US-Quälgeister machen Spiel am Kryptomarkt kaputt
US-Quälgeister machen Spiel am Kryptomarkt kaputt
Krypto-Anleger hoffen auf institutionelle Mittelzuflüsse. Laut Analysten unterschätzen sie aber die US-Behörden, deren hartes Vorgehen regulatorische Fortschritte in Europa übertöne.
Von Alex Wehnert, New York
Fiese Quälgeister aus den USA setzen dem jungen Kryptomarkt schwer zu. Denn Amerikas Regulierungsbehörden dürften ihr hartes Vorgehen gegen Digital-Assets-Dienstleister auch im neuen Jahr kaum zurückfahren – obwohl sich zuletzt die Hoffnung auf eine baldige US-Zulassung von Exchange-Traded Funds ausgebreitet hat, die direkt in Bitcoin investieren. Der Kurs der führenden Digitalwährung legte, vor allem getrieben durch die Indexfonds-Spekulationen, zwischen Anfang 2023 und kurz vor Weihnachten um 160% zu.
Damit treibt die führende Cyberdevise die Kapitalisierung des Kryptomarkts an, in dem auch andere Vertreter wie Ether zuletzt starke Aufschwünge hingelegt haben. Nachdem der Gesamtwert aller umlaufenden Digitalwährungen im Zuge der Rekordrally 2021 in Richtung von 3 Bill. Dollar geklettert war, fiel er nach der geldpolitischen Wende der Federal Reserve 2022 unter die Billionenmarke zurück. Inzwischen hat er sich laut der Plattform Coinmarketcap auf rund 1,6 Bill. Dollar zurückgekämpft. Bitcoin nahm Mitte Dezember mit einem Anteil von 53% den größten Platz im Sandkasten ein.
ETFs als Katalysatoren für Mittelzuflüsse
Den Hintergrund der Rally bildet ein Urteil eines US-Berufungsgerichts, das im August einen ablehnenden Bescheid der Börsenaufsicht SEC gegen die Investmentgesellschaft Grayscale aufhob – diese will ihren Bitcoin Trust in einen Spot-ETF umwandeln. Nun liegen der Behörde Anträge großer Vermögensverwalter wie Blackrock und Invesco auf solche Indexfonds vor. Mit einem grünen Licht für Spot-Vehikel verbinden Krypto-Enthusiasten die Hoffnung, dass endlich die großen Jungs auf den Digital-Assets-Spielplatz stürmen und Bitcoin zum 15. Geburtstag aus dem Sandkasten helfen. Denn ETFs gelten als Katalysator für großvolumige institutionelle Mittelzuflüsse in den Markt. Doch die Hoffnungen auf einen nennenswerten Einstieg führender Investoren, warnen Analysten, dürfte voreilig sein.
Im Jahr 2021 brach sich auf dem Krypto-Spielplatz schon einmal ausgelassene Stimmung Bahn. Damals erteilte die SEC Futures-basierten ETFs auf Bitcoin die Freigabe, die führende Digitalwährung kletterte in der Folge auf ein Rekordhoch von nahezu 69.000 Dollar. Doch die Spekulation auf nachhaltige Mittelzuströme in den Markt ging nicht auf. Denn Preisdifferenzen zwischen dem Termin- und dem Spotmarkt machen den Handel mit Futures-ETFs ineffizient und für institutionelle Investoren in der Breite unattraktiv. Hinzu kommen hohe Kosten, die durch das monatliche Rollen in den jeweils nachfolgenden Kontrakt entstehen.
Diese Probleme und Ineffizienzen fallen bei direkt auf dem Spotmarkt aufsetzenden Indexfonds hingegen weg, erläutert Christopher Mellor, Leiter des europäischen ETF-Produktmanagements von Invesco. Zudem seien institutionelle Investoren "im Umgang mit ETFs vertraut, die Vehikel erfüllen in der Regel auch hohe Ansprüche an die Sicherheit und Verwahrung der Basisassets“. Wie die DZ Bank betont, könnte angesichts der billionenschweren verwalteten Vermögen dieser Marktteilnehmer "bereits eine geringe Allokation in den Portfolios einen bedeutenden Einfluss auf Kryptowährungen haben". Der Vermögensverwalter Coinshares geht davon aus, dass der Start von Spot-ETFs Mittelzuflüsse von 14,4 Mrd. Dollar binnen eines Jahres freisetzen könnte – diese würden damit rund doppelt so hoch ausfallen wie 2021.
