RECHT UND KAPITALMARKT

Aktienhandel über Dividendenstichtag wird zum Problem

Schreiben des Bundesfinanzministeriums im Widerspruch zur gängigen Praxis

Aktienhandel über Dividendenstichtag wird zum Problem

Von Felix Mühlhäuser und Hubert Schmid *)Dem Handel mit Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag droht durch ein bisher noch nicht veröffentlichtes Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) vom 24. Juni 2015 der Finanzverwaltung Ungemach. In dem Schreiben vertritt das BMF die Ansicht, ein Aktienkäufer werde erst dann Aktionär, wenn die gekauften Aktien in sein Wertpapierdepot eingebucht sind. Diese Rechtsansicht steht in Widerspruch zur bisherigen Praxis: Der Kapitalmarkt geht sowohl bei Börsen- als auch bei außerbörslichen Geschäften davon aus, dass das wirtschaftliche Eigentum an Aktien bereits mit Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts übergeht.Zielen dürfte das BMF mit der Verwaltungsanweisung im Zweifel auf die seit einigen Jahren ins Gerede gekommenen sogenannte Cum-Ex-Aktiengeschäfte, bei denen vorwiegend im Ausland ansässige Aktienleerverkäufer bis ins Jahr 2011 hohe wirtschaftliche Gewinne zu Lasten des deutschen Fiskus erzielt haben sollen. Herausforderung für BankenAufgrund der wertpapiertechnischen Abwicklung von Aktiengeschäften erfolgt die Lieferung der erworbenen Aktien nach den Handelsusancen jeweils erst am zweiten Bankarbeitstag nach Kauf. Diese verzögerte Lieferung der Aktien eröffnet die Möglichkeit des Leerverkaufs von Aktien. Dabei deckt sich der Aktienverkäufer erst nach dem Dividendenstichtag mit Aktien – allerdings ohne Dividendenberechtigung – ein, um mit diesen Aktien ein vor dem Dividendenstichtag geschlossenes Verkaufsgeschäft zu beliefern. Nach dem neuen BMF-Schreiben soll das wirtschaftliche Eigentum an Aktien immer erst mit der Belieferung, das heißt Einbuchung der erworbenen Aktien im Depot, übergehen. Nach Ansicht des BMF stehe im Fall von Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag die Dividende immer dem Verkäufer und nicht dem Käufer zu, weil der Verkäufer sein wirtschaftliches Eigentum an den Aktien erst aufgrund der nach dem Stichtag erfolgenden Belieferung verliere.Die mit BMF-Schreiben vom 24. Juni 2015 vertretene Rechtsansicht ändert grundlegend die Abwicklung von Aktiengeschäften über den Dividendenstichtag. Es kommt zu einer Friktion zwischen börsenmäßiger Abwicklung des Aktienkaufs und steuerlicher Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums. Nach den Börsenusancen wird dem Aktienkäufer die Dividende zugerechnet, während diese nach Auffassung der Finanzverwaltung noch dem Verkäufer zusteht. Diese unterschiedliche Handhabung dürfte insbesondere die Depotbanken vor neue Herausforderungen stellen, da das BMF-Schreiben ab sofort für alle noch offenen Fälle gilt.Nach dem neuen BMF-Schreiben erhält der Aktienkäufer sowohl bei gedeckten Geschäften als auch bei Leerverkäufen keine originäre Dividende mehr, da er mangels Einbuchung der Aktie in seinem Depot am Dividendenstichtag noch nicht als wirtschaftlicher Eigentümer anzusehen ist. Im Fall des gedeckten Geschäfts wird die Dividende dem Verkäufer, im Fall des Leerverkaufs dem tatsächlichen Anteilseigner zugerechnet.Allerdings erteilten die Depotbank dem Käufer in beiden Fällen entsprechend der langjährigen Praxis eine Dividendengutschrift: Im Fall des gedeckten Geschäfts fließt die Dividendenzahlung an den Käufer und nicht an den Verkäufer und im Fall des Leerverkaufs erhält der Aktienkäufer eine Dividendengutschrift, die sich aus der Dividendenkompensationszahlung des Aktienverkäufers speist, der Aktien mit Dividendenberechtigung verkauft hat. Für die Börse und das Clearing gilt der Käufer ohne Rücksicht auf das BMF-Schreiben als Aktionär.Aus steuerlicher Sicht wird ein Aktienkäufer, dem von seiner Depotbank eine Dividendengutschrift erteilt wurde, darauf bestehen, dass seine Einnahme zumindest gemäß § 20 Abs. 1 S. 4 EStG als Dividende behandelt wird. Nach dieser Fiktion qualifizieren Dividendenausgleichszahlungen des Aktienleerverkäufers steuerlich als Dividenden. Andererseits dürften Aktienverkäufer – die bisher davon ausgingen, dass ihnen aufgrund des Verkaufsgeschäfts keine Dividende zusteht – jetzt den Erlass von Kapitalertragssteuerbescheinigungen beantragen, um auf der Grundlage des neuen BMF-Schreibens für die ihnen zugerechneten Dividenden noch nachträglich die Kapitalertragsteuer zu vereinnahmen. Depot- und Clearingbanken können sich auf dieses Ansinnen einstellen. Zwei WeltenEs wird interessant, wie die Finanzverwaltung mit dieser Konstellation umgehen wird. Hier treffen zwei nicht harmonisierte Welten aufeinander: das Steuerrecht, das die Dividende (jetzt neuerdings) dem Verkäufer zuordnet, und der Kapitalmarkt, der dem Käufer gemäß langjähriger Praxis auch weiterhin eine Dividendengutschrift erteilt.Das BMF-Schreiben ändert eine bewährte Abwicklungspraxis. In Zukunft steht zu erwarten, dass bei Aktienverkäufen um den Dividendenstichtag alle Aktienverkäufer von den Depotbanken wie Leerverkäufer behandelt werden und Banken gegebenenfalls Sicherheiten für Ausgleichszahlungen verlangen.—-*) Die Rechtsanwälte und Steuerberater Dr. Felix Mühlhäuser (Partner) und Dr. Hubert Schmid (Of Counsel) arbeiten im Frankfurter Büro der Anwaltssozietät Clifford Chance.