Berentzen setzt sich „sehr ehrgeizige Ziele“
Im Gespräch: Oliver Schwegmann
Berentzen setzt sich "sehr ehrgeizige Ziele"
Der Vorstandssprecher über die drei Topmarken, mittelfristige Wachstums- und Ergebnisprognosen sowie bevorstehende "radikale Schritte"
Nach einem Jahr mit rückläufigem Ergebnis und sinkender Profitabilität setzt sich der Getränkekonzern Berentzen "sehr ehrgeizige Ziele", wie Vorstandssprecher Oliver Schwegmann im Gespräch mit der Börsen-Zeitung einräumt. Bis 2028 soll der Umsatz um 27% und das operative Ergebnis (Ebit) um 134% wachsen.
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt
Berentzen hat eine neue Konzernstrategie, deren „sehr ehrgeizige Ziele“ – so Vorstandssprecher Oliver Schwegmann – 2028 erreicht sein sollen. Kern von „Building Berentzen 2028“ sei die verstärkte Fokussierung auf die wesentlichen Wachstumstreiber des Getränkeunternehmens: die drei Topmarken Berentzen (Weizenkorn), Puschkin (Wodka) und Mio Mio (koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk). Die Rohertragskraft der drei Marken liege deutlich über dem Konzerndurchschnitt, sagt Schwegmann im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
„Unser Ziel ist es, den Umsatz mit diesen drei Marken bis 2028 um 50 bis 100% zu steigern.“ Die Erlöse mit der Kernmarke Berentzen sollen von 20 Mill. auf 35 Mill. Euro wachsen, der Umsatz von Puschkin von 10 Mill. auf 15 Mill. Euro und der von Mio Mio gar von 20 Mill. auf 40 Mill. Euro.
Zusammen sollen die Marken Berentzen, Puschkin und Mio Mio 2028 also rund 90 Mill. Euro Umsatz machen. Das wären dann knapp 40% der angestrebten Konzernerlöse, denn Berentzen hat ergänzend zur neuen Strategie zum ersten Mal eine Mittelfristprognose aufgestellt – für 2028. Demnach erwartet das Management dann einen Umsatz von 235 Mill. Euro, ein Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 28 Mill. Euro und ein Ebit von 18 Mill. Euro.
Profitabilität ist 2023 gesunken
Nach vorläufigen Zahlen wurden im vergangenen Jahr 185,6 (i.V. 174,2) Mill. Euro umgesetzt und daraus ein Ebitda von 16,1 (16,7) Mill. bzw. ein Ebit von 7,7 (8,3) Mill. Euro erwirtschaftet. Die Zielsetzungen für 2028 implizieren damit ein Umsatzwachstum von insgesamt 27% sowie Zuwächse im Ebitda und Ebit von 74% bzw. 134% oder heruntergebrochen auf ein Jahr der Fünf-Jahres-Planung von rund 5% (Umsatz), 12% (Ebitda) und 19% (Ebit). Dabei werde eine jährliche Inflationsrate von 1,5 bis 2,0% unterstellt. Das geplante Wachstum sei also „echt“.
Um dies zu erreichen, würden die Ausgaben für Marketing und Vertrieb in den nächsten Jahren Schritt für Schritt signifikant erhöht, erklärt Schwegmann. Zudem würden Produktportfolios, Strukturen und Prozesse auf den Prüfstand gestellt sowie Synergieeffekte in der Unternehmensgruppe noch stärker gehoben. Auf den Einwand, dass diese Maßnahmen doch zum täglich Brot der Vorstandsarbeit gehören, entgegnet Schwegmann, dass die genannten Anpassungen weit über das hinausgingen, was sonst Teil der normalen Arbeit einer Unternehmensführung sei. „Es geht um die Summe der nun eingeleiteten Maßnahmen. Da wird es zu radikalen Schritten kommen, wie sie bislang bei uns unbekannt waren.“
Neue Produkte sollen das Wachstum zusätzlich befeuern. Dazu zählen die im März erscheinenden „Berentzen Smoothie Shots“; diese Liköre mit Fruchtgeschmack sollen nun die Aufmerksamkeit erhalten, die vor Jahren die vergleichbare Marke „Polar Limes“ genoss. Diese Innovation zeige beispielhaft, so Schwegmann, wie der Fokus nun u.a. auf die Marke „Berentzen“ gelegt werde.
