Forschungsstandort

Die deutsche Biotechnologie kann mehr als Impfstoff

Der herausragende Erfolg mit Corona-Impfstoffen hat innovative Firmen wie Biontech und Co. weltweit ins Rampenlicht gerückt. Das Potenzial der Biotech-Branche in Deutschland ist damit aber nicht erschöpft.

Die deutsche Biotechnologie kann mehr als Impfstoff

Die deutsche Biotechnologie
kann mehr als Impfstoff

Der herausragende Erfolg mit Corona-Vakzinen hat Biontech und Co. weltweit ins Rampenlicht gerückt. Das Potenzial der Branche ist damit aber nicht erschöpft.

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Der Erfolg des Mainzer Unternehmens Biontech mit Corona-Impfstoffen hat weltweit den Blick auf die deutsche Biotechnologie gelenkt. Investoren aus den USA und aus Asien schauten sich plötzlich verstärkt auch im hiesigen Markt um, Finanzierungen mit Risikokapital waren in der traditionell monetär eher unterversorgten deutschen Sparte leichter zu bekommen.

Nach den Corona-Boomjahren hat sich die Euphorie wieder gelegt. Gleichwohl gab es 2022 und auch im ersten Halbjahr 2023 noch positive Signale, was Venture Capital und Deal-Aktivität anbelangt, wenngleich der Bedarf insbesondere für Late-Stage-Finanzierungen immer noch deutlich höher ist als das Angebot. Über allem steht die Frage im Raum, ob die deutsche Biotechnologie dauerhaft attraktiv bleiben kann.

"Keine Eintagsfliege"

"Der Impfstofferfolg war keine Eintagsfliege in der deutschen Biotechnologie", unterstreicht Klaus Ort, Leiter des Marktsegments Life Sciences & Healthcare bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Er erinnert daran, dass die ersten Versuche zu der mit den Corona-Vakzinen bekannt gewordenen Technologie der Messenger RNA (mRNA) mehr als 30 Jahre alt sind. "Die Technologie hat sich lange nicht durchsetzen können, sie war noch relativ unerforscht, und man hat mehr die Probleme gesehen als die Potenziale. Doch es war eine visionäre Technologie", erklärt der Biotech-Experte.

Auch das Umfeld habe den Forschungsansatz nicht unterstützt, denn Gentechnik an sich habe nicht die beste Reputation. "Diese gesellschaftspolitische Stimmung hat sich über die vergangenen 30 Jahre herausgebildet. Das hat die Investitionsbereitschaft in genbasierte Technologien gehemmt", sagt Ort.

Starke Grundlagenforschung

Die Grundlagenforschung hält er für eine der Stärken in Deutschland, sie wird staatlich gefördert. Darüber hinaus sei es aber entscheidend, das Potenzial der Forschungsansätze zu erkennen. "Das ist im Fall der mRNA bis zu den Impfstoffen in der Pandemie kaum gelungen. In der Nutzung des Potenzials der mRNA-Technologie stehen wir auch nach dem Impfstofferfolg  erst am Anfang", sagt Ort. Er bezeichnet den Ansatz als eine „selbstheilende“ Therapie. "Wir bringen mit der mRNA die richtige Bauanleitung in unsere Zellen, und der Körper entwickelt sozusagen das Medikament. Die Möglichkeiten, das menschliche Immunsystem darin anzuleiten, bestimmte Proteine zu bauen und damit Krankheiten zu bekämpfen, sind schier unendlich."

Biontech testet therapeutische mRNA-Vakzine gegen diverse Krebsarten und hatte im Herbst von ersten Anzeichen einer Wirksamkeit vor allem für schwer zu behandelnde Formen gesprochen. Das Unternehmen forscht an zwei Dutzend Studien zur Krebstherapie. Die Milliarden-Erträge aus dem Corona-Impfstoffgeschäft haben der Mainzer Firma mehr finanziellen Spielraum gegeben, um Forschung und Entwicklung zu forcieren.

Aus Sicht von Manuel Bauer, Leiter Biotech bei EY Deutschland, hat die Biotech-Industrie in der Breite aufgeholt. Die Stärke der Branche werde auch darin sichtbar, dass von aktuell ungefähr 6.000 klinischen Studien weltweit rund 65% von Biotech-Unternehmen stammten. "Das unterstreicht die Dominanz und die Innovationskraft dieses Segments", sagt Bauer. Es steigere auch den Appetit großer Pharmakonzerne für Partnerschaften in diesem Kreis oder für Übernahmen.

Politik gefordert

Die Innovationskraft der Biotech-Industrie werde unterdessen im Markt gut erkannt. Defizite sieht Bauer aber aufseiten des Staates: "Die Regierungen unterschätzen leider das Potenzial der Branche. Die Politik hätte den Trend weiter stützen müssen, nicht nur mit Geld, sondern mit verbesserten Rahmenbedingungen." Für nötig hält er Vereinfachungen etwa für die Durchführung von klinischen Studien und für die Produktzulassung. "Zudem braucht es gesellschaftspolitische Aufklärungsarbeit, um die Allgemeinheit davon zu überzeugen, dass Gentechnologie eine Chance für unsere Zukunft ist."

Aus Sicht der Berater sollte mehr Augenmerk auf das Umfeld gelegt werden. "Um weltweit Vorreiter zu sein, brauchen wir intelligente Köpfe, eine gute Schulbildung, gute Leute und weiterhin verstärkte Investitionen in die Grundlagenforschung.  Und dann müssen wir den Bogen schaffen zur Marktreife innovativer Produkte. Dafür braucht es eine höhere Risikobereitschaft", fasst es Bauer zusammen.  

Auch über die mRNA-Technologie hinaus werden deutschen Biotechfirmen in der Branche vielversprechende Forschungsansätze zur Entwicklung neuer Therapien bescheinigt. Die Forschung sei hierzulande sehr breit aufgestellt, es gebe zahlreiche Technologieplattformen mit verschiedenen Wirkstoffklassen über alle Entwicklungsphasen hinaus. Das verspreche ein hohes wirtschaftliches Potenzial. Die Behandlungsoptionen zielen auf Krankheiten mit hohem medizinischem Bedarf wie Krebs, Infektions- und Autoimmunerkrankungen.

KI in der Forschung

Die Innovationskraft spiegelt sich in der Produkt-Pipeline der deutschen Biotech-Firmen, die gefüllt ist wie nie zuvor. Die Beratungsgesellschaft EY zählt in dem Segment derzeit 169 klinische Studien in den Phasen 1 bis 3, Ende des Jahres 2022 seien es 145 gewesen.

Eine immer größere Rolle spielt der Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Optimierung von Forschung und Entwicklung in Pharma- und Biotech-Industrie. Auf dem Gebiet sind Start-ups wie Exazyme aus Berlin oder Biotx.ai aus Potsdam am Ball. Exazyme hat eine KI-getriebene Protein-Design-App entwickelt, die Forschern hilft, das bestmögliche Protein für ihre Zwecke zu finden. Biotx.ai bietet eine KI, die klinische Studien in humanen genetischen Daten nachbildet. Auch das Darmstädter Traditionsunternehmen Merck hat jüngst die erste KI-Lösung für integrierte Wirkstoffforschung und -synthese eingeführt, um die klassische Arzneimittelentwicklung zu beschleunigen.

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