RECHT UND KAPITALMARKT

Aufsichtsrat geht mit Investoren in den Dialog

Außenkommunikation auf eigene Zuständigkeitsbereiche begrenzt - Differenzierung nach Anlegergruppen geboten

Aufsichtsrat geht mit Investoren in den Dialog

Von Christoph H. Seibt *)Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) erhielt 2017 zum Thema der Investorenkommunikation eine knappe Anregung in Ziffer 5.1.2 Absatz 2: “Der Aufsichtsratsvorsitzende sollte in angemessenem Rahmen bereit sein, mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen Gespräche zu führen.” Diese Anregung wurde vorbereitet durch eine Arbeitsgruppe aus Vertretern institutioneller Investoren und Unternehmen sowie von Wissenschaftlern, die im Sommer 2016 stark umstrittene “Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat” herausgegeben hatte. Die DCGK-Kommission versucht, dem deutlich gesteigerten Interesse von institutionellen Anlegern an einer Kommunikation mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden einen rechtlichen Anker zu geben.Vorstände und Aufsichtsräte von Börsenunternehmen sollten nun unternehmensspezifische Leitsätze zur Aufgabenverteilung bei der Investorenkommunikation erstellen – und dabei folgende Eckpunkte berücksichtigen:Die gesamthaft strukturierte Kommunikation mit wesentlichen Stakeholdern eines Börsenunternehmens hat über die letzte Dekade enorm an wirtschaftlicher Bedeutung für die Unternehmens(wert)entwicklung gewonnen und ist nicht bloße Geschäftsführungs-, sondern Leitungsaufgabe des Vorstandes. Die Investor Relations haben hierbei besondere Bedeutung: Denn Investoren sind nicht mehr nur anonyme Kapitalgeber, sondern auch Impulsgeber und Dialogpartner für die Unternehmensführung. Und sie sind zu einem solchen Dialog jetzt auch rechtlich angehalten (EU-Änderungsrichtlinie zur Aktionärsrechterichtlinie; UK Stewardship Code).Die Investorenkommunikation beruht rechtlich auf vier Säulen, in aufsteigender Bedeutung: (1) dem aktienrechtlichen Verbandsrecht mit Berichterstattung in der Hauptversammlung und Fragerecht der Aktionäre; (2) dem Rechnungslegungsrecht mit Jahresabschluss und Lagebericht (Chancen- und Risikobericht, Prognosebericht, CSR-Bericht), Erklärung zur Unternehmensführung sowie Vergütungsbericht; (3) dem Kapitalmarktrecht mit Finanzberichten, Ad-hoc-Mitteilungen und Prospekten; und (4) der “freiwilligen” Investorenkommunikation.Im dualistischen Leitungssystem ist in erster Linie der Vorstand als Leitungs- und Geschäftsführungsorgan hierfür verantwortlich. Der Aufsichtsrat ist allerdings kein reines Binnenorgan mehr, sondern ist in bestimmten Fällen gesetzlich zur Kommunikation verpflichtet: Aufsichtsratsbericht in der Hauptversammlung mit Erläuterung des Prüfungsberichts, Abgabe der jährlichen Entsprechenserklärung zu den DCGK-Empfehlungen sowie der Erklärung zur Unternehmensführung und Stellungnahme zu öffentlichen Kaufangeboten. AnnexkompetenzIm Hinblick auf Sachbereiche, die in die ausschließliche Zuständigkeit des Aufsichtsrates fallen (Zusammensetzung und Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat, Organisation der Aufsichtsratstätigkeit, Abschlussprüferauswahl), ist dem Aufsichtsrat eine Annexkompetenz im Hinblick auf die Außenkommunikation zuzubilligen. Dies entspricht dem Grundsatz der Organadäquanz: Nur der Aufsichtsrat kann zu in seinem ausschließlichen Kompetenzbereich liegenden Themen sprechen.Aus dem allgemeinen Verbot zur Geschäftsführung folgt für den Aufsichtsrat indes die Begrenzung der Außenkommunikation auf diese klar konturierten Fälle sowie das Gebot, sich im Regelfall vor jeglicher Außenkommunikation mit dem Vorstand zur Sicherstellung der im Unternehmensinteresse liegenden One Voice Policy abzustimmen.Die Unterwerfung der Außenkommunikation des Vorstands unter einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte zugunsten des Aufsichtsrates ist nur in Sondersituationen und dann nur beschränkt auf Einzelsachverhalte rechtlich zulässig; ein allgemeines Abstimmungsgebot für die Außenkommunikation des Vorstands verstieße gegen dessen autonome Leitungspflicht.In jedem Einzelfall