Chipmangel

Autobauer gehen gegen Knappheit selektiv vor

Mitten in der Erholung von der Coronakrise bremst die weltweite Chipknappheit die Dynamik der deutschen Autohersteller im Neugeschäft. Einer Umfrage der Börsen-Zeitung zufolge sind Volkswagen, BMW, Daimler und Opel in der Produktion von den Lieferengpässen bislang aber nur in einzelnen Werken betroffen.

Autobauer gehen gegen Knappheit selektiv vor

sck/ste/jh/wü

München/Hamburg/Paris – Die bisherigen Produktionsbeschränkungen aufgrund der Knappheit von Halbleitern tangieren bei den deutschen Autoherstellern sowohl Standorte im In- als auch im Ausland. Die Konzerne versuchen, bei der Problematik selektiv vorzugehen. Dabei sind sie darum bemüht, die Folgen größerer Ausfälle in der Fertigung möglichst zu begrenzen, um die Mehrkosten einzudämmen.

Das Thema betrifft die Autobranche weltweit. Alix Partners schätzt, dass 2021 wegen des Mangels rund 3,9 Millionen Fahrzeuge weniger gefertigt werden als ursprünglich geplant. Das entspreche einem Wert von insgesamt 110 Mrd. Dollar.

Nach Angaben von Volkswagen sind die deutschen Werke der Marke VW Pkw derzeit (Stand Mitte Mai) „alle im Normalbetrieb“. Die aktuelle Lage an den Standorten werde von den „einzelnen Marken kommuniziert“, teilte der Wolfsburger Mehrmarkenkonzern auf Nachfrage mit. Seit Anfang des Jahres waren nach Unternehmensangaben die VW-Fabrik im Emden, der auf mehrere Konzernmarken ausgerichtete Standort Bratislava (Slovakei) und die VW-Crafter-Produktion in Polen „aufgrund der Halbleiterknappheit vorübergehend und in unterschiedlichen Phasen betroffen“. Auch Standorte anderer Marken hätten ihre Produktion entsprechend anpassen müssen. Das Mehrmarkenwerk Bratislava zum Beispiel musste die SUV-Produktionslinie bis zum 14. Mai stoppen – die New Small Family Cars, die ebenfalls im Werk Bratislava produziert werden, sind davon allerdings nicht betroffen, so VW.

Im ersten Quartal konnte VW wegen des Chipmangels rund 100000 Autos nicht wie geplant produzieren. „Im laufenden zweiten Quartal dürften mindestens noch einmal ähnlich viele Fahrzeuge wegfallen, eventuell auch mehr“, befürchtet der Konzern. Zur Vorlage des Zahlenwerks zum Jahresauftakt warnte Finanzvorstand Arno Antlitz im Interview der Börsen-Zeitung davor, dass die Unterversorgung mit Halbleitern in der gesamten Indus­trie im zweiten Quartal voraussichtlich etwas deutlichere Auswirkungen haben werde als bisher (vgl. BZ vom 6. Mai). VW bekräftigte diese Warnung: „Aktuell gehen wir davon aus, dass in den kommenden Monaten die Versorgung mit Chips angespannt bleiben wird. Weitere Produktionsanpassungen sind darum nicht auszuschließen.“

Oberklasse wird geschont

Für die zweite Jahreshälfte geht die Konzernführung davon aus, dass sich die Situation entspannt: „Wir erwarten im zweiten Halbjahr für die Halbleiterversorgung eine Verbesserung.“ Entsprechend der neuen Versorgungslage werde der VW-Konzern „alles daransetzen, die dadurch nicht gebauten Fahrzeuge im Jahresverlauf weitestgehend aufzuholen. Priorität hat dabei die Abarbeitung des hohen Auftragsbestandes.“ In den vergangenen Monaten hat VW nach eigenen Angaben „mit Hochdruck und mit Erfolg daran gearbeitet, die Auswirkungen des weltweiten Halbleiter-Engpasses auf die Produkte im Konzern zu minimieren“. So sei es „bisher nur zu vereinzelten Ausfalltagen in verschiedenen Werken“ gekommen. Seit Anfang des Jahres hätten die meisten deutschen Werke des Konzerns „vorübergehend und in unterschiedlichen Phasen das Instrument der Kurzarbeit beantragt und genutzt“.

Derweil kam BMW bisher relativ glimpflich davon. Eine Pressesprecherin des Münchner Herstellers teilte mit, dass zuletzt an vereinzelten Standorten bestimmte Schichten in der Produktion aufgrund des Chipmangels kurzzeitig ausgefallen seien. Den Angaben zufolge hat es sich dabei je nach Einzelfall um eine Dauer von ein bis drei Tagen gehandelt. Betroffen gewesen sei das Werk in Oxford, der Standort Regensburg und der Auftragsfertiger Nedcar in den Niederlanden. Auf der jüngsten Hauptversammlung nannte Vorstandschef Oliver Zipse auf Nachfrage von Aktionären dafür zwei Gründe: die Winterstürme in den USA und den Brand bei einem Chipfertiger in Japan (vgl. BZ vom 17. Mai). Die Stürme sorgten dafür, dass die Produktion eines Infineon-Werks in Texas wochenlang ausfiel. Der Brand betraf eine Fabrik von Renesas.

