RECHT UND KAPITALMARKT

Ambitionierter Beipackzettel mit Unbekannten

Neue Basisinformationsblätter für an Privatkunden gerichtete verpackte Anlageprodukte werden europaweit eingeführt

Ambitionierter Beipackzettel mit Unbekannten

Von Detmar Loff *)Die Europäischen Finanzaufsichtsbehörden haben den finalen Entwurf ihrer technischen Standards zur so genannten Priips-Verordnung an die EU-Kommission übermittelt. Mit der Verordnung werden Basisinformationsblätter (engl. Key Information Documents oder KIDs) für an Privatkunden gerichtete verpackte Anlageprodukte und bestimmte Versicherungsanlageprodukte europaweit eingeführt – in Deutschland kannte man in Teilbereichen bereits zum Beispiel das Produktinformationsblatt (PIB).Die KIDs sollen es ermöglichen, die grundlegenden Charakteristika und Risiken dieser als “Priips” (Packaged Retail and Insurance-Based Investment Products) bezeichneten Produkte besser zu verstehen und vergleichen zu können. Basisinformationsblätter dürfen grundsätzlich drei DIN-A4-Seiten nicht überschreiten. Damit die Basisinformationsblätter möglichst die gewünschte produktübergreifende Vergleichbarkeit von Risiken, Kosten und weiterer Faktoren der Produkte zulassen, enthält die Priips-Verordnung europaweit verbindliche Regelungen zu Form und Inhalt; diese werden durch den finalen Entwurf der technischen Standards weiter konkretisiert, der noch in eine formelle Regelung überführt werden muss. Zeitlich wird es engIm Augenblick befindet sich der Entwurf der finalen technischen Standards bei der EU-Kommission, die für ihre Prüfung bis zu drei Monate Zeit hat, sofern nicht gar eine Verlängerungsoption gezogen wird. Anschließend soll innerhalb eines weiteren maximal drei Monate dauernden Zeitraums eine Prüfung durch das Europäische Parlament und den Rat der EU erfolgen. Im Markt geht man derzeit davon aus, dass der Zeitrahmen nicht voll ausgeschöpft wird. Für die praktische Umsetzung verbleibt den betroffenen Unternehmen dennoch nicht mehr viel Zeit – derzeit geplant ist eine Anwendung der Regeln ab 1. Januar 2017. Dies obwohl die erforderliche technische und prozessuale Umsetzung selbst bei einem bloßen Einkauf der KIDs den zeitlichen Implementierungszeitrahmen faktisch weiter einschränkt.Für OGAWs (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, zum Beispiel typische Aktienfonds) und betroffene Alternative Investmentfonds ist eine Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2019 vorgesehen. Jedoch müssen sich auch die Fondsverwalter darauf einstellen, bereits zuvor von Priips-Herstellern aufgefordert zu werden, Informationen oder gar ganze KIDs zu liefern – jedenfalls wenn sich das herzustellende Priip (auch) auf einen Fonds bezieht, zum Beispiel bei bestimmten Versicherungsprodukten. Erfassung von OTC-DerivatenDer Anwendungsbereich der Verordnung ist weit gefasst. Sogar für Kleinanleger eher exotische Investmentformen, wie beispielsweise OTC-Derivate (Over-The-Counter), fallen in den Anwendungsbereich – dies obwohl solche Produkte oftmals individuell gefertigt werden. Hierüber wurde in den Banken und Verbänden zwar intensiv diskutiert und es wurde versucht den Anwendungsbereich zu beschneiden, allerdings bislang ohne Erfolg. Problematisch ist bei derartigen Produkten, dass die genauen Produktkriterien oftmals erst mit der Emission feststehen. Eine hinreichende vorherige Information, wie die Verordnung sie grundsätzlich fordert, ist faktisch kaum möglich, für eine gesetzlich mögliche nachträgliche Information liegen die erforderlichen Voraussetzungen oftmals nicht vor.Der Entwurf der finalen technischen Standards befasst sich unter anderem mit der Berechnung und Darstellung der Kosten. Gerade für Investmentvermögen möchten die technischen Standards dabei Berechnungen vorsehen, die nicht zwingend marktüblich sind und teilweise zu eigentümlichen Ergebnissen führen. Aber auch für andere Produkte ist der Kostenausweis nicht ganz ohne: Dies beginnt bei Identifizierung und Zuordnung einzelner Kostenbestandteile, geht aber in generelle Fragestellungen