IM INTERVIEW: MICHAEL BÜRKER

Aufsichtsräte wünschen mehr Konfliktbereitschaft

Studie der Hochschule Landshut offenbart, dass in Kontrollgremien zu wenig kritisch hinterfragt wird - Hohe Fachkompetenz der Organvertreter

Aufsichtsräte wünschen mehr Konfliktbereitschaft

Veränderte und wachsende Anforderungen an Aufsichtsräte, ein neues Rollenverständnis und höhere Haftungsrisiken werden seit vielen Jahren diskutiert. Gleichwohl herrscht immer noch Unsicherheit, wie die Kontrollgremien richtig zu besetzen sind. Kritisiert werden mangelnde Unabhängigkeit oder fehlende Kompetenzen. Die Hochschule Landshut hat unter Leitung von Michael Bürker, Professor für Marketing, Kommunikation und Marktforschung, Aufsichtsräte und Vorstände nach diesen Themen befragt. Bürker äußert sich im Interview über die zentralen Ergebnisse der Studie.- Herr Bürker, Sie haben Aufsichtsräte und Vorstände über aktuelle Herausforderungen und das Selbstverständnis in den Kontrollgremien befragt. Welche Veränderungen nehmen Aufsichtsräte als besonders gravierend wahr?Vor allem die zunehmende Verantwortung sowie die gestiegenen Haftungsrisiken werden als besonders relevant wahrgenommen. Diese Einschätzung teilen im Übrigen auch die befragten Vorstände. Erst mit deutlichem Abstand folgt der Wettbewerb zwischen Frauen und Männern im Auswahlprozess. Der Generationenwechsel sowie der damit verbundene Eintritt neuer, jüngerer Aufsichtsräte scheint dagegen nur wenigen Kopfzerbrechen zu bereiten.- Die Aufsichtsräte zeigen sich erstaunlich selbstkritisch und heben mit Blick auf Schwachstellen die mangelnde Eignung von Gremienvertretern hervor. Wo hapert es in der fachlichen Qualifikation?Von hapern würde ich nicht unbedingt sprechen. Die Zufriedenheitswerte sind fast durchgängig positiv. In der Gesamtschau aller abgefragten Kriterien erzielen die Aufsichtsräte bei der Fachkompetenz sogar ihr bestes Ergebnis. Lediglich bei Risikomanagement/Interne Kontrolle und Produktion/Technik liegen sie im negativen Bereich. Was das Ergebnis trübt, ist die hohe Abweichung zwischen Anspruch und Zufriedenheit. Das gilt insbesondere für Unternehmensstrategie/-steuerung, Risikomanagement/Interne Kontrolle und Compliance.- Welche Ansprüche stellen Vorstände an die fachlichen Kenntnisse der Kontrolleure?Neben den bereits genannten Kriterien werden Branchen- und Marktkenntnisse sowie Finanzierung und Rechnungslegung als besonders wichtig eingestuft. Fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten bei Corporate Social Responsibility und Produktion/Technik fallen dagegen deutlich ab. Auffällig ist, dass die befragten Aufsichtsräte fast durchgängig höhere Ansprüche stellen als die Vorstände. Am größten ist der Unterschied bei der Corporate Social Responsibility. Nur Compliance wird von den Vorständen höher eingestuft als von den Aufsichtsräten.- Wie passt es zusammen, dass die Qualität der Aufsichtsräte dennoch insgesamt eine gute Note bekommt?Das liegt vor allem daran, dass nur wenige Aufsichtsräte und praktisch kein Vorstand den Höchstwert “sehr gut” vergeben hat. Dasselbe gilt für den schwächsten Wert “nicht gut”. Statistisch ausgedrückt, tendieren die Antworten stark zur neutralen Mitte. Unterm Strich stehen einer schwach positiven Zufriedenheit deutlich höhere Ansprüche gegenüber.