Globales Schneckenrennen um Basel III
Globales Schneckenrennen um Basel III
Europas Banken schimpfen über angeblich zu enge Zeitpläne bei der Umsetzung neuer Kapitalvorgaben. Gegenüber US-Konkurrenten winken ihnen aber Vorteile.
Von Alex Wehnert, New York
Quälend langsam schleppen sich die Europäische Union und die USA bei der Umsetzung neuer Eigenkapitalvorschriften voran. Doch 2024 soll das Schneckenrennen um das globale Bankenpaket Basel III endlich an Fahrt gewinnen – rund 16 Jahre nachdem die Weltfinanzkrise mit dem Kollaps von Lehman Brothers ihren Höhepunkt fand. Am 16. Januar läuft in den Vereinigten Staaten die Konsultationsphase zu den Vorschlägen ab, die Regulatoren um die Federal Reserve zur Ausgestaltung neuer Kapital- und Liquiditätsvorgaben gemacht haben. Dann dürften die Karten im Standortwettbewerb der Finanzplätze weltweit neu gemischt werden.
Massive Mehranforderungen
Die US-Kreditwirtschaft läuft seit der Vorstellung der Reform im Juli gegen die Pläne von Fed & Co. Sturm. Denn durch diese soll der Mindestwert für die harten Kernkapitalquoten (CET1) amerikanischer Bankholdings um aggregiert 16% steigen. Betroffen sind Häuser mit einer Bilanzsumme ab 100 Mrd. Dollar, wobei Instituten mit Assets von bis zu 250 Mrd. Dollar mitunter wohl lediglich Aufschläge von 5% drohen. Auf die größten und komplexesten Banken rollen unterdessen Mehranforderungen von bis zu 20% zu. Europas Banken müssen laut der Aufsichtsbehörde EBA im Schnitt nur mit Tier-1-Aufschlägen von 9% ab 2028 rechnen.
„Die Anhebung der Kapitalvorgaben ist vollkommen ungerechtfertigt“, schimpft das Bank Policy Institute, der Interessenverband der größten US-Geldhäuser. Die Branche sei nach jedem glaubwürdigen Maß außerordentlich gut kapitalisiert und habe diverse reale Stresssituationen gut überstanden, darunter die Coronakrise.
Kritik an Regulatoren
Weitere Stimmen an der Wall Street kritisieren, die Regulatoren um Fed-Vize Michael Barr hätten sich durch die massive Kritik an ihren Institutionen im Zuge der Regionalbankenkrise im Frühjahr unter Druck setzen lassen und bereits auf den Weg gebrachte Regeländerungen noch ausgeweitet. In die gleiche Kerbe schlugen auch die CEOs der führenden Geldhäuser der Vereinigten Staaten sowohl im Zuge der Berichtssaison zum dritten Quartal als auch während einer Senatsanhörung Anfang Dezember.
„Die Wettbewerbsfähigkeit des US-Kapitalmarkts wird leiden“, unterstrich David Solomon, Vorstandsvorsitzender von Goldman Sachs, im Kongress. Die Pläne der US-Regulatoren gingen über die Vorgaben des Basel-III-Standardwerks hinaus, auf das sich Zentralbankchefs und Aufseher 2017 verständigt hätten. „Das Ziel eines jeden Finanzzentrums der Welt ist es, dem amerikanischen Kapitalmarkt Anteile abzunehmen“, führte Solomon aus. Leider hätten die US-Regulatoren der Branche bei ihren Basel-III-Plänen nicht die gleiche Flexibilität eingeräumt wie ihre europäischen Pendants. Damit würden sich Unternehmen künftig verstärkt an europäische Banken wenden, um günstigere Finanzierungen zu erhalten.
Belastung für die Gesamtwirtschaft befürchtet
Auch der Branchenverband Securities Industry and Financial Markets Association (SIFMA) betont, dass die Kreditkosten in fast allen Bereichen durch die neuen Regeln steigen würden. Dies könne durchschlagende Wirkung auf die Gesamtwirtschaft haben. Das Bank Policy Institute will gar errechnet haben, dass eine Anhebung der vorgeschriebenen harten Kernkapitalquoten um einen Prozentpunkt das Bruttoinlandsprodukt jährlich um 16 Basispunkte belasten werde, dies entspreche einem Output-Verlust von jeweils rund 42 Mrd. Dollar per annum.
Allerdings fühlen sich nun, da das Schneckenrennen um die auch als „Basel IV“ bekannte Finalisierung von Basel III endlich Fahrt aufnimmt, nicht nur die US-Banken unter Druck gesetzt. Während Amerikas Geldhäuser über eine unmäßige Härte der neuen Vorschriften klagen, ächzen die europäischen Institute unter angeblich zu eng getakteten Zeitplänen.
Die Bankenverbände in der Europäischen Union forderten bei der Umsetzung von Basel III zuletzt eine Frist von mindestens 18 Monaten, damit würden striktere Kapitalvorgaben nicht vor Mitte 2025 greifen. EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness pocht allerdings darauf, dass die neuen Regeln ab Januar 2025 gelten. In den USA sehen die Pläne der Regulatoren hingegen vor, dass die Basel-III-Reformen stufenweise zwischen Juli 2025 und 2028 in Kraft treten sollen.
McGuinness hält Kritikern aus der europäischen Branche entgegen, das Europäische Parlament und der Rat hätten für die nötige Flexibilität gesorgt, um Wettbewerbsnachteile zu verhindern – zum Beispiel bei der Anwendung von Vorschriften für Marktrisiken. Auch den sogenannten Output Floor, durch den Abweichungen zwischen internen Berechnungen für den Eigenkapitalbedarf und den vom Kreditrisiko-Standardansatz vorgegebenen Werten begrenzt werden, werde die EU bis 2030 schrittweise einführen. Kritiker werfen Brüssel vor, bei den Plänen zu Basel III sogar hinter dem internationalen Rahmenwerk zurückzubleiben.
Nachteile gegenüber Nichtbanken
Die US-Branche fürchtet durch härtere Vorgaben indes nicht nur Nachteile gegenüber europäischen Konkurrenten, sondern auch gegenüber Intermediären ohne Einlagengeschäft. Das Investmenthaus Nomura erwartet, dass Amerikas Banken schon vor der Anwendung der Vorschriften riskante Assets abbauen werden – diese dürften verstärkt den Nichtbanken zufallen, die auf hohen Kapitalzusagen säßen. Dies bedeute auch, dass diese Credit-sensitiveren Assets außerhalb regulatorischer Kontrolle gerieten. Ratingagenturen wie Moody’s warnen daher vor Stabilitätsrisiken. Nach dem Schneckenrennen um Basel III droht also eine Schleimspur im Markt zurückzubleiben, auf der viele Teilnehmer ausrutschen könnten.