PORTFOLIO - GASTBEITRAG

Zweifel an Value at Risk

Börsen-Zeitung, 6.10.2012 Die Turbulenzen an den internationalen Kapitalmärkten in den vergangenen Jahren haben die Risikoaffinität der Anleger deutlich gesenkt. Unverändert populär blieben hingegen traditionelle Messparameter von Risiko. Das gilt...

Zweifel an Value at Risk

Die Turbulenzen an den internationalen Kapitalmärkten in den vergangenen Jahren haben die Risikoaffinität der Anleger deutlich gesenkt. Unverändert populär blieben hingegen traditionelle Messparameter von Risiko. Das gilt auch für deren darauf aufbauende Optimierungsmethoden. Hier sei das häufig im Portfoliomanagement verwendete Maß Value at Risk (VaR) genannt. Klar in der Aussage, leicht zu verstehen, bei Marktprofis wie Regulatoren gleichermaßen im Einsatz. Eine positive Ausnahme in der täglichen Überflutung von Marktinformation. Doch wie bei vielen anderen Berechnungen von Risikomaßen ist eine kritische Hinterfragung notwendig. Ist Kritik denn angebracht?Nehmen wir die Analyse des Risikomaßes Schritt für Schritt vor. Worum geht es beim VaR? Das Risikomaß gibt Antwort auf die Frage: “Wie viel kann ich verlieren?” Eine offensichtlich relevante Frage im Risk Management. VaR ist der maximale Betrag, der, gegeben eine bestimmte Halteperiode und ein bestimmtes Konfidenzintervall, verloren werden kann. Wir sprechen also von Verlustwahrscheinlichkeiten in einem bestimmten Zeitraum. An Bedeutung gewonnenDer VaR-Ansatz gewann vor allem zu Beginn der neunziger Jahre stark an Bedeutung. Die “Group of Thirty”, ein Zusammenschluss hochkarätiger Vertreter von öffentlichen und privaten Institutionen, befürwortete VaR als Risikomaß in ihrer 1993 erschienenen Studie “Derivatives: Practices and Principles”. Die Verwendung in J.P. Morgans Risk Metrics beschleunigte 1994 dessen Verbreitung in Banken und Asset-Management-Unternehmen und führte 1996 zur Aufnahme in den Basler Akkord, also die internationalen Bestimmungen zur Bankenregulierung, die 1988 von den G 10 in ihrer originären Fassung (Basel I) unterzeichnet wurden.In der Folge des großen Anklangs in der Finanzindustrie breitete sich das Maß auch auf andere Sektoren wie Industrie- und Handelsunternehmen aus. In deren Kontext wird es zur Messung von finanzwirtschaftlichen Risiken auf das Kerngeschäft verwendet.Es etablierten sich in den vergangenen Jahren drei gängige Berechnungsarten. Der Marktwert eines Portfolios wird für jeden Tag einer Periode, beispielsweise 100 Tage, bestimmt. Aus diesem Datensatz wird dann die Verteilung der Returns errechnet. Bei 100 Tagen wäre der VaR für eine tägliche Halteperiode und ein Konfidenzintervall von 95 % der Return des fünften schlechtesten Handelstages. Der Ansatz ist simpel zu berechnen und bedarf keiner Annahmen zur Verteilung der Returns. Die Schwierigkeiten liegen in der Bestimmung des richtigen Berechnungszeitraumes und der Annahme, dass die Vergangenheit extrapoliert werden kann. Returns normalverteiltEine weitere Möglichkeit ist der Varianz-Kovarianz-Ansatz. Er geht davon aus, dass Returns normalverteilt sind. Folglich benötigen wir die Schätzung von Erwartungswert E(r) und Standardabweichung SD eines Wertpapiers, um es grafisch darstellen zu können. Die Idee dieses Ansatzes ist ähnlich dem historischen, mit dem Unterschied, eine Normalverteilung statt der historischen Daten zu verwenden. Der Vorteil liegt darin, dass wir automatisch wissen, wo die schlechtesten 1 % bzw. 5 % an Tagesrenditen liegen, nämlich bei z-Werten von 2,33, respektive 1,65. Doch dieser Vorteil der einfachen Berechnung