Amazon bringt Schwung in den "E-Food"-Markt
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt Dank Computer, Tablet und Smartphone kann heute nahezu alles von jedem Ort aus zu jeder Zeit geordert werden. Doch in manchen Fällen ist “schnell und einfach bestellen” nicht das entscheidende Kriterium. So stieg der Online-Anteil am Gesamtumsatz mit Lebensmitteln 2015 zwar um ein Drittel, wie der Handelsverband Deutschland (HDE) mitteilte, liegt aber hierzulande mit 0,8 % auf niedrigem Niveau. In anderen europäischen Flächenstaaten sind die Anteile deutlich höher: In Großbritannien liegt er bei 6 % und in Frankreich bei 5 %. Tatsächlich hegen die hiesigen Verbraucher große Zweifel an der Sicherheit und Frische von “E-Food”, worunter nicht nur Pizza und Sushi zu verstehen sind, sondern tatsächlich alle Nahrungsmittel, von Brot und Kuchen über Wurst und Fleisch bis hin zu Obst und Gemüse. Nur 0,8 Prozent vom KuchenAuch wenn sich viele Onlinehändler an geringeres Wachstum gewöhnen müssen – insgesamt brummt der Handel über das Internet. Nach Schätzung des HDE werden 2016 in Deutschland online 46,3 Mrd. Euro erlöst; ein Zuwachs von 11 %. Da die Prognose für den Gesamtumsatz im Einzelhandel auf 481,8 Mrd. Euro (+2 %) lautet, entspräche das einem Anteil von 9,6 (i.V. 8,8) %.Der deutsche Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) kommt nach Zahlen der GfK auf ein Volumen von etwa 170 Mrd. Euro. Das heißt, online werden davon weniger als 1,4 Mrd. Euro bestellt. Damit ist der LEH in der Einzelhandelsbranche die letzte Bastion, in der das Internet kaum eine Rolle spielt. Eine mögliche Erklärung für die geringe Akzeptanz des Lebensmitteleinkaufs im Internet in Deutschland ist, dass man in anderen Ländern bei neuen Geschäftsmodellen mehr Kreativität zeigt; vor allem wird mehr Service geboten.Ein Modell ist der Abo-Service, der gerade bei Frischware punkten kann. Hierzulande liefert etwa Hellofresh den Abonnenten wöchentlich ein Paket mit frischen Waren aus der Region. Alle tragen das Bio-Siegel und sind für bestimmte Rezepte portioniert, die der Box beiliegen. Hellofresh befriedigt damit mehrere Kundenbedürfnisse: Zeitersparnis, den Wunsch nach frischen regionalen Produkten und “Bio”.Ein neuer, vom etablierten stationären LEH gefürchteter Konkurrent könnte Amazon werden: Branchenkenner erwarten schon länger, dass der US-Onlinehändler in Deutschland seine Sparte Fresh startet, den Lieferdienst für frische Lebensmittel. Schon länger bietet Amazon diesen Service in mehreren US-Großstädten an der West- und Ostküste an, seit kurzem auch in Teilen Londons. Zuletzt mehrten sich die Zeichen, dass Fresh im Herbst dieses Jahres in Berlin durchstarten könnte.Die meisten deutschen Supermarktketten scheuen bislang die Zusatzkosten eines Lieferdienstes. Bei Margen, die nicht weit über 1 % liegen dürften, und der bislang dürftigen Nachfrage der Verbraucher ist das kein Wunder. Unter den großen Spielern im deutschen LEH (Edeka, Rewe, Schwarz-Gruppe, Aldi und Metro) bietet nur Rewe in ausgewählten Regionen die Lieferung frischer Produkte nach Hause an. Dabei kann ein Lieferfenster von zwei Stunden vereinbart werden. Das ist auch notwendig, denn bei Abwesenheit des Kunden die Sendung vor der Tür abzustellen und zu hoffen, dass sie nicht gestohlen wird, ist bei Frischware keine Option. Die Kehrseite der Medaille: Rewes