RECHT UND KAPITALMARKT

An den Bedürfnissen des Mittelstands vorbei

Kritik an nationaler Ausübung der Option zu prospektfreien Emissionen

An den Bedürfnissen des Mittelstands vorbei

Von Ingo Wegerich und Volker Schulenburg *)Zum 21. Juli 2018 ist das Gesetz zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze in Kraft getreten. Hierdurch hat der Gesetzgeber unter anderem Wahlmöglichkeiten ausgenutzt, die ihm die Prospektverordnung eingeräumt hat. Diese sieht vor, dass ein öffentliches Angebot von Wertpapieren ab 1 Mill. Euro nur mit einem Prospekt möglich ist. Gleichzeitig eröffnet sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, nationale öffentliche Angebote bis zu 8 Mill. Euro von der Prospektpflicht auszunehmen. In einem Gesetzentwurf hatte das Finanzministerium die Prospektfreiheit zunächst nur bis zu 1 Mill. Euro vorgesehen. Aus Sicht des kapitalmarktorientierten Mittelstandes stellte dies eine große Benachteiligung für deutsche Unternehmen dar. Andere Mitgliedstaaten beabsichtigten deutlich weitergehende Regelungen. Nach Kritik aus dem Mittelstand auch seitens des Verbandes Kapitalmarkt KMU hat die Bundesregierung entschieden, die EU-Regelung voll auszuschöpfen. Anbieter für öffentliche Angebote nur in Deutschland mit einem Gesamtgegenwert von mehr als 100 000, aber weniger als 8 Mill. Euro können statt eines Prospekts ein dreiseitiges Wertpapierinformationsblatt veröffentlichen, wenn zuvor die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Veröffentlichung gestattet hat. Grundsätzlich positivGrundsätzlich ist die Erweiterung der Prospektfreiheit sehr zu begrüßen, denn die von der BaFin vor ihrer Veröffentlichung zu prüfenden Prospekte sind in der Regel mehrere 100 Seiten dick. Entsprechend ist die Erstellung eines solchen Prospekts, in dem das Unternehmen und die mit dem Investment verbundenen Risiken im Detail dargestellt werden müssen, mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Bei KMU, die nicht über große Stabsabteilungen verfügen, bindet dies erhebliche Ressourcen. Kaum praktische RelevanzLeider hat der Gesetzgeber diese Erleichterung jedoch wieder beschränkt. Dabei hat er den Anwendungsbereich so weit eingeschränkt, dass der neuen Regelung kaum praktische Relevanz zukommt. So müssen bei prospektfreien Angeboten ab einem Betrag von 1 Mill. Euro bestimmte Anlageschwellen entsprechend der Befreiungsvorschrift für Schwarmfinanzierungen (Crowdfunding) für nicht qualifizierte Anleger – insbesondere Privatpersonen – eingehalten werden. Wertpapiere dürfen ausschließlich im Wege der Anlageberatung oder -vermittlung über ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen vertrieben werden, das zudem verpflichtet ist, zu prüfen, dass der Gesamtbetrag der Wertpapiere, die von einem nicht qualifizierten Anleger erworben werden, 1 000 Euro nicht übersteigt; selbst bei höherem Einkommen und größerem Vermögen darf ein privater Anleger lediglich 10 000 Euro investieren.Diese Regelung führt dazu, dass eine Bezugsrechtskapitalerhöhung ausgeschlossen ist – obwohl es sich um die gesetzliche Grundform der Kapitalerhöhung handelt. Laut einer Studie des Deutschen Aktieninstituts führen zwei Drittel der Unternehmen nach einem Börsengang mindestens eine Kapitalerhöhung durch. Bei einer Bezugsrechtskapitalerhöhung haben sämtliche Aktionäre entsprechend ihrer Beteiligung am Grundkapital das Recht, neue Aktien zu erwerben. Da aber davon auszugehen ist, dass regelmäßig mehr als nur einem Aktionär Bezugsrechte auf neue Aktien für über 1 000 Euro und auch über 10 000 Euro zustehen, scheidet eine Anwendung der Regelung zu Prospektfreiheit aus. Damit kommt der Regelung kaum praktische Relevanz zu und sie geht an den Bedürfnissen der kapitalmarktorientierten Unternehmen völlig vorbei. Den Interessenverband erreichen täglich viele Anrufe kapitalmarktorientierter Mittelständler, die sich über die neue Regelung beschweren. Sinnvolle KorrekturEine sinnvolle Korrektur ist jedoch einfach möglich: So könnten von den Schwellenwerten Unternehmen ausgenommen werden, die bereits einen Prospekt erstellt haben und deren Wertpapiere an einem Freiverkehr oder geregelten Markt gelistet sind – ähnlich der Neuregelung zu Sekundäremissionen. Diese Unternehmen unterliegen der Marktmissbrauchsverordnung und gewähren hierdurch ein hohes Maß an Transparenz und sind auch nicht mit in der Regel sehr kleinen Unternehmen vergleichbar, die sich über Crowdfunding finanzieren. Darüber hinaus läge auch bereits ein einmal gebilligter und veröffentlichter Prospekt vor. Eine derartige Ausnahme von der Einschränkung würde auch dazu führen, dass die Unternehmen sich wieder verstärkt den Börsen und Kapitalmärkten zuwenden würden, was auch der Intention der europäischen Initiative zur Kapitalmarktunion entsprechen würde. —-*) Ingo Wegerich und Dr. Volker Schulenburg sind Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft. Wegerich ist auch Präsident des Interessenverbandes kapitalmarktorientierter kleiner und mittlerer Unternehmen.