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Zeiten der Zocker in den Schwellenländern sind vorbei

Börsen-Zeitung, 4.4.2012 "Mit der zunehmenden Verschiebung der ökonomischen Machtverhältnisse kommt den Schwellenländern eine Schlüsselrolle bei der Lösung globaler Probleme zu", hat IWF-Generaldirektorin Christine Lagarde bei einem Besuch in...

Zeiten der Zocker in den Schwellenländern sind vorbei

“Mit der zunehmenden Verschiebung der ökonomischen Machtverhältnisse kommt den Schwellenländern eine Schlüsselrolle bei der Lösung globaler Probleme zu”, hat IWF-Generaldirektorin Christine Lagarde bei einem Besuch in Lateinamerika im Dezember 2011 betont. Die Schlüsselrolle spiegelt sich an den Märkten wider:Aktien aus den Schwellenländern lassen seit Jahresbeginn ihre Pendants aus den meisten anderen Regionen hinter sich. Für Januar und Februar summiert sich das Plus beim MSCI Emerging Markets Total Returns Dollar Index auf mehr als 18 %. Und vieles spricht dafür, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist – sofern die wichtigsten Antriebsfaktoren intakt bleiben und die bekannten Risiken weiter in Schach gehalten werden. In neuem LichtEine Anlage in den Schwellenländern galt lange als Spiel mit dem Glück. Kein Wunder, denn noch nicht einmal 20 Jahre ist es her, da stöhnte die Region unter wackeligen Haushalten, Währungskrisen und einer galoppierenden Inflation. Zwei Jahrzehnte später präsentieren sich die aufstrebenden Märkte in neuem Licht. Heute sind sie wichtige Handelspartner des Westens und haben bedeutende neue Märkte für Produkte und Dienstleistungen aus dem Boden gestampft. Inzwischen ist die Region dank solider Wirtschaftspolitik und steigender Binnennachfrage besser vor wirtschaftlichen Turbulenzen im Rest der Welt gefeit. Robustere Haushalte, geringere Auslandsschulden, höhere Devisenreserven, flexiblere Wechselkurse und eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte haben dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Bewegung in der PolitikUnd auch auf der politischen Bühne bewegt sich was. Armut, Arbeitslosigkeit und Diskriminierung sind laut Joseph Malema, Führer der Jugendorganisation des Afrikanischen Nationalkongresses in Südafrika, die drängendsten Probleme. In Russland wird Wladimir Putin zwar als neuer alter Präsident zurückkehren – aber in ein verändertes Russland. Immer lauter tönt der Ruf nach Reformen eines zunehmend einflussreichen Mittelstands, der seinen Platz in der Welt gefunden hat, vom Kreml aber ausgegrenzt wird. Gute PrognoseAuch künftig werden die Entwicklungsländer und die wachstumsstarken asiatischen Länder vor dem Hintergrund der unumkehrbaren Verschiebung der ökonomischen Machtverhältnisse die etablierten Volkswirtschaften hinter sich lassen. So lautet die Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF), der für die aufstrebenden und sich entwickelnden Volkswirtschaften mit einem Wachstum von 5,4 % in diesem Jahr rechnet, für die Industrieländer dagegen nur mit mageren 1,2 %. Während der Westen mit hoher Staatsverschuldung kämpft, bleiben viele Schwellenländer inzwischen bei diesem Thema gelassen. Sehr solide sind beispielsweise Chiles Staatsfinanzen, das deshalb Beschäftigung und Investitionen ankurbeln kann, sollte die Weltwirtschaft weiter an Schwung verlieren.Seit der Eskalation der Finanzkrise im Jahr 2008 steigt die Nachfrage nach Gütern aus den aufstrebenden Ländern – obwohl gleichzeitig die Bestellungen aus Europa deutlich weniger geworden