Lieferdienst macht auch fünf Jahre nach der Gründung noch Verlust. Aldi dagegen hat nicht einmal einen Onlineshop für Lebensmittel. Bei Edeka kann nur bei einer der sieben Regionalgesellschaften übers Internet eingekauft werden. Und Lidl verschickt nur haltbare Lebensmittel, die die Kunden im Netz aussuchen können. Frischware fehlt AkzeptanzEin weiteres Modell für den Online-Lebensmittelhandel ist der filialbasierte “Click-and-Collect”-Service. Hier hat der Kunde die Möglichkeit, die im Internet bestellte Ware vor Ort im Laden abzuholen. Dieser Service wird gemäß einer Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney von den Deutschen am häufigsten genutzt, wenngleich die Lieferung nach Hause sogar beliebter ist; drei vor vier Befragten sprechen sich dafür aus, etwa weil so das schwere Schleppen der Einkäufe entfällt. Die Zustimmung ist jedoch mit der Einschränkung verbunden, dass ausschließlich haltbare Lebensmittel bestellt werden. Der Grund für die Skepsis liegt auf der Hand: Kunden sind bei Frischware besonders kritisch, da sie diese im Onlinehandel vor dem Kauf nicht selber begutachten und auswählen können.”Vertrauen in den Händler und den Transportdienstleister sind die Währung dieses Marktsegments”, heißt es daher in einer Studie der Berater- und Marktforschungsfirma MRU, die im Auftrag des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel (BEVH) erstellt wurde. Denn frische, leicht verderbliche, gekühlte und tiefgekühlte Lebensmittel erfordern mit Kühleinrichtungen ausgerüstete Fahrzeuge oder eine Kühlverpackung. Neben dem Transport hat hier die Beförderungsgeschwindigkeit eine zentrale Bedeutung. Ein No-Go wäre die Nichteinhaltung von vereinbarten Lieferfenstern.Seit einigen Jahren werden auch neue Lösungen getestet, wie die Auslieferung per Drohne. Diese Option scheint jedoch angesichts der damit verbundenen hohen Stückkosten und der geringen Kapazität – Getränkekästen lassen sich so nicht transportieren – ungeeignet, um in absehbarer Zeit für die Zustellung genutzt zu werden. Lediglich für die Versorgung von abgelegenen Gebieten wie Inseln oder Einödhöfen scheint die Belieferung per Drohne in näherer Zukunft vorstellbar.Schließlich bieten einige Markenhersteller wie Oetker, Nestlé und Kraft dem Konsumenten die Option, den stationären Einzelhandel zu umgehen, indem sie im Internet ihre Produkte direkt zum Kauf anbieten. Gemeinsam ist ihnen, dass die Preise in der Regel nicht günstiger sind als im Supermarktregal und dass sie keine leicht verderblichen oder Tiefkühl-Waren online anbieten; so fehlen in Nestlés Internetshop z. B. “Wagner”-Pizzen und “Schöller”-Eis. Hohe Filialdichte bremstLetztlich dürften die Konsumenten den bekannten Ketten das sensible Geschäft mit Lebensmitteln eher zutrauen als einem US-Onlinehändler, der vor allem mit Büchern, CDs und Hochregalen assoziiert wird. Und noch etwas spricht für Edeka & Co.: die hohe Filialdichte in Deutschland. Im Schnitt brauchen die Bürger nur sieben Minuten bis zum nächsten Lebensmittelladen, ergab eine Umfrage von EY. Viele Geschäfte haben zudem lange geöffnet. Da hält sich die Zeitersparnis durch Online-Käufe in Grenzen, während die Kosten deutlich höher liegen dürften. Andererseits: Selbst wenn Amazon nur Promille des Branchenumsatzes abgreift, würde das den Lebensmittelhändlern wegen des margenarmen Geschäfts schon wehtun.