Bilanzierung

Aktiviertes Risiko

Die Einkaufstouren vieler Konzerne haben hohe Beträge an Goodwill in den Bilanzen aufgehäuft, Abschreibungsorgien sind bislang aber auch in der Corona-Pandemie ausgeblieben. Doch Risiken sind da.

Aktiviertes Risiko

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Die Coronakrise hat bislang in Deutschland keine heftige Impairment-Welle ausgelöst. Dieses Phänomen ist anders als von vielen erwartet auch schon in vorangegangenen Krisen, etwa in der globalen Finanzmarktkrise, ausgeblieben. Der bilanzierte Goodwill im (historischen) Dax 30 wird in einer Analyse des CFO-Beratungshauses FAS für 2020 mit 310 Mrd. Euro angegeben. Er entspricht durchschnittlich einem Drittel des Eigenkapitals der Konzerne. Das Verhältnis von Abschreibungen zur Höhe des bilanzierten Goodwills liege mit 2,0% (2020) nur geringfügig über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre von 1,5%. Auch die Anzahl der Unternehmen ohne Goodwill-Abschreibungen ist der FAS-Untersuchung zufolge in den vergangenen zehn Jahren weitgehend konstant geblieben.

Diese Geschäfts- oder Firmenwerte zeigen sich erstaunlich resilient, auch in unruhigen Zeiten, obwohl viele Unternehmen durch Übernahmen in den vergangenen Jahren beachtliche Beträge an immateriellem Vermögen in der Bilanz angesammelt haben. „Das in der IFRS-Welt installierte Konzept für den Impairment-Test ist relativ robust, denn es stellt vor allem auf mittel- bis langfristige Erwartungen ab. So können temporäre Einschläge in Krisen auf lange Sicht auch nur geringen Einfluss auf den nachhaltigen Cash-flow haben“, sagt Thomas Kupke, Partner des Beratungshauses FAS. Hier wirke der Ansatz der sogenannten „Ewigen Rente“ stabilisierend gegen beispielsweise kurzfristige „Dellen“. „Covid-19 ist kein Triggering Event per se“, ergänzt Christian Hörmann, Director bei der FAS. Unternehmen müssten jedoch individuell die Auswirkungen der Pandemieeffekte auf die Geschäftsplanung überprüfen.

Das Szenario stellt sich je nach Branche und Unternehmen unterschiedlich dar. Die entscheidende Frage für die Werthaltigkeit des Goodwill ist, ob sich Geschäftsmodelle durch die Pandemie nachhaltig verändern, sagt Kupke. In Branchen, die von Umbrüchen negativ betroffen sind, könnte es mehr bilanziellen Anpassungsbedarf geben. Manche Branche profitiert aber auch von der Pandemie.

Hohe Kaufpreise

Insbesondere in Wachstumsbranchen spielen Geschäfts- oder Firmenwerte im Rahmen der bilanziellen Abbildung von Unternehmenserwerben oftmals eine große Rolle. In jüngerer Vergangenheit seien beispielsweise hohe Goodwills im Zuge von Transaktionen im Software- oder Software-as-a-Service-Bereich zu verzeichnen gewesen. „In dem Geschäft wurden im letzten Jahr teilweise sehr hohe Kaufpreise aufgrund von erwarteten Skalierungs- und Wachstumschancen sowie wiederkehrenden Umsätzen gezahlt“, erklärt Kupke. Diese Geschäftsmodelle profitieren in der Pandemie.

Besonderheiten gibt es in Fällen von Distressed M&A. Wird etwa ein Unternehmen mit Insolvenz- oder Sanierungsbezug sehr günstig erworben, übersteigt das neu bewertete Eigenkapital im Rahmen der Kaufpreisallokation oftmals den Kaufpreis, so dass ein negativer Unterschiedsbetrag entsteht, auch „Badwill“ genannt. Das seien die typischen „1-Euro-Unternehmenskäufe“, sagt Matthias Seitz, Director bei der FAS. In der IFRS-Welt muss dieser Differenzbetrag hinterfragt werden und, sofern sich der günstige Gelegenheitskauf („Lucky Buy“) bestätigt, dann aber in einem Rutsch zum Zeitpunkt des Erwerbs erfolgswirksam vereinnahmt werden. Er erscheint somit nicht mehr als eigener Posten in der Bilanz.

Hohe Goodwillbeträge in den Bilanzen werden seit Abkehr von der planmäßigen Abschreibung in der internationalen Rechnungslegung als Risiken und potenzielle Brandbeschleuniger in Krisenzeiten betrachtet. Befürchtet werden Abschreibungswellen, wenn sich in konjunkturell schwierigen Zeiten Ertragsaussichten dauerhaft verdüstern. Zwar ist eine Wertberichtigung auf Firmenwerte nicht cashwirksam, doch die Ertragseffekte des Impairment schlagen sich in schlechteren Bilanz- und Verschuldungsrelationen nieder. Unternehmen gehen nach Übernahmen bei der Allokation des erworbenen Vermögens auch unterschiedlich vor. Mancher Konzern ist bestrebt, den Kaufpreis vor allem auf materielle Bilanzwerte oder anderes immaterielles Vermögen zu verteilen, so dass Geschäfts- oder Firmenwerte überschaubar bleiben.

Teamviewer reizt es aus

Auf Ebene der Bilanzstandardsetzer wird angesichts der teils horrenden Goodwillbeträge in den Bilanzen und der schwierigen externen Einschätzung von deren Werthaltigkeit seit Jahren darüber diskutiert, ob man vom Impairment-only-Ansatz wieder abweichen sollte und zu planmäßiger Abschreibung zurückkehren sollte. Der International Accounting Standards Board (IASB) holt dazu gerade ein Meinungsbild aus der Praxis ein und will wohl im zweiten Quartal darüber befinden.

Schaut man nicht nach den höchsten Wertberichtigungen, sondern auf die höchsten Anteile von Goodwill am Eigenkapital kommen im erweiterten Dax40 fünf Konzerne per 30.6. oder 30.9. 2021 auf Werte von mehr als 100%. An der Spitze liegt Airbus, wo Firmenwerte in der Bilanz am Ende des dritten Quartals fast 150% der Eigenmittel ausmachen. Die Akquisition von Monsanto spiegelt sich bei Bayer zum gleichen Stichtag noch mit einer Quote von 126%. Den dritthöchsten Wert mit 113% zeigt Eon, wo der Erwerb des Netzbetreibers Innogy vom Wettbewerber RWE dem Konzern auf einen Schlag 15,7 Mrd. Euro Goodwill in die Bilanz hievte. In den Schatten gestellt werden die strapazierten Bilanzen von einem Wert aus dem MDax. Hier setzt sich Teamviewer an die Spitze mit einem Anteil von Geschäfts- und Firmenwerten am Eigenkapital von 232% (30.6.2021).

Aus Sicht von Analysten führt die rein quantitative Beurteilung der Relationen nicht allein zu einer sinnvollen Beurteilung. Je nach Unternehmen und Branche sei das Risiko einer Goodwill-Abschreibung in wirtschaftlich schwierigen Zeiten unterschiedlich abzuwägen. Es bedürfe auch einer qualitativen Einschätzung, heißt es in einer Studie der LBBW. Zentral sei die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich eine konjunkturelle Eintrübung wirklich langfristig in den Ertragsaussichten der akquirierten Konzernteile niederschlagen werde.