Im BlickfeldRegenerative Landwirtschaft

Bayer krempelt Agrarsparte auf nachhaltig um

Bayer sieht in der regenerativen Landwirtschaft gewaltiges Marktpotenzial. Durch einen Fokus auf nachhaltigere Lösungen will der Konzern die US-Glyphosat-Kontroverse hinter sich lassen.

Bayer krempelt Agrarsparte auf nachhaltig um

Bayer krempelt Agrarsparte auf nachhaltig um

Bayer sieht in der regenerativen Landwirtschaft gewaltiges Marktpotenzial. Durch einen Fokus auf nachhaltigere Lösungen will der Konzern die US-Glyphosat-Kontroverse hinter sich lassen.

Von Alex Wehnert, New York

Der Agrochemiekonzern Bayer will sein Image in den Vereinigten Staaten nach den Glyphosat-Prozessen der vergangenen Jahre aufpolieren – und inszeniert sich als nachhaltiger und sozialer Partner für die Landwirtschaft. Auf ihrem „Crop Science Innovation Summit” in New York rührten die Leverkusener im Juni kräftig die Trommel für ihre Produkte auf dem Feld des regenerativen Agrarwesens.

„Für uns bedeutet regenerative Landwirtschaft die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion, höhere Einkünfte für Landwirte und eine größere Widerstandsfähigkeit der Landwirtschaft unter sich verändernden Klimabedingungen bei gleichzeitiger Wiederherstellung der Natur“, sagte Rodrigo Santos, Vorstandsmitglied von Bayer und Leiter der Cropsciences-Sparte, im Rahmen der Veranstaltung. Es gehe darum, neue Marktpotenziale zu erschließen, damit Bauern „Rentabilitäts- und Nachhaltigkeitsvorteile kombinieren können“.

Hinter den Parolen steht die Tatsache, dass Bayer in der regenerativen Landwirtschaft hohe Erlöschancen ausgemacht hat. Durch Investitionen in Segmenten wie biologische Wirkstoffe, Biotreibstoffe oder dem Management von Treibhausgasflüssen will der Konzern den potenziellen Markt seiner Cropsciences-Division auf über 200 Mrd. Dollar pro Jahr verdoppeln. Künstliche Intelligenz soll dazu beitragen, Saatgut gezielt für bestimmte Wetterbedingungen zu züchten, durch genetische Manipulationen sollen Pflanzen besser vor Insektenbefall geschützt sein.

Inwieweit Unkrautvernichter, die ebenfalls zur regenerativen Pipeline gehören, tatsächlich Teil regenerativer Agrarstrategien sein sollten, ist in der Landwirtschaft umstritten. Während Betreiber organischer Farmen ganzheitliche Nachhaltigkeitssysteme und einen geringeren Einsatz chemischer Wirkstoffe fordern, konzentrieren sich konventionelle Bauern bei ihren Bemühungen um regenerativen Anbau darauf, den Boden weniger zu pflügen sowie Zwischenfrüchte anzubauen.

Mehr Unkrautvernichter nötig

Der geringere Aufwand zur Bodenbearbeitung soll dazu beitragen, den Klimawandel zu bekämpfen. Einerseits soll sich somit der Einsatz von Landwirtschaftsmaschinen reduzieren, die mit fossilen Treibstoffen betrieben werden. Andererseits schließt der Boden viel CO2 ein, das durch den Verzicht auf das Pflügen nicht freigesetzt wird. Weil sich Unkraut somit aber nicht mehr über die Bodenbearbeitung kontrollieren lässt, wird laut dem Handelsverband Crop Life International daher ein verstärkter Einsatz von Herbiziden notwendig. Dies gelte insbesondere auf Anbauflächen in Südamerika.

Gerade dem Einsatz von Glyphosat kommt also eine potenziell entscheidende Rolle für den Ausbau der regenerativen Landwirtschaft zu, den allein Bayer bis Mitte des nächsten Jahrzehnts auf 400 Millionen Acres (162 Millionen Hektar) rund um den Globus vorantreiben will. In Leverkusen sind sie der Kontroversen um den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup lange überdrüssig. Seit Bayer im Jahr 2018 den Patentinhaber Monsanto übernahm, musste sich der Konzern in den USA mit mehr als 150.000 Klagen von Menschen auseinandersetzen, die das Herbizid für Krebserkrankungen verantwortlich machen. Doch nachdem Bayer bis Mitte 2019 drei Prozesse verlor, hat der Konzern seit Mitte 2020 vor Gericht sieben Erfolge in Serie errungen.