wie die Fair-Value-Betrachtung über. Überdies zeigen sich nun einige Abweichungen zu den ursprünglichen Überlegungen zur Kostendarstellung, zum Beispiel in Bezug auf die Angabe zu den Kosten zu bestimmten Zeitpunkten bis zur empfohlenen Haltedauer. Bisherige Arbeitshypothesen müssen entsprechend überprüft werden.In den technischen Standards werden ferner die Anforderungen an die Überprüfung und Aktualisierung der im Basisinformationsblatt enthaltenen Informationen konkretisiert. Sowohl die Verordnung als auch die technischen Standards schreiben eine laufende Überprüfung der Faktoren vor, die geeignet oder wahrscheinlich geeignet sind, die Informationen in den Basisinformationsblättern zu beeinflussen.Sobald beispielsweise Änderungen im Marktrisiko oder Kreditrisiko dazu führen würden, dass sich der Gesamtrisikoindikator des Produktes ändert, muss das Basisinformationsblatt überarbeitet werden. Ein weiteres Beispiel für ein Anpassungsereignis wäre ein Abweichen der bislang angegebenen Rendite um 5 Prozentpunkte. Zusätzlich besteht eine turnusmäßige Überprüfungspflicht alle 12 Monate.Ungeklärt ist, ob Priips-Hersteller Anleger – soweit bekannt – aktiv über Änderungen informieren müssen. Der Wortlaut der vorgesehenen technischen Standards stellt eher auf einen passiven Ansatz ab, das heißt eine Anzeige auf der Internetseite ist ausreichend. Erwägungsgrund 22 geht hingegen von einer aktiven Benachrichtigungspflicht aus. Verschärft wird dieses Thema dadurch, dass sich im so genannten Impact Assessment eine Aussage findet, wonach auch Anleger, die bereits in ein Produkt investiert haben, über wesentliche Änderungen informiert werden sollen – eine Aussage, die zumindest bei typischen OTC-Produkten mit dem Gesetzestext kaum vereinbar ist, wonach eine Überprüfungspflicht nur für solche Priips besteht, die noch auf dem Markt verfügbar sind (remains available). Extraterritoriale AnwendungSehr weit gehalten ist auch der territoriale Anwendungsbereich der Priips-Verordnung. Zur Erklärung soll dafür nach folgenden Personen unterschieden werden: Hersteller, Berater/Verkäufer und Kleinanleger. Diese können sich jeweils innerhalb oder außerhalb der EU befinden. Die Pflicht, ein Basisinformationsblatt zur Verfügung zu stellen, entfällt jedenfalls dann, wenn sich keine der oben genannten Personen innerhalb der EU befindet und besteht selbstverständlich, sobald alle beteiligten Personen innerhalb der EU lokalisiert sind. So weit, so gut. Was ist aber, wenn sich zum Beispiel der Kleinanleger innerhalb der EU befindet, während zumindest ein anderer Beteiligter außerhalb der EU domiziliert ist?Der Anlegerschutz gebietet und dies ist in der Verordnung auch angedeutet, dass Privatkunden in der EU prinzipiell geschützt werden sollen. Ausländische Hersteller müssen sich daher auf die Anwendung der Verordnung einstellen, wenn ein Vertrieb in der EU erfolgt – dies selbst dann, wenn nicht schon europäische Vertriebspartner die Anwendung vertraglich verlangen. Make or buy?Die EU-Kommission hat sich zudem zu der Konstellation geäußert, in der sich der Priips-Hersteller in der EU befindet, der Berater/Verkäufer sowie der Privatkunde aber außerhalb der EU ansässig sind – hier soll die Verordnung keine Anwendung finden, selbst wenn der Verordnungswortlaut diese Einschränkung nicht explizit vorsieht. Offen lässt die EU-Kommission die Fälle, in denen der Berater/Verkäufer innerhalb der EU liegt. Hier sind neben aufsichtsrechtlichen Gesichtspunkten sowie einer etwaigen teleologischen Reduktion des Wortlauts auch immer die zivilrechtlichen Risiken zu berücksichtigen.Die Umsetzungsprojekte selbst großer Marktteilnehmer unterscheiden sich: Die Varianten reichen von einem geplanten vollständigen Einkauf der KIDs (mit einhergehender Einschränkung des Vertriebsuniversums für Produkte ohne KID) bis hin zu möglichst vollständiger eigenständiger Erstellung – ein Großteil der Betroffenen zielt auf eine gemischte Umsetzung ab.—-*) Dr. Detmar Loff ist Partner und Leiter der deutschen Aufsichtspraxis von Ashurst in Frankfurt.