Atommüll-Risiken werden verstaatlicht

Gesetzentwurf nachgebessert - Fonds kommt unter Parlamentskontrolle - Konzerne sollen letzte Klagen auch noch zurückziehen

Atommüll-Risiken werden verstaatlicht

Der geplante Milliarden-Deal der Bundesregierung mit den vier großen Energiekonzernen zur Entsorgung des Atommülls kommt absehbar noch in dieser Woche unter Dach und Fach – mit wichtigen Änderungen.Von Christoph Ruhkamp, Düsseldorf Kurz bevor das Gesetz zur Finanzierung der Atommüllentsorgung in den Bundestag kommt, sind noch wichtige Änderungen vorgenommen worden. Bisher sollten nur drei Vertreter aus den Ministerien für Finanzen, Wirtschaft und Umwelt im Kuratorium des staatlichen Atomfonds sitzen, an den die vier großen Energiekonzerne bis Spätsommer 2017 rund 23,6 Mrd. Euro in bar für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls überweisen müssen, um sich so für immer von der Haftung für Kostensteigerungen der Endlagerung freizukaufen.Jetzt ist das Gesetz so geändert worden, dass auch jeweils ein Vertreter von jeder Bundestagsfraktion Mitglied des Gremiums werden soll, das den Vorstand des in Berlin ansässigen Atomfonds kontrollieren wird. Hierbei kann das Kuratorium die Bundesbank beratend hinzuziehen, wie aus dem Änderungsantrag hervorgeht, der der Börsen-Zeitung vorliegt und der am heutigen Dienstag noch von den Fraktionen gebilligt werden muss. Das Nähere regelt eine noch zu formulierende Satzung.Darüber hinaus ist vereinbart worden, dass die von Eon, RWE, EnBW und Vattenfall insgesamt zu zahlende Summe noch einmal auf Basis der vollständigen Daten für die Jahre 2015 und 2016 überprüft wird. Dem Vernehmen nach könnte sich der Gesamtbetrag dann noch auf rund 24 Mrd. Euro erhöhen.Unterdessen ist es inzwischen fast sicher, dass das Gesetz am Donnerstag vom Bundestag grünes Licht erhält. Denn die vier Energiekonzerne haben angekündigt, einen Teil ihrer Klagen gegen den Bund im Zusammenhang mit dem Atomausstieg zurückzuziehen. Das geht aus fünf Briefen von Eon, RWE, EnBW, Vattenfall und der Stadtwerke München an die Bundestagsfraktionen hervor, die der Börsen-Zeitung vorliegen.Die finanziell umfänglichsten Klagen halten die Energiekonzerne jedoch weiterhin aufrecht: Da ist zum einen die Klage gegen die Brennelementesteuer, bei der es für Eon, RWE und EnBW um addiert 5,8 Mrd. Euro geht. Zum anderen hält Vattenfall seine Klage auf 4,7 Mrd. Euro vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington aufrecht. Hinzu kommen noch die Entschädigungsansprüche der Atomkonzerne, die aus dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts resultieren und sich auf schätzungsweise 1 Mrd. bis 2 Mrd. Euro belaufen.Deshalb wird die Bundesregierung im Gesetz explizit dazu ermächtigt, per öffentlich-rechtlichem Vertrag mit den einzelnen Konzernen auf die Rücknahme der verbliebenen beiden Klagen im Atomsektor zu dringen. Die Energiekonzerne verzichten nach ihren Angaben bisher nur auf Schadenersatzklagen für das kurzfristige Herunterfahren von Atomkraftwerken nach dem Reaktorunfall von Fukushima. Sie verzichten ferner auf Widersprüche gegen Zahlungsbescheide für das Atommülllager Gorleben und gegen Kostenbescheide für das Atomendlager Schacht Konrad.Auch Verfassungsbeschwerden und Klagen im Zusammenhang mit der standortnahen Zwischenlagerung von Wiederaufarbeitungsabfällen werden fallen gelassen. Insgesamt geht es bei den Klagen, auf die verzichtet wird, aber nur um schätzungsweise rund 1 Mrd. Euro.In den Atomfonds muss Eon 9,8 Mrd. Euro einzahlen und plant zur Finanzierung Kapitalmaßnahmen über rund 2 Mrd. Euro. Bei RWE geht es um 6,7 Mrd. Euro, die unter anderem durch den Verkauf weiterer Anteile an der Stromnetztochter Innogy aufgebracht werden könnten. Die übrigen 7,1 Mrd. Euro verteilen sich auf EnBW, Vattenfall und die Stadtwerke München.Der Atomfonds in der Rechtsform einer öffentlich-rechtlichen Stiftung mit Sitz in Berlin soll das Geld nach den Anlageregeln des Versicherungsaufsichtsgesetzes (§§ 124 und 215) verwalten. Das Kuratorium wählt einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter und beschließt mit einfacher Mehrheit. Der dreiköpfige Vorstand, der vom Kuratorium bestellt wird, soll aus Mitgliedern bestehen, “die über große Erfahrung in der Anlage und dem Management bedeutender Vermögen verfügen”.Im Entwurf heißt es zudem: “Eine Kreditaufnahme des Fonds ist nicht zulässig.” Der Bund dürfe dem Fonds nur im Jahr 2017 vorübergehend für Anlaufkosten Geld leihen. “Weitere Einzahlungen in den Fonds aus dem Bundeshaushalt sind nicht zulässig.” Das wirft die Frage auf, was geschähe, wenn die Kosten der Entsorgung in Zukunft das Volumen des Fonds überschreiten sollten. “Vernünftige Lösung”Union und SPD – und voraussichtlich auch die Grünen – wollen am Donnerstag den Entsorgungspakt im Parlament endgültig beschließen, wie die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Michael Fuchs (CDU), Hubertus Heil (SPD) und Oliver Krischer (Grüne) ankündigten. Erwartet werde anschließend die Zustimmung der Länder zu dem Atomdeal. “Wir haben insgesamt eine sehr vernünftige Lösung gefunden”, sagte Fuchs. Die operative und finanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung werde zukünftig beim Bund zusammengeführt.