IM GESPRÄCH: HEINO ERDMANN

Auf den Führungswechsel folgt oft die Digitalisierung

Sage-Finanzvorstand erwartet zahlreiche Unternehmensübergaben trotz Krise - "Konkrete Vorbereitung" beginnt oft erst spät

Auf den Führungswechsel folgt oft die Digitalisierung

Von Sebastian Schmid, FrankfurtUnternehmensübergaben im Mittelstand sind oft schwierige Angelegenheiten. In der aktuell für viele mittelständische Unternehmen hochunsicheren Lage angesichts der Coronavirus-Pandemie ist es für viele noch einmal schwieriger geworden. Dennoch dürften zahlreiche Unternehmen auch in dieser Phase in andere Hände übergeben werden. Eine amtlicher Statistik für die Zahl der anstehenden Unternehmensübergaben gibt es zwar nicht. Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM) schätzt allerdings allein für den Zeitraum 2018 bis 2022, dass etwa 150 000 Unternehmen mit rund 2,4 Millionen Beschäftigten vor einem Eignerwechsel standen.Heino Erdmann, Finanzvorstand des Softwarekonzerns Sage, erlebt immer wieder, “dass sich Seniorchefs nicht frühzeitig um die Unternehmensnachfolge kümmern”. Das sei gerade in der aktuellen Phase ein Problem – insbesondere, wenn keine familieninterne Nachfolge möglich sei. Empfehlenswert sei aus seiner Sicht, mindestens zwei bis drei Jahre vor der Unternehmensübergabe mit der Planung zu starten. Dazu gehöre beispielsweise, die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu prüfen und sich Gedanken zu machen, welche Kriterien der potenzielle Nachfolger erfüllen soll und wo er zu finden ist – “ob in der eigenen Familie, dem eigenen Betrieb oder möglicherweise extern”. Zudem müsse so ein Zukunftsplan natürlich regelmäßig angepasst werden. Die Zukunftsfähigkeit eines Geschäftsmodells kann mittlerweile natürlich schon ganz anders aussehen, als sich das vor einigen Monaten noch dargestellt hatte. “Aus meiner persönlichen Erfahrung befassen sich Unternehmer häufig erst ein Jahr vor der Übergabe mit dem Thema Unternehmensnachfolge”, erzählt Erdmann. “Bis sie dann in die konkrete Vorbereitung gehen, vergehen oft noch weitere sechs Monate – also deutlich kürzer, als aus meiner Sicht sinnvoll wäre.” Schnäppchenjäger im MarktAktuell sei der Markt ohnehin eher von Zurückhaltung geprägt. “Potenzielle Investoren versuchen, ein Schnäppchen zu machen. Das führt dazu, dass die Erwartungen im Hinblick auf Verkaufs- und Kaufpreis zwischen den Marktteilnehmern deutlich auseinanderliegen”, so Erdmann. Eine gute Planung der Unternehmensnachfolge sei in der aktuellen Krisenzeit wichtiger denn je. Der Seniorchef müsse sich im Vorfeld mit dem Unternehmenspreis befassen. “Häufig ist dieses Thema sehr emotional geprägt. Grundsätzlich gilt aber, dass der Preis marktgerecht sein sollte.” Dabei könnten neben Wirtschaftsprüfer und Steuerberater etwa auch Unternehmerbörsen wie Nexxt-Change bei der Preisorientierung helfen.Um den Kaufpreis festzulegen, sei es vor allem wichtig, die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu prüfen. “Je zukunftsfähiger sich das Unternehmen dargestellt, desto attraktiver wird es für eine Übernahme.” Zu prüfen gebe es viele Punkte: Ist das Geschäftsmodell zeitgemäß? Reagiert das Unternehmen agil auf Marktveränderungen mit Anpassung von Strategie, Strukturen und Prozessen? Welche Risiken existieren? Sind die Produkte zukunftsfähig? Wie hoch ist der Digitalisierungsgrad? An letzterem Punkt bringt sich der Unternehmenssoftwareanbieter Sage ins Spiel. Die Briten arbeiten wie der größere Walldorfer Wettbewerber SAP daran, IT- und Geschäftsprozesse von Unternehmenskunden in die Cloud zu übertragen und dabei möglichst effizienter zu machen. “Ein Führungswechsel im Unternehmen ist eine gute Chance, den Blick auf die Digitalisierung zu richten und diese strategisch anzugehen”, sieht Erdmann in den zahlreichen Unternehmensübergaben Chancen für sein Unternehmen. “Zum einen, weil derartige Einschnitte in der Firmenhistorie immer ein geeigneter Anlass sind, bestehende Strukturen grundsätzlich zu hinterfragen, und zum anderen, weil im Zuge von Nachfolgeprozessen meist Vertreter jüngerer Generationen das Ruder übernehmen, die in der Regel bezüglich neuer Technologien über eine größere Expertise verfügen als ihre Vorgänger”, erklärt er. Transparenz ist wichtigZudem habe die Krise viele Unternehmen zum Umdenken angeregt. “Firmen haben erkannt, dass sich Kosten wie beispielsweise für Dienstreisen oder Events deutlich reduzieren lassen.” Auch die Flexibilität im Hinblick auf den Arbeitsort der Mitarbeiter werde in vielen Unternehmen deutlich zunehmen. “Für den Unternehmensnachfolger bietet dies ein riesiges Potenzial, diese neue Flexibilität als festen Bestandteil zu etablieren.” Ein wesentlicher Aspekt des Wandels sei, die “Mitarbeiter als Träger des Firmen-Know-hows unmittelbar in den Change-Prozess zu involvieren.” Auch Banken, Lieferanten und Kunden sollten frühzeitig die Überlegungen des Firmenchefs zu einer Nachfolge erfahren. “Transparenz gegenüber den Stakeholdern ist ein wichtiges Kriterium, damit die Nachfolge gelingt”, befindet Erdmann.Die Finanzierung sicherzustellen sei ohnehin nicht immer einfach. Einer Ifo-Umfrage unter mittelständischen Unternehmen zufolge hat im zweiten Quartal ein rekordhoher Anteil über Zurückhaltung der Banken in Kreditverhandlungen geklagt. “In der aktuellen Zeit ist es sicherlich schwieriger geworden, eine Finanzierung zu erhalten”, räumt auch Erdmann ein. Der Vorbereitung auf die Gespräche komme daher noch mehr Bedeutung zu. “Der Senior-Chef hat hier die Aufgabe, detaillierte Informationen zum Status quo des Unternehmens zur Verfügung zu stellen” – darunter die Prüfung der Bilanzen, der Gewinn-und-Verlust-Rechnungen mindestens der letzten drei Jahre sowie der gegenwärtigen Ertragssituation. “Diese Zahlen gilt es mit Erkenntnissen zur Marktstellung, zum Image des Unternehmens bei Kunden, Co-Workern und Lieferanten sowie zur Situation der Branche im Allgemeinen zusammenzuführen, um so ein ganzheitliches Bild der Ist-Situation zu liefern.” Dem Nachfolger komme die Aufgabe zu, einen Business- beziehungsweise Fortführungsplan zu erstellen. “Auch die Art und Weise, wie professionell die Nachfolge geplant wird, kann dazu beitragen, die Finanzierungskosten zu senken”, rät er.