Das BMW-Werk in Großbritannien fertigt Baureihen der Kleinwagenmarke Mini. Im bayerischen Regenburg produziert BMW überwiegend kleinere Modellreihen der Kompaktwagenklasse (darunter BMW 1er, BMW 2er, BMW 4er). Im Partnerwerk Born (Holland) lässt der weiß-blaue Dax-Konzern bei Nedcar u.a. Serien des Mini Cabrio und Mini Countryman herstellen. Bisher war nur ein geringer Teil des weltweiten Fertigungsnetzes von BMW von der Knappheit betroffen. Das Unternehmen beschränkte sich dabei vor allem auf Baureihen, die geringere Deckungsbeiträge liefern als höherpreisige Fahrzeuge der Limousinen-Serie (BMW 5er, BMW 7er und BMW 8er) sowie der größeren SUV-Modelle (BMW X3, BMW X5, BMW X6, BMW X7, BMW X8). Insgesamt umfasst das Produktionsnetz von BMW 31 Standorte in 15 Ländern. Zur Vorlage der Zahlen zum ersten Quartal warnte aber Vorstandschef Zipse davor, dass in Bezug auf die Verknappung „die ein oder andere Anpassung“ im laufenden Dreimonatsabschnitt notwendig sein werde (vgl. BZ vom 8. Mai). BMW werde aber „nicht spürbar beeinträchtigt“. BMW sei „in engster Abstimmung“ mit ihren Chiplieferanten. Auf dem Aktionärstreffen ergänzte er auf Nachfrage, dass BMW „rechtzeitig“ Halbleiter für 2021 bestellt habe.

In den Werken von Mercedes-Benz läuft die Produktion wieder normal. Das gelte nun auch für Rastatt, wo es bis vergangenen Freitag Kurzarbeit und einen Produktionsstopp gegeben habe, berichtete eine Sprecherin des Unternehmens. Lieferengpässe hatten zudem die Fertigung in Bremen und Sindelfingen eingeschränkt. Entwarnung gibt es freilich nicht. „Wir fahren weiterhin auf Sicht“, heißt es in Stuttgart. Produktionsvorstand Jörg Burzer hatte in der vergangenen Woche angekündigt, dass „größere Eingriffe“ zumindest in den nächsten drei Wochen nicht zu erkennen seien.

Priorität für Elektro-Baureihe

Auf die Schwankungen reagierten die Werke der Autoeinheit von Daimler kurzfristig. Höchste Priorität in der Produktion hätten die elektrisch angetriebenen EQ-Modelle. Die Kurzarbeit hatte zwischenzeitlich kleinere Modelle mit Verbrennungsmotor getroffen sowie in Sindelfingen die E-Klasse. Daimler-Finanzvorstand Harald Wilhelm hatte vor knapp einem Monat gesagt, die Auswirkungen der Knappheit sollten von der S-Klasse ferngehalten werden. Garantieren könne man das aber nicht. Zudem hatte Wilhelm gewarnt, der Mangel an Chips könne im aktuellen Quartal zu einem Absatzrückgang von Mercedes-Benz führen (vgl. BZ vom 24. April).

Über die Produktion werde von Tag zu Tag neu entschieden, sagte unterdessen ein Sprecher von Opel. „Seit Beginn der Covid-Krise steuern wir unsere Aktivitäten täglich in jedem einzelnen Werk, indem wir unsere industriellen Aktivitäten an die Entwicklungen anpassen und die unterschiedlichen Situationen be­rücksichtigen, mit denen wir konfrontiert sind.“ Er bezog sich u.a. auf die Beschaffung von Chips. Die Produktion werde nicht länger als ein paar Stunden unterbrochen.

Der deutsche Autobauer, der seit 2017 zu dem im Januar mit Fiat Chrysler zu Stellantis fusionierten PSA-Konzern aus Frankreich gehört, ist im Heimatmarkt mit den drei Standorten Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern vertreten. Die britische Schwestermarke Vauxhall verfügt über zwei Werke. In Eisenach musste Opel die Produktion zu Beginn des Jahres drosseln, im französischen Rennes wurde sie im April für rund eine Woche unterbrochen. Stellantis konnte im ersten Quartal 190 000 Fahrzeuge nicht wie geplant bauen. Das entspricht rund 11% der geplanten Fertigung. Der Opel-Mutterkonzern rechnet in der zweiten Jahreshälfte mit einer Besserung.