wird konterkariert von den Nachteilen der statischen Annahmen bei Verteilung und Kovarianz.Eine andere Variante ist die Monte-Carlo-Simulation. In einem ersten Schritt werden Annahmen über die zukünftige Marktentwicklung festgelegt. Auf Basis dieser Annahmen werden dann mit Hilfe eines Zufallsgenerators Returnverläufe erzeugt. Alle Positionen in einem Portfolio werden nun anhand dieser Verläufe bewertet. Basierend auf den kalkulierten Portfoliowerten kann nun wieder ein VaR errechnet werden. Als flexibler Ansatz, bei dem eine sehr hohe Anzahl von Szenarien erzeugt werden kann, ist die Qualität der Inputdaten von entscheidender Bedeutung. Aufgrund dieses “Garbage in, garbage out”Prinzips und der hohen Berechnungsintensität ist der Ansatz kaum alltagstauglich. Wirkung risikoverzerrendAlle drei haben gemeinsam, dass sie risikoverzerrend wirken und dem Anwender in ruhigen Zeiten ein rosarotes Wohlfühlambiente ermöglichen. Bereits 1997 wies der bekannte Finanzmathematiker Nassim Taleb in seinem “Against Value-at-Risk”-Artikel auf die Unzulänglichkeit des Risikomaßes hin: “Rule 2 – The large hit you will take next will not resemble the one you took last. Do not listen to the consensus as to where the risks are (i. e. risks shown by VaR). What will hurt you is what you expect the least”, schreibt Taleb.Noch setzen der Basel 2.5 Draft und die vorläufigen Solvency-II-Bestimmungen auf Value at Risk als Risikomaß. Doch zumindest in Basel scheint nun ein Umdenken einzusetzen. Anfang Mai wurde der aktuelle Review des “Basel Committee on Banking Supervision” veröffentlicht. Die “Financial Times” fasste die Einsicht des Committee mit den Worten “Killing VaR” zusammen.Was ist geschehen? Das Committee gestand sich die verzerrende Wirkung des VaR im Risk Management ein und empfahl ein Upgrade auf das sogenannte CVaR (= Expected Shortfall). Diese Positionsverschiebung darf durchaus als signifikant verstanden werden. Nach all den Jahren des Verdrängens von offensichtlichen Unzulänglichkeiten reagiert nun eine zentrale Stelle im internationalen Regulierungsnetzwerk auf die berechtigte Kritik. Als Alternative verwendetSehen wir uns kurz das nun empfohlene Risikomaß Expected Shortfall (ES) an. Das Conditional Value at Risk (CVaR), auch als Expected Shortfall (ES) beziehungsweise Expected Tail Loss (ETL) bezeichnet, wird immer häufiger als Alternative zum VaR angewandt. Dieser CVaR gibt an, welche Abweichung bei Eintritt des Extremfalls, d. h. bei Überschreitung des VaR, zu erwarten ist. Dieser CVaR berücksichtigt somit nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer “großen” Abweichung (Extremwerte), sondern auch die Höhe der darüber hinausgehenden Abweichung.CVaR ist keine Neuentdeckung als Risikomaß. Gemeinsam mit MVaR (Modified Value at Risk) galt es am Markt unter bestimmten Voraussetzungen bereits vor dem Basler Umdenken als probate Weiterentwicklung. Nun kommt es auf die regulatorischen Ausgestaltungsvorgaben an, ob CVaR tatsächlich seine Vorteile ausspielen kann. Ein Beispiel: Unter der Prämisse der Normalverteilung bietet sich kaum ein Vorteil gegenüber dem Standardmodell.Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Vorsicht gegenüber VaR-optimierten Portfolios angesagt ist. Wenn Finanzprodukte VaR als Risikomaß ausweisen, sollte immer nach der Berechnungsart und den Basisannahmen gefragt werden. Wenn schon ein VaR-basiertes Risikomaß in der Portfoliosteuerung, dann sollte eher auf CVaR oder MVaR zurückgegriffen werden.—-Panthera Solutions ist ein Beratungsunternehmen für Alternative Investments.