IM INTERVIEW: STEFFEN SZEIDL, DREES & SOMMER

"An selbstfahrende Autos hat auch niemand geglaubt"

Mit den technologischen Möglichkeiten sind auch Flugtaxis längst keine Zukunftsvision mehr - Bei Bauvorhaben Ökonomie und Nachhaltigkeit verbinden

"An selbstfahrende Autos hat auch niemand geglaubt"

Steffen Szeidl, Vorstand des international tätigen Immobilienberatungsunternehmens Drees & Sommer, erklärt, wohin die Reise der Infrastruktur in Sachen Digitalisierung und Nachhaltigkeit geht.- Herr Szeidl, Feinstaubalarm, enorme Platz- und Wohnraumprobleme und horrende Mieten mindern die Lebensqualität in den Metropolen. Sind das Gründe, die das Phänomen Landflucht stoppen könnten?Sicher sind das große Nachteile. Nur global gesehen wächst die Bevölkerung in den Städten schneller, besonders in den ländlich geprägten Kontinenten Asien und Afrika. Laut UN-Bericht müssen es die Metropolen weltweit bis zum Jahr 2050 schaffen, dass sie 2,5 Milliarden zusätzliche Bewohner versorgen. Verlässliche Energieversorgung, sauberes Wasser und funktionierende Verkehrsmittel sind hier nur einige große Themen. Mal abgesehen von immer mehr Müll, Abwasser und Schadstoffen.- Gilt die Zuwanderung auch für deutsche Städte?Auch wenn es nach aktuellem ZIA-Frühjahrsgutachten derzeit eine Bewegung ins Umland gibt, werden sogenannte Schwarmstädte wie Ingolstadt, Darmstadt oder Potsdam auch in Zukunft wachsen. Kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten, generell die Infrastrukturausstattung – von ÖPNV über ärztliche Versorgung oder Kultur bis hin zu schnellem Internet – sind hier die Treiber.- Die Wege mögen kurz sein, nur verbringen wir dafür viel Zeit im Verkehrschaos.Das gilt für diejenigen, die mit dem Auto unterwegs sind. Großes Potenzial, um hier gegenzusteuern, sehe ich in der Verbesserung des ÖPNV als auch beim Ausbau des Sharing-Prinzips. Menschen teilen heutzutage ihre Wohnungen, ihren Schreibtisch und ihr Auto, daran müssen wir in Zukunft noch mehr bei der Mobilität anknüpfen. Ein schönes Beispiel ist auch das Quartier Heidestraße in Berlin, das wir begleiten. Die Nutzer dort sollen künftig im Viertel sowohl wohnen als auch arbeiten und einkaufen können. Es geht also um eine gemischte Nutzung, und die sorgt für überschaubare Distanzen.- Was Mobilität angeht: Aktuell sorgt das Diesel-Fahrverbot in Stuttgart für hitzige Debatten. Eine Lösung, die Sie befürworten?Zumindest erhöht die Debatte das notwendige Bewusstsein für Veränderung. Doch kurzfristige Maßnahmen wie Fahrverbote und Strafzahlungen mögen vielleicht eine Zeit lang helfen, langfristig tun sie es nicht. Und die Maßnahmen sind zu kurz gesprungen, es wird nur auf Einzelaspekte eingegangen.- Was schlagen Sie stattdessen vor?Im Hinblick auf den Aspekt Mobilität ganzheitliche Konzepte, die das Ziel verfolgen, den Individualverkehr insgesamt zu verringern: mit individualverkehrsfreien Quartieren, einem besseren Angebot von Sharing und ÖPNV, Fahrradautobahnen, neuen Verkehrsansätzen, wie zum Beispiel urbanen Seilbahnen und natürlich emissionsarmen Antriebssystemen. Auch eine Grünraumgestaltung durch Mooswände, City Trees oder begrünte Fassaden ist ergänzend sinnvoll.- Die Digitalisierung führt zu einer Dezentralisierung von Leben und Arbeiten. Daher könnten die Menschen doch künftig in günstigeren ländlichen Regionen wohnen, und es entsteht kein Verkehr.Immer mehr Tätigkeiten können Mitarbeiter sicher ortsunabhängig erledigen. Und viele denken diese Zukunftsvision ja bereits weiter: Wenn der Mitarbeiter dann doch physisch bei einem Termin präsent sein muss, kann er bei weiten Strecken ins autonome E-Auto einsteigen, das dann ein mobiler Arbeitsplatz beziehungsweise Konferenzraum ist – Mobility as a Service, bestellt über eine digitale Plattform. Vielleicht ist ein Teil der Fahrt sogar durch individuell angepasste Werbung auf Bildschirmen im Fahrzeug finanziert. Für solche Szenarien ist aber wiederum ein schnelles, zuverlässiges und viel leistungsstärkeres Datennetz Voraussetzung. Sicher ist: Die geografische Lage wird weniger wichtig als die digitale Infrastruktur. Insgesamt betrachtet liegen wir hier in Deutschland zurück. Die aktuellen Randbedingungen zur Vergabe der 5G-Lizenzen, die fehlende Geschwindigkeit im Ausbau und weitere Themen stimmen leider nicht allzu optimistisch. Hier besteht akuter Handlungsbedarf.