Atomurteil gibt Vattenfall recht
Der Atomausstieg bekommt ein teures Nachspiel: Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erhalten RWE und Vattenfall Entschädigungen für ihnen zustehende Atomstromrestmengen, die sie aber de facto nicht produzieren konnten. Beide Konzerne dürften noch je eine halbe Milliarde Euro bekommen.cru Frankfurt – Zwei Jahre vor der Abschaltung des letzten deutschen Atomkraftwerks kommt das Thema der Entschädigungen noch einmal auf den Tisch. Der finanzielle Ausgleich für die Kraftwerksbetreiber RWE und Vattenfall wegen des beschleunigten Atomausstiegs nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima muss noch einmal komplett neu geregelt werden. Die Gesetzesänderung von 2018 sei unzureichend und wegen formaler Mängel nie in Kraft getreten, entschied das Bundesverfassungsgericht nach einer Verfassungsbeschwerde des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall.Die Vorgaben für die Entschädigungen, die das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom Dezember 2016 gemacht hatte, seien bisher nicht erfüllt, hieß es zur Begründung. Der Gesetzgeber habe damit seine Pflicht noch nicht erfüllt, bis zum 30. Juni 2018 eine Neuregelung zu schaffen – und ist damit “weiterhin zur alsbaldigen Neuregelung verpflichtet”, wie das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe mitteilte (Az. 1 BvR 1550/19).Auch RWE, selbst nicht verfahrensbeteiligt, sieht seinen Anspruch auf Entschädigungen für die vorzeitige Abschaltung seiner Atomkraftwerke dadurch untermauert. Der Konzern erwartet “in Summe an Entschädigung ungefähr einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag”. Das bekräftigte Vorstandschef Markus Krebber in einer Telefonkonferenz zur Bilanz. Mit einem ähnlichen Betrag wird für Vattenfall gerechnet.Für eine detaillierte Bewertung des Urteils sei es noch zu früh, sagte Krebber. Aber: “Nach unserer Einschätzung wird sich unsere Rechtsposition nicht verschlechtern.” Den Wert der RWE-Aktie hat das Urteil kaum beeinflusst. Der Kurs verlor bis zum Mittag 1 % auf 33,83 Euro. “Wettbewerbsverzerrung”Vattenfall begrüßte die Entscheidung. Die Gesetzesänderung 2018 sei den Vorgaben des Gerichts nicht einmal ansatzweise gerecht geworden und habe stattdessen die massiven “Wettbewerbsverzerrungen” zwischen den Versorgern nochmals verschärft, teilte das Unternehmen mit. Bei der monierten Ungleichbehandlung des Konzerns geht es um viel Geld – eine Summe, die Verfahrensbeteiligte auf bis zu knapp 2 Mrd. Euro beziffern. “Die Entscheidung wird hoffentlich beim Gesetzgeber mehr Sensibilität bei Einschränkungen des Eigentumsrechts erreichen”, sagt der renommierte Energierechtsanwalt Peter Rosin.Wegen des Reaktorunglücks im japanischen Fukushima hatte die Bundesregierung 2011 für die 17 deutschen Kernkraftwerke eine nur wenige Monate zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung zurückgenommen. Bis spätestens Ende 2022 müssen alle Atommeiler zu festen Terminen vom Netz gegangen sein – das Ende der Stromproduktion aus Atomkraft in Deutschland.Das Bundesverfassungsgericht hatte 2016 nach Klagen von Eon, RWE und Vattenfall geurteilt, dass die Gesetzesnovelle, die diese Kehrtwende besiegelte, zwar im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar war. Den Energiekonzernen steht für sinnlos gewordene Investitionen und verfallene Produktionsrechte aber ein angemessener Ausgleich zu.Davon profitiert unter anderem Vattenfall. Konkret geht es um Ausgleichszahlungen für die Vattenfall-Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel sowie das RWE-Kraftwerk Mülheim-Kärlich. Vattenfall ist in dem Verfahren besonders betroffen, da zu den acht sofort stillgelegten Meilern auch das noch relativ neue Kernkraftwerk Krümmel gehörte, das 2011 noch neun Jahre Restlaufzeit hatte. Der schwedische Konzern hatte wegen der dann festgelegten festen Abschalttermine keine Möglichkeit mehr, seinen beiden deutschen Kraftwerken Krümmel und Brunsbüttel ursprünglich einmal zugeteilte Strommengen noch konzernintern zu produzieren. Dafür soll der Konzern 2023 eine Ausgleichszahlung in Millionenhöhe verlangen können. Die genaue Summe wird sich laut Bundesumweltministerium erst dann bestimmen lassen.Die gesetzlichen Regelungen dazu sind in Teilen aber “unzumutbar”. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts beanstandet mehrere Punkte. Zum einen seien die Voraussetzungen für Entschädigungszahlungen unklar geregelt. Zum anderen könne die bisherige Gesetzesnovelle zu einer doppelten Kürzung der Ansprüche führen. “Formale Mängel”Schließlich sei die Novelle aber auch wegen formaler Mängel bisher nicht in Kraft getreten. So wurde das Inkrafttreten von der Zustimmung der EU-Kommission abhängig gemacht. Diese sei allerdings nie förmlich erteilt worden.Wegen des Atomausstiegs ist auch noch eine Klage von Vattenfall beim internationalen Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) in Washington anhängig. Hier geht es um Forderungen von mehreren Milliarden Euro wegen der dauerhaften Stilllegung von Krümmel und Brunsbüttel.