Leerverkäufe ziehen an
Tatsächlich hat sich die Aktivität institutioneller Teilnehmer im Kryptosegment zuletzt bereits ausgeweitet. Das entfaltet trotz der hochfliegenden Hoffnungen auf den Spotmarkt paradoxerweise Wirkung an den Terminbörsen: Assetmanager hielten in Bitcoin-Futures an der Chicago Mercantile Exchange Mitte Dezember Netto-Long-Positionen im Volumen von nahezu 2,6 Mrd. Dollar, wie aus Statistiken des Derivateregulators CFTC hervorgeht. Vor einem Jahr beliefen sie sich noch auf etwas mehr als 433 Mill. Dollar. Doch auch das Interesse der Leerverkäufer ist gewachsen: Hedgefonds kamen per saldo auf Short-Positionen von 1,8 Mrd. Dollar nach lediglich 146 Mill. Dollar im Dezember 2022.
Krypto-Enthusiasten betonen, dass die anziehende Leerverkaufsaktivität ebenfalls Zeichen für eine Reifung eines Markts sei, der durch den Start von Spot-ETFs den nächsten Wachstumsschub erhalten werde. Die DZ Bank zeigt sich jedoch vorsichtiger und rät dazu, den Hype um Indexfonds nicht überzubewerten. "Nicht nur fehlt trotz einiger positiver Anzeichen nach wie vor das grüne Licht der SEC", betonen die Analysten – und dass die Börsenaufsicht bei ihren offensiven Investorenschutz-Ambitionen ausgerechnet im US-Wahljahr 2024 schnell einknickt, gilt unter Regulierungsexperten als unwahrscheinlich. Zudem sei in den Vereinigten Staaten nach wie vor kein einheitliches Kryptoregelwerk vorhanden.
Ohne einen solchen Rahmen und die damit verbundene Rechtssicherheit dürften sich institutionelle Investoren laut der DZ Bank aber schwertun, nennenswert in den Markt einzusteigen. Diese Einschätzung vertritt auch Lynn Martin, Präsidentin der New York Stock Exchange, im Interview der Börsen-Zeitung. Immerhin sei um den ETF-Markt aber "ein Dialog entstanden", führt die Börsenchefin aus. Die meisten großen Vermögensverwalter wollen ihre Spot-Indexfonds auf Bitcoin auf der Plattform Nyse Arca listen.
Absage an Rahmenwerk
Das Problem: Der Quälgeist SEC zeigt unabhängig von möglichen ETF-Freigaben keinerlei Ambitionen, ein eigenes Regelwerk für Kryptowährungen anzustoßen. Behördenchef Gary Gensler erteilte entsprechenden Überlegungen im alten Jahr in Kongressanhörungen klare Absagen. Der Großteil der 10.000 bis 12.000 insgesamt am Markt verfügbaren Cyberdevisen stehe in Verbindung mit Unternehmen, auf deren Erfolg Investoren durch ihr Krypto-Investment setzten – damit handle es sich bei den Token effektiv um Wertpapiere.
Zu diesen bestünden indes bereits Regelwerke, für deren Überwachung mit der SEC schon eine von zwei Kongressausschüssen kontrollierte Behörde zuständig sei. Wenn der Senat und das Repräsentantenhaus allerdings in Bezug auf eine neue Regulierung tätig würden, sei es entscheidend, dass bestehende Gesetze dadurch nicht unterminiert würden. Schließlich hielten sich viele Kryptobörsen nicht an geltendes Recht. Gensler lässt seiner Kritik an den Handelsplattformen regelmäßig ein hartes regulatorisches Vorgehen über Vollstreckungsmaßnahmen folgen.
Im gerade abgelaufenen Jahr verklagte die SEC führende Kryptodienstleister wie Coinbase und Kraken wegen mutmaßlicher Verstöße gegen den Investorenschutz. Sie wirft ihnen vor, wahlweise ohne Lizenz als Börse, Broker oder Dealer agiert und nicht registrierte Wertpapiere zum Handel angeboten zu haben. Im Fall von Kraken kommt der Vorwurf hinzu, die Handelsplattform habe Kunden- mit Eigenmitteln vermischt und damit ein "signifikantes Verlustrisiko" für Anleger heraufbeschworen.
Die Verwendung von Kundengeldern durch Kryptobörsen steht spätestens seit dem Kollaps von FTX im November 2022 stark im Fokus. Zuletzt sprach ein New Yorker Gericht deren Gründer Sam Bankman-Fried des Betruges schuldig. Einer der zentralen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft: FTX habe Kundenmittel missbraucht, um Trades der Schwesterfirma Alameda Research zu finanzieren.