Die Leverkusener verweisen auf Nachfrage zu den weiteren juristischen Aussichten standhaft auf ihren Fünf-Punkte-Plan, in dessen Rahmen Bayer zusätzliche Rückstellungen von 4,5 Mrd. Dollar gebildet hat, um zu erwartende Forderungen aus Vergleichen und Gerichtsverfahren abzudecken. Bisher hat Bayer rund 109.000 Roundup-Klagen durch Vergleiche beigelegt oder diese haben die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt. Auch in weiteren Verfahren zeigt sich der Konzern offen für Vergleiche und geht nur noch in ausgewählten Fällen vor Gericht. Durch Erfolge dabei will Bayer weitere potenzielle Kläger abschrecken.

Beim „Innovation Summit“ in New York vermeidet es Bayer in den eigenen Präsentationen allerdings, Bezug auf Roundup zu nehmen. Stattdessen will der Konzern den Fokus auf eine große Bandbreite neuer Produkte lenken. Im vergangenen Jahr hat Bayer vor Sondereinflüssen 2,6 Mrd. Euro in die Forschung und Entwicklung zur regenerativen Landwirtschaft investiert, um eine Pipeline mit einem Erlöspotenzial von über 30 Mrd. Euro aufzubauen.

„Die Landwirtschaft ist komplexer geworden: Farmern steht eine riesige Bandbreite an Produkten zur Verfügung, zugleich müssen sie sich mit einer zunehmend vielschichtigen Regulierung auseinandersetzen“, sagt Santos im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Gerade deshalb ist die digitale Transformation entscheidend.“ Durch eine verbesserte Datenanalyse soll es für Bauern einfacher werden, Felder zu verwalten. Die Bayer-Lösung Climate Fieldview, deren Abonnenten bereits eine Fläche von 220 Millionen Acres bestellen, soll Bauern dabei helfen, Getreidekrankheiten früher zu erkennen und ihnen zugleich Empfehlungen liefern, wie sie als nachhaltig vermarktete Produkte am effizientesten einsetzen können.

Für Bauern bergen regenerative Anbau-, Ernte- und Analyselösungen tatsächlich langfristiges Profitpotenzial. Nach einer Analyse der Boston Consulting Group (BCG) und der Unternehmensinitiative One Planet Business for Biodiversity (OP2B) dürften einfache regenerative Lösungen – darunter eine Reduktion des Einsatzes von Pflügen und Pestiziden sowie eine Anpflanzung von Zwischenfrüchten – dazu beitragen, den Gewinn von Landwirten bis ins kommende Jahrzehnt um durchschnittlich 70% zu steigern.

Hohe Investitionen

Die Anwendung fortschrittlicherer Systeme, durch die Bauern auf den Pflug verzichten und über die Anpflanzung dürreresistenter Feldfrüchte in großem Stil Wasser einsparen, ermögliche gar Profitsteigerungen um 120%. Allerdings bedeutet die Anschaffung einer Fülle an neuen Produkten hohe Investitionskosten. BCG geht davon aus, dass die zusätzlichen Aufwendungen die Profitabilität in der regenerativen Landwirtschaft auf kurze Sicht noch wesentlich stärker drücken dürften als in der konventionellen.

Santos räumt im Interview ein, dass Bauern kaum auf neue Technologien umschwenken dürften, wenn sie darin nicht klare Vorteile für die Produktivität und Profitabilität sehen, egal welche Nachhaltigkeitsvorteile diese böten. Bei Bayer liege der Fokus in der Entwicklung aber durchaus auf der Rentabilität, wie der Spartenchef betont. Dies müsse auch im Marketing zur Geltung kommen.

Angesichts des Wachstumspotenzials, das Bayer in der regenerativen Landwirtschaft ausgemacht hat, kommt Santos und seiner Division eine Schlüsselrolle innerhalb des Konzerns zu. „Ich bin mit der Kapitalallokation für unsere Forschung und Entwicklung sehr zufrieden“, sagt Santos. Nun werde die Cropsciences-Sparte eben den Beweis erbringen, dass Investitionen in die regenerative Landwirtschaft so hohe Erträge liefern könnten wie prognostiziert. Reputationsgewinne in den USA könnten sich dabei als hilfreicher Nebeneffekt herausstellen.