RECHT UND KAPITALMARKT

Bankenaufsicht durch EZB nimmt Formen an

Der Single Supervisory Mechanism ist in Betrieb - Neue Beschwerdeinstanz könnte Streitfreude fördern

Bankenaufsicht durch EZB nimmt Formen an

Von Mathias Hanten *)Die gesetzgeberische Aufarbeitung der Finanzmarktkrise hatte die Europäische Kommission, insbesondere die Binnenmarktkommissare und den europäischen Gesetzgeber, veranlasst, das “Single Rulebook” zu verfassen. Damit sollte dem EWR ein einheitliches Aufsichtsregime sowohl in Bezug auf die materiellen Regelungen als auch in Bezug auf die Aufsichtsstruktur gegeben werden.Die Schaffung einer einheitlichen Aufsichtsstruktur, mit der zentralen Rolle der Europäischen Zentralbank (“EZB”), die politisch, partei- und länderübergreifend sehr kontrovers diskutiert wurde, hat ihre gesetzliche Umsetzung gefunden und wird praktisch aufgenommen.Die Aufsichtsinstrumente sind durch unmittelbar geltende Verordnungen geschaffen worden. Hierbei handelt es sich um die Verordnung vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (EU/1024/2013 – “SSM-Verordnung”) und die Verordnung vom 14. Mai 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden (EZB/2014/17 – “SSM-Rahmenverordnung”).Die SSM-Verordnung regelt die Aufgaben, welche die EZB als Aufsichtsbehörde zu erfüllen hat, während die SSM-Rahmenverordnung sich mit der verwaltungsrechtlichen und -technischen Einrichtung des Aufsichtsmechanismus befasst.In den letzten Monaten wurden alle Kreditinstitute durch die EZB unterrichtet, sofern sie als “bedeutendes beaufsichtigtes Unternehmen” angesehen und deshalb direkt durch die EZB beaufsichtigt werden. Die Gründe, aus denen sich die Qualifikation als bedeutendes beaufsichtigtes Unternehmen ergibt oder ergeben kann, finden sich in Art. 6 Abs. 4 der SSM-Verordnung. Für die Qualifikation wird auf Kriterien wie Größe und Relevanz des Unternehmens oder der Gruppe für die Wirtschaft der Union oder eines teilnehmenden Mitgliedstaates oder die Bedeutung der grenzüberschreitenden Tätigkeiten des Unternehmens Bezug genommen. Zuordnung überraschtAls bedeutend, und damit grundsätzlich der Aufsicht der EZB unterworfen, gelten Unternehmen, deren Gesamtwert der Aktiva 30 Mrd. Euro übersteigt, oder Unternehmen, bei denen das Verhältnis zwischen Aktiva des Unternehmens und dem BIP des Mitgliedstaats 20 % übersteigt, oder solche Unternehmen, welche die nationale zuständige Behörde als bedeutend für die betreffende Volkswirtschaft betrachtet.Besondere Umstände, die nach Art. 6 Abs. 4 SSM-Verordnung dazu führen können, dass ein Institut trotz der vorgenannten Kriterien nicht als bedeutend anzusehen ist, sind bislang nicht ausgearbeitet und nicht bekannt gegeben, sondern liegen im wenig gebundenen Ermessen der EZB.Für eine Ausnahme ließe sich etwa an Institute denken, die trotz einer großen Bilanzsumme nur einer sehr geringen Risikobelastung ausgesetzt sind oder als Institute in öffentlicher Trägerschaft geringe Ausfallrisiken zu erwarten haben; Ähnliches lässt sich für Institute in Betracht ziehen, die einen öffentlichen Auftrag verfolgen.Kreditinstitute, für die eine direkte öffentliche finanzielle Unterstützung durch die europäische Finanzstabilisierungsfazilität oder den ESM (“Europäischer Stabilitätsmechanismus”) beantragt oder entgegengenommen wurde, sind generell als bedeutende beaufsichtigte Unternehmen zu qualifizieren.Die Namen der bedeutenden beaufsichtigten Unternehmen sind nunmehr auf einer vollständigen, von der EZB erstellten Liste ebenso wie die weniger bedeutenden Institute veröffentlicht. Eine Reihe der als bedeutend eingestuften Unternehmen war davon überrascht.Wie ist die Zuordnung abgelaufen? Der europäische Gesetzgeber hatte sich bereits im Oktober 2013 entschlossen, die bedeutenden Institute mit Sitz im Euroraum, also zum Beispiel mit Ausnahme Großbritanniens, der Aufsicht durch die EZB zu unterwerfen.Von Juli bis September 2014 wurden die zukünftig bedeutenden beaufsichtigten Unternehmen von der EZB dazu angehört, dass beabsichtigt sei, sie ab dem 4. November durch die EZB unmittelbar zu beaufsichtigen. Zu einer Anhörung