Aufsichtsräte brauchen Sitzfleisch

Zeitliche Beanspruchung in der Gremienarbeit nimmt zu - Nur wenige Frauen an Bord

Aufsichtsräte brauchen Sitzfleisch

swa Frankfurt – Die Zeit der Frühstücksdirektoren ist unwiderruflich vorbei. Nach einer Analyse von Spencer Stuart nimmt die zeitliche und inhaltliche Beanspruchung in der Aufsichtsratsarbeit deutlich zu. Das zeige sich speziell im längerfristigen Vergleich, erklärt Ralf Landmann, Deutschland-Geschäftsführer der Personalberatung. Das lasse sich mit der Zahl der jährlichen Sitzungen belegen, die sich von durchschnittlich 4,6 im Turnus 2008 auf 7,1 im laufenden Jahr 2020 deutlich erhöht habe. Dazu kommen Treffen der Ausschüsse. Als Rekordhalter gilt Paul Achleitner, der 2016 als Aufsichtsratschef der Deutschen Bank 104 Sitzungen absolviert haben soll.Nach der Analyse im neuesten “Board Index” von Spencer Stuart hat sich die Größe der Aufsichtsräte seit dem Jahr 2010 von durchschnittlich 16 Personen auf 14 verringert. Die Studie umfasst in Deutschland die 30 Dax-Konzerne und weitere 38 Unternehmen aus der Dax-Familie. Die Kontrollarbeit verteile sich auf weniger Schultern und sei anspruchsvoller geworden, wird betont. Praktisch alle Unternehmen hätten Sonderausschüsse eingeführt, im Schnitt sind es vier mit unterschiedlichen Funktionen und Sitzungszyklen. Für einen Prüfungsausschuss stellten 97 % der Kontrollgremien Mitglieder ab. Ein Risiko-Komitee finde sich dagegen nur in 7 % der Unternehmen – ausnahmslos Finanzinstitute, die laut Kreditwesengesetz dazu verpflichtet sind. Fast die Hälfte aller untersuchten Unternehmen diskutiere zudem im Aufsichtsrat regelmäßig die Unternehmensstrategie, “vor sechs Jahren waren solche Strategie-Meetings erst bei jedem dritten Unternehmen üblich”, heißt es in der Analyse.Die Zusammensetzung der Gremien wird unterdessen professioneller bewerkstelligt. So haben 93 % der Unternehmen ein Anforderungsprofil veröffentlicht. Management-Erfahrung bleibt die entscheidende Voraussetzung für die Berufung: Diese bringen 75 % auf der Anteilseignerbank mit. Daneben spiele Erfahrung in Finanzthemen eine große Rolle, 56 % erfüllten diese Anforderung, ein Anstieg von fast 50 % im Vergleich zum Vorjahr. Dagegen ging der Anteil der Aufsichtsräte, die über Branchenerfahrung verfügen, um 2 Prozentpunkte auf 41 % leicht zurück. Technologie- beziehungsweise Digitalkompetenz sei gesucht. Mittlerweile erfülle nahezu ein Drittel der Aufsichtsräte diese Anforderung. “Die Digitalstrategie nicht nur zu verstehen, sondern sie kompetent zu hinterfragen und im Vergleich zu Wettbewerbern einzuordnen und zu bewerten – das wird eine immer wichtigere Aufgabe des Aufsichtsrats”, sagt Landmann.Aus Investorensicht wird in Aufsichtsräten auch zunehmend ESG-Kompetenz eingefordert. Eon zählt hier zu den wenigen Unternehmen, die einen Innovations- und Nachhaltigkeitsausschuss eingerichtet haben, der sich aus sechs Mitgliedern zusammensetzt und die Aufgabe hat, Aufsichtsrat und Vorstand in Umwelt/Nachhaltigkeits-, Sozial- und Governance-Themen zu beraten. Vorsitzende ist die Niederländerin Karen de Segundo.Als Ausschussvorsitzende sind Frauen mancherorts inzwischen gefragt, doch Männer dominieren weiterhin die Gremien. Nur bei wenigen Unternehmen sind laut Spencer Stuart mehr Frauen im Aufsichtsrat, als es das Gesetz vorschreibt. An die Aufsichtsratsspitze hat es im Dax 30 mit Simone Bagel-Trah bei Henkel erst eine Frau geschafft. Im MDax reihen sich drei weitere dazu: Marija Korsch bei Aareal Bank, Doreen Nowotne bei Brenntag sowie Cristina Stenbeck bei Zalando, wo insgesamt mehr Frauen als Männer im Gremium sind. Im TecDax ist Claudia Badstöber bei S&T als Aufsichtsratsvorsitzende allein auf weiter Flur. Bei SGL Carbon ist Susanne Klatten am Ruder, das Unternehmen ist aber nicht mehr im SDax. Martina Merz, die ehemalige Aufsichtsratschefin von Thyssenkrupp, lässt ihr Mandat ruhen, seit sie im Unternehmen die Position des CEO übernommen hat.