Sorge vor Binance-Untergang
Angestachelt durch den Zusammenbruch der Plattform haben neben der SEC auch weitere Regulatoren begonnen, die Digital-Assets-Branche wesentlich stärker zu piesacken. Auch die Derivate-Aufsicht CFTC wird beispielsweise mit Klagen aktiv. Zuletzt war die Behörde auch in den 4,3 Mrd. Dollar schweren Vergleich der global führenden Kryptoplattform Binance involviert, mit dem diese strafrechtliche Ermittlungen des US-Justizministeriums wegen mutmaßlicher Geldwäsche, Bankbetrugs und Sanktionsverstößen sowie eben auch zivilrechtliche Klagen mehrerer Regulatoren beilegte.
Die SEC jedoch nahm nicht an den Verhandlungen teil, sondern führt einen eigenen Rechtsstreit gegen Binance mit ganz ähnlichen Vorwürfen wie gegen Coinbase und Kraken fort. Beobachter wie der ehemalige Aufsichtsbeamte John Reed Stark glauben, dass die Behörde Eingeständnisse des Fehlverhaltens von Binance aus dem jüngsten Vergleich nutzen könnte, um die eigene Position gegenüber der Plattform zu stärken. Die Gefahr eines Untergangs der global führenden Kryptobörse gilt damit noch nicht als gebannt, zumal Binance in den kommenden Jahren wohl unter deutlich engerer und härterer regulatorischer Kontrolle operieren müssen wird als vor dem Deal mit dem Justizministerium und der CFTC. Gelingt dem neuen CEO Richard Teng nicht die Wende, würde dies für die Stimmung auf dem Krypto-Spielplatz den nächsten harten Schlag bedeuten.
Mehr Harmonie in Europa
Im europäischen Krypto-Sandkasten spielen Regulatoren und Marktteilnehmer wesentlich harmonischer miteinander. Im Juni unterzeichneten EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und Vertreter der damaligen schwedischen Ratspräsidentschaft die Richtlinie "Markets in Crypto Assets" (Mica), durch die Brüssel zum Standardsetzer bei der Regulierung digitaler Vermögenswerte wurde.
Es entsteht ein europäischer Rahmen, der Kryptowerte näher definiert und Regeln etwa für Zulassung, Aufsicht, Produktinformation und Verwahrung aufstellt. Nicht nur Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether, sondern auch die für das Ökosystem zentralen, an Basiswerte wie den Dollar gekoppelten Stablecoins fallen unter die EU-Verordnung, die überwiegend ab Anfang 2025 wirksam wird.
Zwar warnte die EU-Wertpapieraufsicht ESMA die Mitgliedstaaten im Oktober davor, Übergangsfristen bei der Umsetzung von Mica voll auszunutzen, da dann ein Flickenteppich aus Ländern mit mehr oder weniger fortschrittlichen Regulierungen drohe. Grundsätzlich sei der Prozess in der EU aber sehr auf Kooperation und Vereinbarkeit des neuen Rahmenwerks mit bestehenden Regeln ausgelegt, betont der Branchenverband European Blockchain Association.
Warnung vor Mittelabfluss aus USA
Dagegen erschweren die US-Quälgeister der Branche das Wachstum. Branchenvertreter argumentieren, dass die Vereinigten Staaten durch ihr hartes Vorgehen gegen Digital Assets die Innovation einschränken und den eigenen Status als führender Finanzmarkt gefährdeten. So warnte Hany Rashwan, CEO des Assetmanagers 21.co, in der Börsen-Zeitung bereits im Sommer davor, dass US-Mittel verstärkt ins Ausland abfließen könnten.
Allerdings stellt sich laut Analysten die Frage, wer was dringender braucht: Die USA die Innovation durch digitale Anlagen oder die Kryptobranche die Akzeptanz in den Vereinigten Staaten als führendem Kapitalmarkt. Die Hoffnung, die Anleger in die Spot-ETF-Zulassungen setzten, deute eher auf Letzteres hin.
Karl Gero Wendeborn, CEO der Investmentfirma NFTrust, verweist zudem auf die Effekte einer institutionellen Adoption von Kryptowährungen. Denn desto mehr große Adressen im Segment aktiv seien, desto stärker werde dieses abhängig von der Entwicklung des Gesamtmarkts. Faktoren wie die Inflation und Zinsentwicklung erhielten damit höhere Bedeutung für Kryptowährungen. In anderen Assetklassen seien dagegen auf absehbare Zeit attraktivere Alternativrenditen verfügbar, betont die DZ Bank. Die Stimmung auf dem Krypto-Spielplatz droht damit einmal mehr zu kippen.