Abwehrplan gegen Netflix gesucht
Die deutschen TV-Anbieter, zu denen sich inzwischen auch fast alle großen Telekomunternehmen zählen, stehen vor einer Herausforderung. Auch in diesem Geschäft greifen die US-Internetriesen an, und zwar nach dem Prinzip “klotzen, nicht kleckern”. Die Telekom überdenkt ihre Contentstrategie.Von Heidi Rohde, zzt. KölnDie Digitalisierung der Medienlandschaft, die damit einhergehende Fragmentierung des TV-Marktes, der Siegeszug von Netflix und der Angriff von Amazon lassen die deutsche Medien-, Kabel- und Telekombranche näher zusammenrücken. In einer Podiumsdiskussion auf der Breitbandmesse Anga Com, an der auch Telekom-Deutschland-Vorstand Niek Jan van Damme und Vodafone-Deutschland-Chef Hannes Ametsreiter teilnahmen, plädierte u.a. Unitymedia-CEO Lutz Schüler für ein Stück Kooperation, beispielsweise bei der Vermarktung von exklusivem Content: “Es ist an der Zeit, dass wir langsam aufwachen.” Insbesondere die Strategie von Amazon, die kürzlich in die Eigenproduktion von Filmen bzw. Serien eingestiegen ist und dabei nicht nur den Streamingdienst Netflix ins Visier nimmt, sondern dabei ist, erneut ein eigenes internetbasiertes Ökosystem aufzubauen, bezeichnete er als Gefahr für die TV-Sender ebenso wie für alle Netzbetreiber in diesem Geschäft: “Wir nehmen das sehr ernst, denn wir müssen dafür sorgen, dass die Kunden weiterhin unsere Horizon-Plattform nutzen und nicht weggelockt werden.”Der Vorstoß von Amazon in der TV-Produktion bedrohe auch die Werbepreise und damit die Umsätze der TV-Sender. RTL-Chefin Anke Schäferkordt räumte ein, dass die “Fragmentierung des Marktes überall eine Folge der Digitalisierung ist”. Je mehr zielgruppengerichtete Angebote es im TV gebe, desto stärker gerieten etablierte Marktanteile unter Druck, mit den bekannten Folgen bei den Werbeerlösen, die traditionell quotenabhängig sind. Auch RTL will sich daher Kooperationen öffnen, zentral sei für den Sender aber ein “exklusives Content-Angebot”, das geeignet sei, Interesse bei einem breiten Publikum zu finden.Dafür hat der Bezahlsender Sky bereits tief in die Tasche gegriffen. Im Herbst startet die in Kooperation mit der ARD produzierte Serie “Babylon Berlin”, für die Sky-Deutschland-CEO Carsten Schmidt ein Budget von rund 40 Mill. Euro bestätigte. Damit will Sky ihr jahrelang mehr oder minder komplett auf exklusive Fußballrechte zugeschnittenes Geschäftsmodell entscheidend erweitern und die Zielgruppe ausdehnen. Die Neuausrichtung, die in vollem Gange ist, trägt auch dem Sinneswandel in der Telekombranche Rechnung, bei der sich Unternehmen wie Deutsche Telekom, Telefónica und BT Group in den vergangenen Jahren verstärkt um Sportrechte, insbesondere im Fußball bemüht hatten, um ihr eigenes TV-Produkt aufzuwerten.Telekom-Deutschland-Vorstand van Damme signalisierte in diesem Zusammenhang eine Neubewertung von Content in der Strategie der Telekom. Der Konzern verfolgt bisher im wesentlichen eine deutlich risikoärmere Plattformstrategie. Die TV-Plattform Entertain präsentiert sich ebenso wie das TV-Angebot von Vodafone oder auch “Horizon” von Unitymedia als eine Art Generalschlüssel zu Fernsehen, Video, Pay-TV und Streamingdiensten. Aber van Damme betonte, dass sich das zunehmend ändern soll. “Wir glauben an exklusiven Content. Es lohnt sich.” Gerade der Erwerb von Sportübertragungslizenzen, bei denen Fußball natürlich ein Publikumsmagnet sei, habe gezeigt, dass die Kunden ihre “Kaufentscheidung für Entertain oft deswegen treffen”. Die Telekom habe einen “dreistelligen Millionen-Euro-Betrag” für Content budgetiert. Auf die Frage von Moderator Claus Strunz nach “eigenem originärem Content”, dem Ametsreiter für Vodafone nach wie vor eine klare Absage erteilte, sagte van Damm:. “Wir sind da einen Schritt weiter. Darüber denken wir ganz stark nach.” Es liefen zur Zeit “sehr viele Gespräche”. Geteilte MeinungenUnter den Netzbetreibern, sowohl bei Kabel- als auch Telekomfirmen, scheidet die “Contentfrage” die Geister. Ametsreiter betonte, Vodafone setze in Deutschland weiterhin auf eine “offene Plattform”, um dem Kunden ein möglichst breites Inhalteangebot “zugänglich” zu machen. Er verwies auf negative Erfahrungen des Mutterkonzerns in Spanien, wo die Anbieter im Wettbewerb um teuren Content eher Geld versenkt hätten (je 300 Mill. Euro), ohne dass sie ihre Wettbewerbsposition erkennbar verbessern konnten.Die Unternehmen beschäftigt dabei auch die Frage, wie teure Contentkäufe in den Kundenverträgen refinanziert werden können. Während die Zahlungsbereitschaft für höhere Bandbreiten von allen Netzbetreibern registriert wird, sieht es bei bezahltem Content beziehungsweise Pay-TV weniger gut aus. Gerade die Platzhirsche Telekom und Vodafone haben erhebliche finanzielle Restriktionen, die sie zwingen, das Content-Thema möglichst klein zu halten. Vodafone muss noch immer massiv in das Upgrade ihres Mobilfunknetzes investieren, die Telekom muss ihre Verschuldung im Auge behalten.Mehr finanzielle Spielräume hat dagegen das Kabel-Imperium von John Malone, zu dem auch Unitymedia gehört. Malone hat sich die Formel 1 gegriffen.