"Eisgekühlter Bommerlunder"
Zu den Klassikern der Gruppe gehören die Marken Strothmann (Weizenkorn), Doornkaat (Kornbrand), Echt Stonsdorfer (Kräuterlikör) und natürlich Bommerlunder; der „eisgekühlte“ Aquavit ist durch die Toten Hosen quasi unsterblich geworden. Einst – in einer Zeit, als es nur drei TV-Sender gab (ARD, ZDF und das Regionalprogramm) und man noch vom Sessel aufstehen und zum Fernsehgerät gehen musste, um den Kanal zu wechseln – wurden für diese Traditionsmarken sogar Werbespots zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Doch die Ausführungen von Schwegmann machen deutlich: Diese Labels sind keine Wachstumsmarken oder große Renditebringer – aber sie haben ihre Daseinsberechtigung. „Sie sind im Portfolio, sie liefern wichtige Deckungsbeiträge, aber sie sind in den nächsten Jahren im Volumen eher leicht sinkend als stabil.“ Grund sei auch, dass Aquavit oder Weinbrände heutzutage keine Wachstumskategorien mehr seien.
Auch für das Segment Frischsaftsysteme – dargestellt durch die Tochter Citrocasa – gebe es ambitionierte Pläne, um die Geschäftsentwicklung nach der Erholung im vergangenen Jahr voranzutreiben.
Kein linearer Anstieg
Schwegmann stellt klar, dass es keinen linearen Anstieg von Umsatz und Ergebnis bis 2028 geben wird. So bedürfe es Anschubinvestitionen, etwa für Marketing oder um Vertriebspotenziale aufzubauen und Standorte zu optimieren, die zu Beginn der Fünfjahresperiode belasten werden. Er weist zum einen darauf hin, dass das Management schon seit Jahren strategische Weichenstellungen vorgenommen habe, um nun den großen Sprung nach vorne machen zu können, zum anderen sei bei der anvisierten Umsatzsteigerung um 27% in fünf Jahren zu beachten, dass sich der Konzern aufgrund der anstehenden Standort- und Portfoliobereinigung zunächst von einem signifikanten Erlösblock trennen werde; das heißt, das Wachstum werde darum bereinigt noch deutlich höher als 27% liegen.
Als Reaktion auf die gestiegenen Energiepreise und als vorbeugende Maßnahme für den Fall weiterer Verteuerungen hat Berentzen in Fotovoltaiksysteme und energieeffizientere Maschinen investiert sowie Gebäude dämmen lassen. Dadurch sei der Autarkiegrad in puncto Energie gestiegen; an zwei Standorten werde er auf 30% wachsen. Das Gros dieser Investitionen sei nun getätigt, was die Ergebnisse von nun an entlaste.
Oliver SchwegmannMit der Profitabilität in unserem Geschäftsbereich Nichtalkoholische Getränke sind wir nicht zufrieden.
Welche Marken vor dem Aus stehen, ob und in welchem Ausmaß es zu Standort- und Stellenstreichungen oder Änderungen in der Produktion kommen wird, verrät Schwegmann nicht. Doch sagt er unmissverständlich: „Mit der Profitabilität in unserem Geschäftsbereich Nichtalkoholische Getränke sind wir nicht zufrieden.“ Der Bereich sei vor 50 Jahren als Lohnabfüllgesellschaft mit regionalen Mineralwässern entstanden. Durch die Konzentration auf die Marke Mio Mio habe man aber schon in den letzten Jahren begonnen, dieses Geschäftsfeld von einem regionalen Mineralbrunnen zu einem nationalen Limonaden-Player zu transformieren. „Was wir immer noch in diesem Bereich haben, sind nicht unerhebliche Teile an Lohnabfüllgeschäft und einige regionale Marken und Produkte, die margenschwach sind“, stellt der CEO klar. „Sie können sich darauf einstellen, dass es hier zu Veränderungen kommen wird.“
Vom Defensiv-Modus auf Angriff