der Kommunikation ist zu prüfen, ob die Vertraulichkeit oder gerade die Veröffentlichung nicht öffentlicher Interna im Unternehmensinteresse liegt. Das gilt selbst für Beratungsinhalte bei Organsitzungen oder Beschlussmehrheiten, wenngleich hier die Offenlegung selten gerechtfertigt sein wird. Zwar ist der Vorstand “Herr der Geschäftsgeheimnisse”, doch ist der Aufsichtsrat im Hinblick auf seine Beratungsinhalte und Abstimmungsergebnisse für den Vertraulichkeitsdispens zuständig. In Sonderfällen ist der Vorstand allerdings notberechtigt, auch hierzu Mitteilungen zu machen, wenn ansonsten eine Irreführung des Kapitalmarktes droht oder wesentliche Unternehmensinteressen gefährdet sind und der Aufsichtsrat selbst nicht handelt.Eine sachlich begründete Differenzierung zwischen Investorengruppen bei Detailtiefe, Kommunikationsform und -kanal ist nicht nur gerechtfertigt, sondern sinnvoll. Eine Grenze wird durch das Kapitalmarktrecht und hier die Kategorie der “Insiderinformation” gezogen. Eine Kommunikation über Insiderinformationen ist nur bei der Marktsondierung und darüber hinaus in Fällen der “Unerlässlichkeit” (EuGH-Rechtsprechung Grongaard & Bang) zulässig. RechenschaftspflichtDie Leitlinien der Außenkommunikation unterliegen der Gesamtverantwortung des Vorstandes. Die Einzelumsetzung erfolgt dann nach den Ressortzuständigkeiten. Das Gleiche gilt im Grundsatz für den Aufsichtsrat: Die Kommunikation bedarf der Willensbildung im Gesamtgremium oder im zuständigen Ausschuss. Die Außenkommunikation wird regelmäßig dann den Aufsichtsratsvorsitzenden oder in Fällen der Sachnähe dem Ausschussvorsitzenden obliegen. In jedem Fall besteht eine Rechenschaftspflicht gegenüber dem Gesamtgremium. In Normalsituationen wird die angemessene Außenkommunikation des Aufsichtsrates aus folgenden Elementen bestehen:- aussagekräftiger schriftlicher Aufsichtsratsbericht, Corporate-Governance- und Vergütungsbericht, daneben mündliche Erläuterung dieser Berichte mit Schwerpunktsetzung und einer zukunftsgerichteten Darstellung der Arbeitsschwerpunkte des Aufsichtsrates vor der Hauptversammlung;- Kompetenzprofil und Lebenslauf der Aufsichtsratsmitglieder, z. B. Deutsche Telekom, Eon, insbesondere in Relation zum selbstgestalteten Anforderungsprofil des Aufsichtsrates, z. B. Allianz, Commerzbank, sowie vergleichbare Vorstellung von Wahlkandidaten zum Aufsichtsrat, z. B. Stada, auf der Unternehmenswebseite;- gegebenenfalls ein “Corporate Governance”-Slot am Kapitalmarkttag oder bei ausgewählten Terminen einer Roadshow zu den Themen Kompetenzprofil und Zusammensetzung des Aufsichtsrats und des Vorstandes, Aufsichtsratsorganisation und Arbeitsschwerpunkte, Vorstandsvergütung, Abschlussprüferauswahl bei anstehender Rotation.Der Aufsichtsrat ist auch berechtigt, eine vom Vorstand unabhängige Kommunikationsberatung für seine interne Beratung zur Beurteilung der Außenkommunikation des Vorstandes zu mandatieren; ein externes Auftreten wird in der Regel mit der One Voice Policy kollidieren. Sondersituationen des Unternehmens oder im Unternehmensumfeld, wie existenzgefährdende Umstände, Compliance-Fälle, Strategiewechsel und transformatorische M & A-Transaktionen oder Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung der Organzusammensetzung, führen nach allgemeinen Grundsätzen zu einer erhöhten Beratungs- und Überwachungsintensität des Aufsichtsrates – und zu berechtigterweise erhöhten Erwartungen an die Außenkommunikation des Aufsichtsrates. Adäquate Maßnahmen können dann Doppelinterviews der Vorsitzenden des Vorstandes und des Aufsichtsrates oder allein mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates oder sogar Medienkonferenzen oder Investoren-Roadshows mit diesem sein.Diese rechtlich abgesicherte Praxishandreichung zeigt dreierlei: Es gibt Diskussionsbedarf zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Es verbieten sich Pauschallösungen und Standardleitsätze. Die Wichtigkeit von Investor Relations lohnt den Aufwand.—-*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer in Hamburg und Honorarprofessor an der Bucerius Law School.