IPO-Klima

Boom für Börsengänge auf der Kippe

Der Boom an Börsengängen scheint abzuebben. Enttäuschende Kursentwicklungen nach IPOs und ein raueres Börsenklima schrecken viele Aspiranten ab. Vor allem Technologiefirmen machen einen Rückzieher. Ein Lageüberblick.

Boom für Börsengänge auf der Kippe

cru Frankfurt – Die bislang überschäumend gute Stimmung europäischer Investoren für die Börsengänge von stark wachsenden Technologieunternehmen droht zu kippen. Das Pharmalogistikunternehmen Transoflex verschiebt angesichts der jüngsten Marktturbulenzen sein für Oktober in Frankfurt geplantes IPO. Damit handelt es sich um die vierte Absage unter Hinweis auf ungünstige Marktbedingungen binnen weniger Tage: Auch der Hersteller von Fitnessgeräten iFit Health Fitness hat seinen Börsengang verschoben. Zuvor schon war auf die geplatzte Erstnotierung der Berliner Sprachlern-App Babbel die Verschiebung des Börsengangs des Schweizer Online-Luxusuhrenhändlers Chronext gefolgt. Ein beteiligter Banker sagte, dass der Zeitpunkt unglücklich gewählt war, da sich der Markt von Technologie- und Wachstumstiteln abgewandt habe.

20 geplatzte Erstnotierungen

Insgesamt wurden europaweit nach Daten der Investmentbank Berenberg in diesem Jahr bereits rund 20 IPOs abgesagt – unter anderem, weil sich der „Angstindex“ Vix, der die Marktvolatilität misst, seit August schleichend erhöht hat. Dazu zählten auch Meinauto in Frankfurt, Huvepharma in Amsterdam und Parts Holding in Paris. Damit verschlechtern sich auch die Vorzeichen für die nächsten Kandidaten: Transoflex hatte auf einen Emissionserlös von 130 Mill. Euro und auf eine Marktkapitalisierung von mehr als 1 Mrd. Euro kommen wollen. Der Börsengang, der von Deutsche Bank, JP Morgan, Jefferies und Unicredit begleitet wird, befindet sich schon seit 17. September in der Vorvermarktung – und der Sprung aufs Parkett war somit überfällig. Auch Cheplapharm, Autodoc und Best Secret gelten bislang noch als heiße deutsche Kandidaten für eine baldige „Intention to Float“.

Zur jüngsten Eintrübung der IPO-Stimmung haben auch Kursrückgänge bei den jüngsten Erstnotierungen beigetragen. So stürzte der Kurs des Callcenter-Betreibers Majorel, eine Bertelsmann-Tochter, in Amsterdam am ersten Handelstag ab. In Paris waren zuvor die Aktien des Spezialdistributors Exclusive Networks trotz mehrfacher Überzeichnung nur am unteren Ende der Spanne in den Handel gekommen.

Die Kurse vieler neuer Aktien aus den größten Börsengängen dieses Jahres in Europa sind inzwischen unter den Ausgabepreis gefallen, da steigende Anleiherenditen die Anleger dazu veranlassen, hoch bewertete Wachstumsaktien abzustoßen. Mehr als 40% der europäischen Börsengänge, die mehr als 500 Mill. Dollar einbrachten, notieren nach Daten von Bloomberg jetzt im Minus. Der britische Schuhhersteller Dr. Martens reiht sich gerade in diese Liste ein und ist zum ersten Mal seit dem Debüt in London im Januar unter den IPO-Preis gesunken. Experten wie Bastian Schiedat, Head of Continental European Syndicate bei Berenberg, erklären sich die jüngste Zurückhaltung auch mit der Überfülle der Börsenkandidaten: „Die Investoren haben nicht mehr die Zeit, sich jedes IPO anzuschauen und müssen deshalb wählerischer werden.“

Neue Kandidaten am Start

In Deutschland sieht das Bild auch etwas freundlicher aus: Von den fünf IPOs hierzulande mit einem Emissionsvolumen von über 1 Mrd. Euro sind drei im Geld: der Funkturmbetreiber Vantage Towers, der Linux-Softwareanbieter Suse und die Laborkette Synlab.

Dabei schien der IPO-Boom bis vor kurzem fast unaufhaltbar: Die Zahl der Börsengänge in Europa hat sich laut Berenberg gegenüber dem Vorjahr auf fast 100 verfünffacht, und die Emissionserlöse erreichten mit mehr als 35 Mrd. Euro den höchsten Stand seit 2007.

Vielleicht setzt sich der Boom nach einer Atempause auch wieder fort: Unbeeindruckt von der eingetrübten Stimmung will sich die Medizintechnikfirma Skan Group mit dem Sprung aufs Börsenparkett in Zürich 80 Mill. sfr für das weitere Wachstum und den Ausbau der Produktion holen. Skan peilt nach Angaben vom Donnerstag vorbehaltlich des Marktumfelds eine Notiz an der Schweizer Börse Six noch im vierten Quartal an. Dabei sollen neben neuen Aktien aus einer Kapitalerhöhung auch bestehende Titel bei Investoren platziert werden, so dass ein Streubesitz von rund 50% erreicht wird. Auch der italienische Ölkonzern Eni will eine vor kurzem zusammengelegte Sparte an die Börse bringen. Das IPO der „Gas & Power Retail and Renewables“ solle 2022 abgeschlossen werden, teilte das Unternehmen mit.

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