Zur Begründung, warum man gerade jetzt bei der in Haselünne (Emsland) ansässigen Gruppe reinen Tisch machen will, holt Schwegmann weit aus: „Die Welt, in der wir leben und auch unternehmerisch tätig sind, befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Kostenexplosionen – etwa bei Energie, die in der für uns wichtigen Glas- und Aluminiumproduktion ein entscheidender Faktor ist, sowie Material und Personal – haben in den vergangenen Jahren dazu geführt, als Unternehmenslenker vor allem Krisenmanagement zu betreiben“, sagt er und führt weiter aus: „Heute sind wir mit einer neuen Realität konfrontiert, auf die wir uns für die kommenden Jahre einstellen müssen und werden.“ Mit der neuen Konzernstrategie „schalten wir vom Defensiv-Modus auf Angriff über“. Was das intern bedeutet? „Das wird ein disruptiver Schritt.“
Marketingausgaben werden bis 2028 verdreifacht
Der Vorstandschef ruft in Erinnerung, dass in den Jahren vor dem Beginn der Polykrisenzeit – also bis einschließlich 2019 – Berentzen bereits auf einem „sehr guten Weg“ gewesen sei. Es seien Jahre gewesen, in denen bei steigendem Umsatz Rohertragsmarge, Ebitda und Ebit überproportional gewachsen seien. Damals habe die Ebitda-Marge bei 6% gelegen und ein weiterer Anstieg schien wahrscheinlich, so Schwegmann. Dann habe Corona der Aufwärtsentwicklung ein Ende gesetzt, weil die Pandemie Unternehmen „mit geselligen Produkten“ wie Berentzen sehr hart getroffen habe. Dennoch habe man sich entschlossen, mitten in der Krise wieder eine eigene Vertriebsmannschaft aufzubauen, da man die Konzernmarken in den Supermärkten als nicht ausreichend stark vertreten ansah. „Die Truppe ist inzwischen 30 Mann und Frau stark und soll in den nächsten fünf Jahren verdoppelt werden“, kündigt Schwegmann an. Die Marketingausgaben, die laut dem CEO 2023 bei 3 Mill. Euro lagen, sollen bis 2028 verdreifacht werden. Die zusätzlichen 6 Mill. Euro sollen in Kampagnen für die drei Topmarken gesteckt werden. Der Unterschied zwischen früheren und den geplanten Werbekampagnen sei, dass der Konzern früher nicht beständig, sondern in Abhängigkeit von den erzielten Gewinnen geworben habe; nun sei man bereit, auch in finanzielle Vorleistung zu treten.
Schwegmann versteht die neue Strategie darüber hinaus als „ganz deutliches Bekenntnis zu unserem Private-Label-Spirituosengeschäft über alle Preiskategorien hinweg“. Mehr noch: „Um unsere Kosten- und Qualitätsführerschaft in diesem Bereich nicht nur zu erhalten, sondern weiter auszubauen, werden wir substanzielle Investitions- und Effizienzprogramme umsetzen.“ Die Gruppe macht mehr als 50% des Umsatzes mit ihrem Handelsmarkengeschäft – also der Herstellung von Spirituosen, die dann exklusiv von einem Einzelhändler verkauft werden.
Halb so teuer wie Rum-Marktführer Bacardi
Forciert habe man im Handelsmarkensegment lange Zeit das Geschäft in der Preiseinstiegsklasse. Seit etwa fünf Jahren setze Berentzen die Premiumisierung der Handelsmarken um – „natürlich unter Beachtung unserer Deckungsbeiträge“. Als Beispiel für eine erfolgreiche Handelsmarke zeigt der CEO eine Flasche „Don Pablo“. Der Rum, der exklusiv an Metro verkauft werde, habe die Qualität des Marktführers, behauptet Schwegmann. Die Nummer 1 unter den Rumsorten hierzulande (und wohl auch weltweit) ist „Bacardi“; an zweiter Stelle folgt „Captain Morgan“ vor „Havana Club“. Eine 0,7-Liter-Flasche des 40-prozentigen „Don Pablo“ kostet im Laden rund 9,50 Euro; für die gleiche Menge „Bacardi“ (Alkoholgehalt: 37%) muss der Käufer fast das Doppelte zahlen.
Der Lebensmittel-Einzelhandel bemüht sich, das Sortiment seiner Eigenmarken und deren Anteil am Umsatz auszubauen, um sich so unabhängiger von den Herstellermarken der Industrie zu machen – mit einigem Erfolg, wie die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt. So ist der Anteil nach jüngsten Angaben auf rund 40% (2022) gestiegen. Um dem wachsenden Marktanteil der Handelsmarken gerecht zu werden, sei daher bei Berentzen ein Ausbau dieses Sortiments geplant.
Oliver SchwegmannManchmal haben wir mehr Geld getauscht als verdient.