- Damit wären wir inmitten der Diskussion um den neuen Mobilfunkstandard 5G. Sollte sich die Bundesregierung weniger Gedanken über dessen Sicherheit machen?Mit 5G sollen äußerst sensible Daten transportiert werden. Daher ist die Frage nach dem Schutz der Daten absolut richtig. Lösungen dürfen aber nicht lange auf sich warten lassen. Ich hoffe, dass wir Deutschland flächendeckend und nicht nur zu 70 % mit 5G versorgen. Gerade mit Blick auf die vielen Hidden Champions unserer Industrie im ländlichen Raum ist das wichtig.- Wieso spielt 5G eine so große Rolle?5G ist ja weniger für den Einzelnen und dessen Streaming-Qualität für Serien gedacht. Sondern dafür, autonomes Fahren oder die Datenkommunikation und Internet-of-Things-Technologien in der Fertigung voranzutreiben. Da geht es um die Zukunftsfähigkeit im internationalen Wettbewerb.- Wie kann die Politik noch zur Zukunftsfähigkeit beitragen?Wenn mein autonomes Fahrzeug auf deutschen Autobahnen einwandfrei funktioniert, bei Grenzüberfahrten aber nicht auf das System des angrenzenden Landes zugreifen kann, ist das Verkehrskonzept für die Katz. Daher ist eine Zusammenarbeit über Bundes- und Ländergrenzen hinweg notwendig. Auch der demografische Wandel muss Thema sein. Hier ist UrbanLife Plus in Mönchengladbach zum Beispiel ein Vorzeigeprojekt. Es erleichtert älteren Menschen den Alltag durch intelligente Ampeln, eine individuelle Navigation durch den Stadtteil oder digitale Hinweistafeln mit Touch-Screen. Vor allem aber müssen wir endlich anfangen, unsere Kinder, die Zukunft von Deutschland, auf diese Veränderungen vorzubereiten. Wichtige Meilensteine wie der “Digitalpakt Schulen” dauern zu lange und scheitern an Grenzen oder Denkweisen, die heute überholt sind.- Und wie realistisch ist die Vorstellung von autonomen Passagierdrohnen beziehungsweise Flugtaxis? Dafür hat die Digitalministerin Dorothee Bär reichlich Spott geerntet.An selbstfahrende Autos hat vor 20 Jahren auch niemand geglaubt, heute fahren schon die ersten autonomen Kleinbusse in unserem Öffentlichen Personalnahverkehr. Mit den derzeitigen technologischen Möglichkeiten sind Flugtaxis längst keine Zukunftsvision mehr. In Singapur sind schon die ersten Pilotprojekte geplant, in Dubai können erste Flüge gemacht werden. Und die Technik ist zum Großteil “Made in Germany”. Auch für das Hochgeschwindigkeits-Transportmittel Hyperloop, das in der Vakuum-Röhre bis zu 1200 km/h erreicht, gibt es bald Teststrecken in der Schweiz, in den USA ist man noch weiter. Ich frage mich manchmal, warum es bei durchaus realistischen Zukunftsvisionen so viel Kritik hagelt.- Weil brisante Themen wie Wohnungsbau und ein Dach über dem Kopf derzeit wichtiger sind.Wie wichtig das ist, steht außer Frage. Hier sind sowohl die Politik mit umsichtigen Entscheiden zu Mietpreisbremse, beschleunigten Bewilligungsverfahren, Grundsteuer und Co als auch die Privat- beziehungsweise Wohnungswirtschaft gefordert mit modularem beziehungsweise industriellem Bauen und neuen Konzepten. Wenn wir für den dringend notwendigen Wohnraum nicht noch die letzten Äcker bebauen wollen, bleibt nur die Nachverdichtung. Nicht umsonst erleben wir gerade eine Renaissance des Wohnhochhauses. Es muss energieautark und nachhaltig sein, aber auch die Stadt muss sich verändern. Insgesamt müssen mehr Grünflächen – auch vertikale – geschaffen werden. Sie steigern die urbane Luft-, aber auch die Lebensqualität, und mildern Wetterextreme wie die Auswirkungen von Starkregen. Und nicht zuletzt müssen wir Urban Farming oder auch Stoffkreisläufe fördern, bei denen der Abfall wieder dazu dient, neue Nahrung, Produkte oder Immobilien herzustellen.- Hat sich Drees & Sommer deswegen kürzlich an EPEA beteiligt?Ökonomie und Nachhaltigkeit zu verbinden, ist seit vielen Jahrzehnten unser Anspruch bei Bauvorhaben. Mit EPEA haben wir deswegen bereits seit langem kooperiert. Der Unternehmensgründer Prof. Dr. Braungart hat ja maßgeblich den Circular-Economy-Gedanken geprägt. Daher war die Beteiligung ein logischer Schritt für uns. Beim zugrundeliegenden Cradle-to-Cradle-Konzept geht es darum, Abfall zu vermeiden und Rohstoffe für Produkte, Prozesse und Gebäude in immer gleicher Qualität zu erhalten und wieder einzusetzen. Hier sehen wir gerade in Verbindung mit digitalen Lösungen zukunftsfähige Geschäftsmodelle.—-Das Interview führte Claudia Weippert-Stemmer.