Betriebliche Altersversorgung in der Klemme

Bei Royal Mail und Post Office drohen Arbeitskämpfe - Geldpolitik treibt Verbindlichkeiten nach oben

Betriebliche Altersversorgung in der Klemme

Von Andreas Hippin, LondonDie erwarteten Kosten der betrieblichen Altersversorgung haben bei der britischen Royal Mail zu einer erbitterten Konfrontation mit der Belegschaft geführt. Mehr als 90 000 Beschäftigten wurde mitgeteilt, das Unternehmen könne sich ihre leistungsorientierte Form der Vorsorge angesichts der Bedingungen an den Kapitalmärkten voraussichtlich über März 2018 hinaus nicht mehr leisten. Derzeit beliefen sich die jährlichen Kosten des Vorsorgeplans auf 400 Mill. Pfund. Sie könnten sich mehr als verdoppeln – auf mehr als 900 Mill. Pfund. Das sei nicht nachhaltig. Entschlossene GegenwehrJeder Versuch, die Renten der Mitarbeiter zu kürzen, werde auf die vereinte und entschlossene Gegenwehr der Gewerkschaften treffen, sagte dagegen Terry Pullinger der stellvertretende Generalsekretär der Gewerkschaft CWU (Communication Workers Union). Tausende Mitarbeiter der in die Gesellschaft Post Office ausgegliederten Postämter stimmen bereits über Arbeitskampfmaßnahmen ab. Dort steht die bisherige Form der Betriebsrenten schon im März 2017 zur Disposition.”Wie bei Post Office wird die CWU alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, auch Streiks, um die künftigen Renten unserer Mitglieder zu verteidigen und massive Einschnitte bei ihren Ruhestandseinkommen zu verhindern”, kündigte Pullinger an. Im Herbst vergangenen Jahres hatte sich der Staat von seinem restlichen Anteil an der Brief- und Paketlogistik der britischen Post getrennt. Die betriebliche Altersversorgung spielt in Großbritannien eine Schlüsselrolle. Viele Beschäftigte haben in der Hoffnung auf eine bessere Altersversorgung über Jahre Lohnverzicht geübt.Unternehmen wie der Telekomkonzern BT Group oder die Kaufhauskette Marks & Spencer schieben große Pensionsverpflichtungen vor sich her. Bei den Versuchen, die britischen Stahlwerke vor dem Untergang zu bewahren, erwiesen sich die Mitarbeitern versprochenen Betriebsrenten als großes Hindernis. Der Schädlingsbekämpfer Rentokil entschied sich vor gut einem Jahrzehnt als erstes FTSE-100-Unternehmen, die betriebliche Altersversorgung für alle Mitarbeiter aufzugeben.Die früher üblichen leistungsorientierten Vorsorgepläne (Defined Benefit Schemes, DB) werden immer mehr von beitragsorientierten Plänen (Defined Contribution Schemes, DC) und individueller, eigenverantwortlicher Vorsorge abgelöst. Wie aus der Statistik der National Association of Pension Funds (NAPF) hervorgeht, übertraf die Zahl der aktiven Mitglieder privater DC-Versorgungspläne 2014 erstmals die der DB-Pläne. Mittlerweile steht es der Pensions and Lifetime Savings Association (PLSA) zufolge 60 : 40. Die Hälfte der DB-Pläne (48 %) steht neu eingestellten Mitarbeitern nicht mehr offen. Zudem kommen für die bestehenden Mitglieder keine neuen Ansprüche hinzu. Vor fünf Jahren galt das lediglich für 31 %. Langsame UmstellungDie Veränderungen vollziehen sich allerdings zu langsam, denn den Versorgungswerken macht nicht nur die höhere Lebenserwartung der Pensionäre zu schaffen, sondern die ultralockere Geldpolitik der westlichen Notenbanken. Weil die versicherungsmathematische Bewertung nur alle drei Jahre erfolgt, schlagen sich die jüngsten Zinsschritte erst zeitverzögert in den Beträgen nieder, die von den Arbeitgebern aufgebracht werden müssen. Die Ansprüche der Mitglieder des DB-Plans von Post Office sollen dem Plan des Unternehmens erhalten bleiben, es sollen aber keine neuen hinzukommen. Zudem sollen sie in einen DC-Plan überführt werden. Den Mitgliedern von Royal Mail wird vermutlich ein ähnlicher Vorschlag gemacht werden.Rund 1,4 Bill. Pfund liegen in den 5 945 DB-Pensionsfonds, die notfalls unter den Schirm des Pension Protection Fund schlüpfen könnten. Ihr Defizit belief sich Ende Juli auf 408,0 Mrd. Pfund. Ende Juni hatte es noch bei 383,6 Mrd. Pfund gelegen. Der Deckungsgrad verschlechterte sich in diesem Zeitraum im Schnitt von 78,0 % auf 77,4 %. Anlass zur Sorge”Die Entscheidung der Bank of England, den Leitzins zu senken, gibt Versorgungswerken Anlass zur Sorge”, sagte Graham Vidler, Director of External Affairs bei der PLSA. Ihnen machten seit mehr als acht Jahren historisch niedrige Zinsen zu schaffen. “Weitere Zinssenkungen werden sie noch stärker unter Druck setzen.” Die Notenbank hatte den Leitzins – wie allgemein erwartet – Anfang August um 25 Basispunkte auf ein neues historisches Tief von 0,25 % gesenkt, eine Neuauflage ihres Anleihenkaufprogramms angekündigt und für den Herbst eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Aussicht gestellt. Auf diese Weise will Gouverneur Mark Carney nach dem britischen Volksentscheid für den EU-Austritt einen wirtschaftlichen Absturz vermeiden.Man sehe zwar die Notwendigkeit, die britische Wirtschaft zu schützen, sagte Vidler, die negativen Folgen auf die rund 6 000 privaten DB-Pläne mit ihren 11 Millionen Einzahlern müssten jedoch stärker berücksichtigt werden. Die Wiederaufnahme der Anleihenkäufe durch die Notenbank wirke sich auf die Renditen von Staatsanleihen aus, beklagt die PLSA – eine weitere Belastung für die Pensionskassen. Hinter dem Verband stehen mehr als 1 300 Versorgungswerke.”Die Geldpolitik hat sich als ziemlich bittere Medizin für Pensionspläne erwiesen”, sagte Tom McPhail, Head of Retirement Policy beim Vermögensverwalter Hargreaves Lansdown. “Sie mag die Bewertungen von Assets stützen und die Wirtschaft am Laufen halten, aber sie treibt auch die Auszahlungen von Annuitäten nach unten und die Verbindlichkeiten der Versorgungswerke nach oben.” Annuitäten sind Verträge, in denen sich Versicherungsgesellschaften zur Auszahlung lebenslanger Renten gegen die Einzahlung des Pensionsvermögens angehender Rentner verpflichten. Früher mussten sie Annuitäten kaufen, aber Schatzkanzler George Osborne hob diese Pflicht im Namen der Eigenverantwortung auf. Seit April vergangenen Jahres können sie über ihre Altersversorgung frei entscheiden. Immer mehr GeldFür Arbeitgeber bedeute die Niedrigzinspolitik, dass sie immer mehr Geld in ihre betriebliche Altersversorgung pumpen müssen, sagt McPhail. Für Arbeitnehmer heißt das, dass sie noch mehr sparen müssten, wenn sie Annuitäten erwerben wollen. “Zu viel von dieser Medizin ist ungesund und könnte im Fall der leistungsorientierten Versorgungspläne zum Tod des Patienten führen”, sagte McPhail. “Die Regierung wird bald intervenieren müssen.”