Der Prozess der Handelsmarkenherstellung nennt sich Lohnabfüllung; dabei gliedert ein Unternehmen – im konkreten Fall ein Lebensmittel-Einzelhändler – Abfüllung, Etikettierung und Verpackung eines Produktes an eine andere Firma, den Lohnabfüller, aus – in diesem Fall Berentzen. In der Lohnabfüllung sei bei Berentzen in der Vergangenheit allerdings nicht immer ausreichend stark auf die Rentabilität geachtet worden, räumt Schwegmann ein. „Manchmal haben wir mehr Geld getauscht als verdient.“ Es liege nahe, an dieser Stelle „radikal das Portfolio zusammenzustreichen“. Er fügt hinzu: „Das wird erst einmal Umsatz kosten.“
Berentzen vertreibt "Sinalco", stellt die Cola aber nicht mehr her
Ein Beispiel für die Aufgabe einer wenig rentablen, aber die Kapazitäten blockierenden Lohnabfüllung: die Cola-Marke „Sinalco“. Allerdings vertreibt die Gruppe als Lizenznehmerin das kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränk in Norddeutschland bis heute; dafür würden die bestehenden Vertriebsstrukturen, über die auch Mio Mio vermarktet wird, genutzt, ohne dass es zu Kannibalismuseffekten kommt.
Gerade mit Blick auf die Lohnabfüllung, die in einigen Fällen vor ihrem Ende steht und zu Umsatzeinbußen führen wird, zeige die mittelfristige Erlösprognose das organische Potenzial, das in der Gruppe stecke, unterstreicht Schwegmann.
Warum es 2024 bergauf gehen soll
Auf kürzere Sicht, sprich: das laufende Jahr, nennt Schwegmann drei Gründe, warum es zu Umsatz- und Ergebnisverbesserungen kommen sollte: So würden erstmalig die Effekte der im Vorjahr mit dem Handel vereinbarten substanziellen Preiserhöhungen infolge des starken Kostenanstiegs für das volle Jahr und nicht nur für rund sechs Monate wie 2023 zum Tragen kommen. Zweitens liegt nach Meinung des CEO der Höhepunkt der Inflation hinter uns. Die daraus folgende Konsumzurückhaltung, die sich besonders im dritten Quartal 2023 gezeigt habe, schwinde allmählich. „Wir sind raus aus dem Konsumkeller.“ Drittens wisse man nun – im Gegensatz zu einem Großteil des vergangenen Jahres –, dass durch die hohen Tarifabschlüsse die Wirkungen der hohen Inflation für Verbraucher abgefedert werden. "Steigende Löhne führen zur Rückgewinnung von Kaufkraft. Das kommt natürlich auch uns zugute." Der „gute Start ins Jahr 2024“ sei ein erster Beleg für die Richtigkeit dieser Annahmen.
„2023 war mengenmäßig nicht zufriedenstellend“
Auch die Absatzmenge soll sich dieses Jahr positiv entwickeln. „2023 war mengenmäßig für uns nicht zufriedenstellend.“ Dies habe zum einen an der allgemein schlechten Konsumlaune, zum anderen an den Preiserhöhungen gelegen. Schwegmann gibt ein Beispiel: „Wenn der Preis für eine Flasche Berentzen-Apfelkorn im Regal von 6,59 auf 7,29 Euro erhöht wird, dann stellt man zunächst eine temporäre Kaufzurückhaltung bis zur Gewöhnung an neue Preise fest, weil man eine Preisschwelle (7 Euro) durchbrochen hat.“ Die Absatzentwicklung 2023 habe umso mehr enttäuscht, als 2022 „einen riesigen Rebound nach dem Corona-Jahr 2021“ gebracht habe. Schon 2022 habe sowohl die verkaufte Menge als auch der Umsatz über den Werten des Vor-Corona-Jahres 2019 gelegen.
Aktie nahe dem 15-Monats-Tief
An der Börse spielt Berentzen, deren Aktie dem Prime Standard angehört, eine untergeordnete Rolle. Zwar liegt der Streubesitzanteil bei 77%, doch das magere Handelsvolumen am Aktienmarkt und die geringe Kapitalisierung von derzeit 52 Mill. Euro schreckt die meisten institutionellen Investoren ab. Anfang 2020 krachte der Kurs während des Corona-Crashs vom zyklischen Hoch bei 7,70 Euro – dem höchsten Stand seit 2018 – in wenigen Wochen auf unter 5 Euro. Seither pendelte die Notierung meist zwischen 5,20 und 6,80 Euro. Aktuell kostet das Papier rund 5,50 Euro – das ist der tiefste Stand seit 15 Monaten.