Kaum KritikerWeder in den Aufsichtsbehörden noch in der Finanzakademie gibt es eine grundsätzliche Kritik am Prinzip der Kreditverbriefung. Prominente Warner gibt es trotzdem: Richard Edelstein, Professor an der Haas School of Business der kalifornischen Universität Berkeley, meinte vor einigen Monaten auf einer Podiumsdiskussion: Als Folge der Verbriefung habe es im Markt für amerikanische Geschäftsliegenschaften einen “Kapital-Tsunami” gegeben.”Das wird wohl noch eine Weile so bleiben, aber der Tsunami könnte sehr, sehr schnell wieder abfließen.” Ein überraschender Zinsanstieg und ein paar enttäuschende Investments könnten reichen. “Es besteht ein sehr hohes Risikopotenzial im Immobilienmarkt”, meint Edelstein. Die amerikanischen Befürchtungen könnten vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft auch in Europa auftauchen.