- Sie haben erwähnt, dass im Urteil über die persönliche Eignung von Aufsichtsräten in der Selbstwahrnehmung eine Lücke zwischen Anspruch und Zufriedenheit klafft. Wo werden die Defizite gesehen?Signifikant am größten sind sie bei Unabhängigkeit und Konfliktbereitschaft. Der Unterschied ist so groß wie bei keinem anderen Kriterium in der Befragung. Und beide – Aufsichtsräte wie Vorstände – sind sich in diesem Urteil einig. Das muss ein Warnsignal für die Unternehmen und ihre Stakeholder sein. Weniger ausgeprägt ist die Lücke zwischen Anspruch und Zufriedenheit beim Umfang der beruflichen Erfahrung und Branchenerfahrung.- Selbstverständnis und Haltung von Aufsichtsräten bekommen kein gutes Urteil. Was wünschen sich die Befragten?Die Bereitschaft, sich mit Problemen auseinanderzusetzen und kritische Fragen zu stellen, ist Aufsichtsräten wie Vorständen mit Abstand am wichtigsten. In die gleiche Richtung geht die Forderung, Verantwortung solle nicht an externe Berater oder Wirtschaftsprüfer weitergegeben werden. In beiden Fällen ist die Lücke zwischen Anspruch und Zufriedenheit zugleich am größten. Dieses Ergebnis korrespondiert mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit und Konfliktbereitschaft als persönlichen Voraussetzungen von Aufsichtsräten.- Konfliktbereitschaft ist eine zentrale Anforderung. Der Aufsichtsrat muss auch mal unbequeme Fragen stellen. Ist das allein eine Frage der Persönlichkeit oder kann man das trainieren?Auch wenn es sich paradox anhört: Konflikte sind Strategien, um Beziehungen trotz Gegensätzen auch in schwierigen Situationen fortsetzen zu können. Die Alternative wäre immer der Abbruch der Kommunikation. Meist läuft dies auch auf das Ende der Beziehung hinaus. Umgekehrt ist die Fähigkeit, sich Konflikten zu stellen und die Auseinandersetzung zu suchen, eine Überlebensstrategie. Das erfordert Mut, die Fähigkeit, Gegensätze, auch den Entzug von Sympathie und Wertschätzung, auszuhalten. Persönliche und materielle Unabhängigkeit sind dafür wichtige Voraussetzungen.- Das lässt sich nicht trainieren?Was sich trainieren lässt, ist die Fähigkeit, Konflikte frühzeitig zu erkennen, zu verstehen und aus einem Arsenal an Bewältigungsstrategien zu wählen. Dazu zählt auch der Umgang mit Gefühlen, die erfahrungsgemäß immer mit im Spiel sind. Nicht selten sind sie die größte Barriere in Konflikten. Anstelle von singulären Weiterbildungs- und Trainingsmaßnahmen können hier begleitende Coachings helfen.- Was halten Aufsichtsräte und Vorstände für entscheidend, um die Governance zu verbessern?Ganz oben steht für beide Gruppen die Zusammenarbeit und das Vertrauensverhältnis mit dem Vorstand und dem CEO. Auch der Führung des Aufsichtsrats sowie der Leitung von Komitees und Ausschüssen wird eine hohe Bedeutung zugemessen. Wenn man dieses Ergebnis mit der Forderung nach mehr Unabhängigkeit und Konfliktbereitschaft zusammenbringt, wird deutlich, wie viel heute insbesondere den Vorsitzenden der Aufsichtsräte und Ausschüsse abverlangt wird. Wenn man direkt nach Maßnahmen fragt, halten Aufsichtsräte vor allem Weiterbildung für den Schlüssel zur Verbesserung. Vorstände plädieren schlicht für mehr Erfahrung.- Was bringt der ideale Aufsichtsrat mit, wenn man den Ergebnissen der Studie folgt?In unserer Studie haben wir vier Exzellenzkriterien identifiziert: Der exzellente Aufsichtsrat ist fachlich kompetent vor allem in Fragen der Unternehmensstrategie und -steuerung. Er verfügt über profunde Markt- und Branchenkenntnisse und ist vertraut mit Finanzierung und Rechnungslegung sowie Risikomanagement und interne Kontrolle. Darüber hinaus soll er persönliche Unabhängigkeit mitbringen und bereit sein, Vorgänge kritisch zu hinterfragen. Auseinandersetzungen darf er nicht aus dem Weg gehen. Kurz gesagt: Er soll der zunehmenden Verantwortung und den gestiegenen Haftungsrisiken mit Haltung begegnen.—-Das Interview führte Sabine Wadewitz.