Bangladesch wird für die Modebranche immer wichtiger

Bald gleichauf mit China - Kurt Salmon analysiert Einkauf der europäischen Bekleidungsindustrie - Nachhaltigkeit und Sicherheit "absolute Kernthemen"

Bangladesch wird für die Modebranche immer wichtiger

hek Frankfurt – Die Kräfteverhältnisse unter den Zulieferern der Modebranche verschieben sich. Während China, das lange dominierte, zunehmend Boden verliert, drängt Bangladesch immer weiter nach vorn. Das zeigt eine Analyse des Management- und Strategieberatungsunternehmens Kurt Salmon. Der Preis sei in der Textilbranche nicht mehr das ausschlaggebende Argument. Vielmehr rückten Umweltschutz und Sustainability in den Vordergrund. Die Bedeutung von Nachhaltigkeitsthemen werde künftig weiter zunehmen, ist Peter Rinnebach, Managing Director bei Kurt Salmon, einem Teil von Accenture Strategy, überzeugt.Die Beratungsgesellschaft hat untersucht, woher die europäischen Modeeinkäufer ihre Lieferungen beziehen und wie die Lieferketten aufgestellt sind. Demnach betrug der Anteil Chinas im Jahr 2018 nur noch 28 %. Vier Jahre zuvor seien es noch 34 % gewesen, 2011 sogar mehr als 38 %. Bis 2022 könnte der Wert auf 23 % sinken, schätzt Kurt Salmon. Bangladesch dagegen wird als Produktionsstandort für Bekleidung immer wichtiger. Kam das Land 2014 auf einen Sourcing-Anteil von 16 % und 2018 auf 20 %, könnten es 2022 bereits 23 % sein, schätzen die Berater. Damit würde das Land China einholen. Myanmar, Kambodscha und Vietnam dürften der Prognose zufolge ebenfalls ihre Position stärken, während für die Türkei, Indien und Rumänien Marktanteilseinbußen erwartet werden.”Dass Bangladesch mit China gleichziehen könnte, war lange Zeit undenkbar”, sagt Rinnebach im Gespräch der Börsen-Zeitung. Das ursprünglich auf einfache Textilien wie Socken und T-Shirts ausgerichtete Land arbeite intensiv daran, eine Fertigung für komplexere und höherwertige Produkte aufzubauen. Damit könne Bangladesch in der Breite der Sortimente eine größere Rolle spielen. Fabriken professionalisiertSeit der Rana-Plaza-Katastrophe im April 2013, als beim Einsturz einer Textilfabrik mehr als tausend Menschen starben, hätten sich die Produktionsbedingungen in dem Land stark verändert. “Es ist unheimlich viel investiert worden”, sagt Rinnebach. Die Fabriken seien professionalisiert worden, Sicherheit und Nachhaltigkeit hätten heute einen höheren Stellenwert. “Gute Lieferanten in Bangladesch bieten die gleichen oder sogar bessere Sustainability-Standards als Lieferanten in China”, betont der Berater. Zugleich sei Bangladesch preislich nach wie vor extrem wettbewerbsfähig. Zwar würden dort die Löhne Jahr für Jahr kräftig angehoben, doch sei der Kostenvorteil gegenüber China noch immer enorm. Die Einkaufspreise betrügen nur ein Drittel des chinesischen Niveaus.China reagiere auf die Marktanteilsverluste mit Investitionsprogrammen, um die Verlagerung von Produktionskapazität von der mittlerweile recht teuren Ostküstenregion ins billigere Binnenland zu fördern. Zudem setze das Land verstärkt auf wirklich hochwertige Textilien. Der rückläufige Sourcing-Anteil der Volksrepublik hängt allerdings auch mit dem stark wachsenden Inlandsbedarf zusammen, der einen zunehmenden Teil der Kapazitäten absorbiert. China sei sich bewusst, dass es als Produktionsland für Textilien auf Discount-Niveau immer weniger attraktiv sein werde, sagt Rinnebach. Die Volksrepublik verfüge aber über eine stark integrierte Textilkette, die von der Materialproduktion bis zur Fertigproduktherstellung reiche, und ein sehr hohes Fähigkeitsniveau. Daher bleibe das Land ein attraktiver Standort für europäische Einkäufer.In Afrika seien Tunesien, Marokko und mit Abstrichen Ägypten etablierte Beschaffungsländer für Europa. In anderen Ländern wie Äthiopien, über das in der Branche viel diskutiert wird, fehlten moderne Fertigungskapazitäten, ausgebildete Arbeitskräfte und etablierte Transportwege. Viele Anbieter würden zwar mit Sourcing aus afrikanischen Ländern experimentieren, doch seien die Volumina gering. “Das mag sich ändern, wird aber eine lange Reise sein”, sagt Rinnebach.Sicherheit und Nachhaltigkeit in der Fertigung seien “absolute Kernthemen” für Einkäufer. Vor fünf Jahren hätten sich Marken noch über Sustainability differenzieren können, heute sei das eine Grundbedingung. “Egal ob H&M, Zara, Gap oder Ralph Lauren – keine dieser Marken kann es sich leisten, an einem Unglück wie Rana Plaza beteiligt zu sein”, stellt Rinnebach klar. “Das wäre eine Katastrophe für das Markenimage.” In vielen Fabriken kontrollierten Mitarbeiter der Marken-Unternehmen, ob die Standards in Bezug auf Feuerschutz, Gebäudesicherheit und Kinderarbeit eingehalten werden. Hinterhoffabriken gebe es natürlich noch, aber die produzierten nicht für die führenden europäischen Marken.Der Anstieg der Produktionskosten setzt sich laut der Kurt-Salmon-Studie in fast allen Hauptlieferländern fort. Eine Ausnahme ist die Türkei, wo die Kosten, begünstigt durch die Währungsabwertung, zurückgehen. Produktivitätsverbesserungen könnten den Anstieg der Arbeitskosten nicht länger kompensieren, heißt es. Neue Sourcing-Destinationen mit noch niedrigeren Kosten seien nicht in Sicht. Rabatte zehren an der MargeIm Einkauf sei der Preis zwar wichtig, aber nicht der entscheidende Faktor, meint Rinnebach. Bei einem Pullover, der im Laden 100 Euro koste, machten die Produktions- und Transportkosten lediglich 20 Euro aus. Wenn man durch den Wechsel in ein günstigeres Fertigungsland 10 %, also 2 Euro, sparen könne, falle das nicht so sehr ins Gewicht: “Viel mehr Geld als im Sourcing verlieren die Markenartikler im Moment durch die stark gestiegenen Verkaufsrabatte.” Vor zehn Jahren hätten die Preisnachlässe der großen Fashion-Marken 10 bis 12 % betragen, heute seien 20 % normal. Die höheren Nachlässe schlügen direkt auf den Rohertrag durch. Wem es gelinge, die zusätzliche Lücke von rund zehn Prozentpunkten zu schließen, etwa durch Steigerung der Kundenrelevanz oder der Nachhaltigkeit, könne hohe Umsatz- und Margenpotenziale heben. Dafür seien aber verlässliche, innovative und schnell reagierende Lieferanten erforderlich. Daher liege der Fokus auf der Frage, wie die Beschaffung die Relevanz auf der Absatzseite erhöhen könne, nicht darauf, wie man ein paar Cent im Einkauf sparen könne.