war die EZB aufgrund von Art. 31 SSM-Rahmenverordnung verpflichtet.Nach dieser Anhörung erließ die EZB gegenüber den jeweiligen Unternehmen einen Beschluss, der sie unter Angabe der Zuordnungsgründe fortan als bedeutende beaufsichtigte Unternehmen gelten lässt, mit der Folge, dass sie der unmittelbaren Aufsicht der EZB unterfallen.Gegen den Beschluss über die Qualifikation als bedeutendes beaufsichtigtes Unternehmen konnten die Institute innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses nach Art. 24 Abs. 5 SSM-Verordnung eine interne Überprüfung beim Administrativen Überprüfungsausschusses der EZB beantragen. Die hier fehlende aufschiebende Wirkung eines vorprozessualen Rechtsmittels ist für den Bereich der bankaufsichtsrechtlichen Verwaltungsstreitverfahren, jedenfalls in Deutschland, nicht neu, da bereits § 49 KWG eine sofortige Vollziehbarkeit aufsichtsrechtlicher Maßnahmen bestimmt.Die Institution des Administrativen Überprüfungsausschusses ist neu und ohne verwaltungsrechtliches Beispiel. Der Ausschuss wurde durch eine Entscheidung der EZB vom 14. April 2014 geschaffen und als behördenunabhängiges Gremium, das personell neutral besetzt sein soll, strukturiert. Zwischenzeitlich wurde das Gremium personell vollständig besetzt. Ihm gehören Javier Aríztegui von der spanischen Bankenaufsicht, Concetta Brescia Morra von der italienischen Bankenaufsicht, André Camilleri von der maltesischen Bankenaufsicht, Edgar Meister von der deutschen Bundesbank und Jean Paul Redouin von der französischen Zentralbank sowie als Ersatzpersonen Kaarlo Jännäri von der finnischen Bankenaufsicht und René Smits von der niederländischen Aufsichtsbehörde an.Unabhängig von der Überprüfung durch den Administrativen Prüfungsausschuss steht dem betroffenen Institut der Klageweg offen. Das Verfahren vor dem Administrativen Überprüfungsausschuss ist also keine Prozessvoraussetzung für den gerichtlichen Rechtsschutz gegen Maßnahmen der EZB.Zuständiges Gericht für Auseinandersetzungen über aufsichtsrechtliche Maßnahmen der EZB ist das Europäische Gericht und nicht, wie gelegentlich prominent vertreten, der Europäische Gerichtshof. Diese Frage der Zuständigkeit hat eine gewisse Brisanz, da die deutsche Fassung in Erwägungsgrund 60 der SSM-Verordnung fälschlich vom “EUGH”, also dem Europäischen Gerichtshof, spricht; die englische Fassung verwendet die, zutreffende, Abkürzung “CJEU”, die für “Court of Justice of the European Union” steht und alle Gerichte der Europäischen Union in Luxemburg, also den Gerichtshof, das Gericht und das Gericht für den öffentlichen Dienst, umfasst. Aus Art. 256 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) ergibt sich eindeutig, dass für Klagen im Sinne des Art. 263 AEUV, also Nichtigkeitsklagen gegen Maßnahmen der EZB, in erster Instanz das Europäische Gericht und eben nicht der Europäische Gerichtshof zuständig ist.Es wird interessant sein zu beobachten, ob und in welchem Umfang Streitigkeiten zwischen der EZB und bedeutenden beaufsichtigten Unternehmen einer Überprüfung durch den Administrativen Prüfungsausschuss und einer justiziellen Überprüfung unterzogen werden. “Prozessaversion”Es entsprach bislang zumindest deutscher Tradition, sich nicht gerichtlich mit der Bankenaufsicht auseinanderzusetzen. Diese “Prozess-aversion” hat verschiedene Gründe, die zum einen sicher in der Problematik der Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens liegen, zum anderen aber auch in der Befürchtung der Geschäftsleitungen liegen dürften, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung die dauernde Arbeitsbeziehung, auf die die Institute dringend angewiesen sind, belastet. Die Schaffung des Administrativen Überprüfungsausschusses als einem weisungsunabhängigen und damit gerichtsähnlichen Gremium mit Geheimhaltungsobliegenheit könnte eine etwas größere Streitfreude begründen.Ab 4. November 2014 werden die Uhren der Bankenaufsicht, auch wenn EZB und die nationalen Behörden der Pflicht zu loyalen Zusammenarbeit unterliegen, anders ticken.—-*) Dr. Mathias Hanten ist Partner von DLA Piper im Frankfurter Büro der Kanzlei.