Auf dem Sprung in eine neue Liga
Telekom- und Kabelfirmen suchen mit Content-Anbietern den Schulterschluss oder kaufen diese, um den Internet-Riesen bei Videostreaming nicht das Feld zu überlassen. Die Strategie hat ihre Tücken, aber ohne eigenen attraktiven Content sind die Netzbetreiber aus Kundensicht allzu leicht austauschbar. Von Heidi Rohde, FrankfurtNoch scheidet die Content-Strategie die Geister in der Telekom- und Medienbranche: Große Player wie Deutsche Telekom, Vodafone oder auch Liberty Global halten an ihrer Ausrichtung als “Aggregatoren” fest, wobei sie den Anspruch haben, dem Kunden möglichst alle relevanten Inhalte über die eigene Plattform zu bieten. Andere wie Telefónica, AT&T oder BT Group verfolgen einen integrierten Ansatz und wollen selbst Content besitzen und vermarkten.Beide Lager sind auf der Suche nach einem Mittel gegen die zunehmend übermächtige Konkurrenz der Internet-Riesen aus den USA, allen voran Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime, die Milliarden in Content investieren und mit maßgeschneiderten Abonnements rasant an Zuspruch gewinnen. Ihr Erfolg ist besonders für die Telekomfirmen ein doppeltes Ärgernis, denn sie greifen damit häufig den Löwenanteil der Wertschöpfung auf der von ihnen genutzten Infrastruktur ab, ohne für diese zu bezahlen. Aber auch die Kabelgesellschaften können sich nicht zurücklehnen, denn TV-Anschlüsse sind alles andere als eine sichere Bank. In den mit leistungsfähiger Kabel- und Glasfaserinfrastruktur weit penetrierten Niederlanden haben Studien eine tendenzielle Abkehr der Haushalte vom klassischen TV-Anschluss festgestellt. Im ersten Quartal 2018 waren 5 % der Haushalte ohne TV-Anschluss, dies entsprach allerdings einer Verdoppelung gegenüber der Vorjahresperiode. Als primärer Grund gilt die wachsende Popularität von Netflix, Videoland und Amazon Prime, vor allem in der Gruppe der 12- bis 40-Jährigen, die sich neuen mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets zuwendet anstelle des herkömmlichen stationären Fernsehers. Das bedeutet für die Kabelfirmen, dass ihr altes Kerngeschäft rückläufig ist. Alexander Henschel von der Technologieberatung Goetzpartners glaubt, dass mittelfristig in fünf bis zehn Jahren viele Kunden nicht mehr bereit sein werden, für einen Kabel-TV-Anschluss, den sie gar nicht nutzen, automatisch zu zahlen, wie das heute in der Wohnungswirtschaft noch der Fall ist (sogenanntes Nebenkostenprivileg).Beim Konsum von filmischen Inhalten ist eine wachsende Fragmentierung des Publikums im Gange. Bei den 14-bis 49-Jährigen hat kein großer Sender mehr als 12 % Marktanteil. Dies bedroht die Werbeeinnahmen der großen Free-TV-Sender – öffentlicher wie privater – unmittelbar. Henschel ist überzeugt, dass es im klassischen TV-Markt in den nächsten drei bis fünf Jahren zu einem Einbruch von mindestens 10 % kommen wird. Dieser Einbruch beeinträchtigt die Fähigkeit der Sender, attraktive Inhalte einzukaufen, und setzt somit eine Negativspirale in Gang. Die Sender empfehlen sich demzufolge nicht unbedingt als Partner für die Telekom- und Kabelbranche, jedenfalls nicht allein.Plötzlich scheint für die Technikanbieter doch zu gelten: Content is King. In den USA sind die Platzhirsche auf dem Sprung oder schon gelandet,wie AT&T. Der Telekomgigant hat vor Gericht die Übernahme von Time Warner für 85 Mrd. Dollar durchgesetzt und verfügt damit über ein mediales Powerhouse, das sowohl eigene Nachrichten- und sonstige TV-Sender einbringt als auch Premium-Kanäle wie HBO, Produzent der Blockbusterserie “Game of Thrones”, oder Cinemax sowie die Filmgesellschaft Warner Bros. Kabelriese Comcast verfolgt dieselbe Strategie und liefert sich derzeit eine Übernahmeschlacht um 21st Century Fox, die bei rund 70 Mrd. Dollar steht.Experten sind indes skeptisch, ob sich diese Megatransaktionen auszahlen. AT&T senkt zwar ihre Kosten der Content-Akquise, aber Time Warner selbst ist mit der Abhängigkeit von einem Netzbetreiber im Geschäft der Content-Vermarktung eingeschränkt. In Europa geht die Branche selektiver vor. Im Fokus stehen vor allem Sportübertragungsrechte, auf deren Erwerb Konzerne wie Telefónica oder BT ihre IPTV-Plattformen stützen. Da auch hier Internet-Player in den Ring steigen, sind die Rechte alles andere als ein Schnäppchen. So musste Telefónica für die Jahre 2018 bis 2022 rund 1 Mrd. Euro für die Übertragungsrechte an Europa und Champions League in Spanien hinblättern. Für La Liga, das spanische Pendant zur Bundesliga, wurden für 2019 bis 2022 sogar 2,94 Mrd. Euro fällig. Die Rechte an der britischen Premier League im gleichen Zeitraum erwarben BT Sport und Sky für insgesamt 4,46 Mrd. Pfund, wobei Sky den Löwenanteil von 3,58 Mrd. Pfund berappte und BT 885 Mill. Pfund ausgab. Beide Firmen sind – ebenso wie die hoch verschuldete Telefónica – finanziell nicht auf Rosen gebettet und stehen unter Druck, den Investoren eine klare Strategie für den Return zu präsentieren. Analysten sind indes relativ zuversichtlich, dass es gelingen wird, das Geld mit einer Mischung aus Abonnements, Werbeeinnahmen und Wholesale (Wiederverkauf) zu verdienen. Der Wiederverkauf der begehrten Sportübertragungsrechte dürfte eine gute Option sein, solange kein Player mit tiefen Taschen wie Amazon Prime beim Rechteerwerb im Spiel ist, der anschließend die Preise drückt. Hier liegt die Crux für die Strategie der Aggregatoren, die sich als Wiederverkäufer anbieten. Für sie könnte die erzielbare Spanne zu eng werden. Telekom, Vodafone, Orange und andere, die auf Lizenznahme und Wiederverkauf setzen, haben zunächst ein geringeres finanzielles Risiko, aber sie sind aus Sicht der Kunden auch schneller austauschbar.