sind. China ist Brasiliens größter Exportmarkt, nicht zuletzt für so wertschöpfende Güter wie Transportinfrastruktur und Flugzeuge. Auch Mexiko ist auf dem aufsteigenden Ast, denn immer mehr große Hersteller aus Amerika zieht es über die Grenze nach Süden. Tatsächlich kann Mexiko mit höherer Produktivität im Verhältnis zu den Lohnstückkosten aufwarten als diverse europäische Länder. Inflation im GriffPositiv entwickelt sich auch der Preisauftrieb, Fluch vieler schnell wachsender Länder. Allem Anschein nach ist er auf dem Rückzug, denn die im vergangenen Jahr in vielen Schwellenländern angezogenen geldpolitischen Zügel zeigen Wirkung. Seit Brasilien 1999 seine Geldpolitik auf ein Inflationsziel umgestellt hat, ist die Teuerung von über 12 % im Jahr 2002 auf nunmehr unter 6 % gesunken. Vorausschauend gehen unterdessen Chinas Währungshüter an das Thema Inflation heran. Sie gehörten zu den ersten, die die Zinsen anhoben. Nach Preissteigerungen von über 6 % im vergangenen Jahr hat sich die Teuerung bei den Verbraucherpreisen auf 3,2 % in diesem Februar nahezu halbiert.In vielen Ländern hat man zudem das Vermögen der Rentenkassen vorsorglich aufgestockt und sich damit unabhängiger von den internationalen Anleihemärkten gemacht. Chiles Rentensystem hat dabei Modellcharakter für die gesamte Region: Seine Pensionskasse ist mit 133 Mrd. Dollar prall gefüllt, die für Käufe eigener Staatsanleihen verwendet werden können. Weitere 13 Mrd. Dollar in Staatsfonds garantieren bei Bedarf fiskalischen Handlungsspielraum. Konsumgüter bevorzugtUnser Schwellenländerfonds ist gegenüber seinem Vergleichsindex derzeit in den Branchen Verbrauchs- und zyklische Konsumgüter am stärksten übergewichtet. Sie dürften neben der Werkstoffbranche und der Industrie am meisten von steigenden verfügbaren Einkommen profitieren. Nach Ländern aufgeschlüsselt, ist Russland der im Fonds am stärksten übergewichtete Markt. An den Börsen des Landes rechnen wir nach dem Ende der durch die Wahlen ausgelösten Unsicherheiten und dank günstiger Bewertungen mit deutlichen Kursgewinnen.Auch Brasilien ist wegen weiterer erwarteter Zinssenkungen einer unserer Favoriten. In China allerdings sind wir weniger stark als der Vergleichsindex engagiert, weil wir mit rückläufigen Unternehmensgewinnen rechnen. Unlängst haben wir allerdings selektiv Aktien von zum Beispiel Harbin Electric gekauft. Der Hersteller von Anlagen zur Stromerzeugung ist einer der Nutznießer der zahlreichen Stromausfälle und -engpässe im Reich der Mitte.Allerdings sind die Schwellenländer nicht völlig immun gegen eine Rückkehr der Risikoscheu. Die könnte sich einstellen, sollte sich die Wirtschaft in der Eurozone weiter abschwächen, die Erholung in den USA ins Stocken geraten oder sich das Wachstum in China weiter verlangsamen. Zudem müssen die aufstrebenden Länder dringend für eine bessere Ausbildung von Fachkräften sorgen, ihre Abhängigkeit vom Rohstoffexport verringern und Produktivität sowie Wettbewerbsfähigkeit steigern. Lohnendes RisikoTrotzdem hat es sich für langfristig orientierte Anleger auch in der Vergangenheit schon gelohnt, das mit einer Anlage in den Schwellenländern verbundene Risiko einzugehen. Überdies werden viele Unternehmen in der Region derzeit mit einem Abschlag verglichen mit ihren Pendants aus Amerika oder anderen Industrieländern gehandelt. Mit einer sicheren Anlage nicht zu verwechseln, sind die Schwellenländer heute aber nicht mehr das spekulative Investment, das sie einmal waren.