Netzneutralität

Brandbomben aus Luxemburg

Die Entscheidung des EUGH, das sogenannte Zero-Rating bei Telekomprodukten zu verwerfen, hat die Branche überrascht. Das Thema Netzneutralität kommt neu auf den Tisch.

Brandbomben aus Luxemburg

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Dass spezielle Tarifprodukte wie „StreamOn“ von der Telekom sowie der „Vodafone Pass“ in bestimmter Form gegen das Gebot der sogenannten Netzneutralität verstoßen, wie der EuGH auf Anfrage deutscher Gerichte erklärte, wird von beiden Unternehmen mit großer Gelassenheit zur Kenntnis genommen, denn wie so oft hinkt die Gerichtsbarkeit der Realität am Markt hinterher; die strittigen Produkte gibt es so bei beiden Gesellschaft gar nicht mehr. Die unzulässige Bandbreitenanpassung für Videostreams sei im „aktuellen StreamOn-Angebot der Telekom schon nicht mehr enthalten; insoweit ändert sich an StreamOn nichts“, so der Bonner Konzern. Vodafone will die Entscheidung prüfen und gestalte die Tarife „sorgfältig gemäß der EU-Netzneutralitäts- und Roaming-Verordnung“, heißt es von dort.

Was indes sehr wohl für Unruhe bei den Beteiligten sorgt, sind die grundsätzlichen Einlassungen des Gerichts, dass die betroffenen Streaming-Zusatzoptionen gegen das Gebot der Gleichbehandlung von Daten im Netz verstoßen. Datenverbrauch bestimmter Inhalte nicht auf das Maximalvolumen des Tarifs anzurechnen (sogenanntes Zero-Rating) laufe dem Prinzip des offenen Internetzugangs zuwider und sei daher mit EU-Recht unvereinbar, so die Luxemburger Richter.

„Was daraus folgt, muss der Gesetzgeber klären“, lässt die Telekom wissen. Allerdings setzt die Branche darauf, dass der Gesetzgeber bzw. in diesem Fall die Bundesnetzagentur, die künftig ja ohnehin viel unabhängiger entscheiden soll, ihr entgegenkommt und europarechtskonforme Kompromisse sucht.

Dorn im Auge

Denn die strikte Netzneutralität, die primär den Interessen der Inhalteanbieter Rechnung tragen soll, damit diese beim Nutzer ein Level Playing Field haben, ist den Telekomfirmen schon lange ein Dorn im Auge. Denn sie alle verfolgen eine Plattformstrategie. Sie aggregieren Inhalten auf ihren Netzen und verschaffen so den Content-Anbietern Reichweite. Sie können sich selbst nicht über Content, sondern nur über das Netz differenzieren.

Das ist hierzulande schwierig genug, wo gerade im Mobilfunk auch Konkurrent Telefónica Deutschland, von dessen Netzmängeln die beiden anderen sich immer abzusetzen suchten, nun ebenfalls stark investiert und deutliche Verbesserungen der Netzqualität erreicht hat. Deshalb sind netzbasierte Produktmerkmale wie die Ausgestaltung des Datenverbrauchs für bestimmte Anwendungen für die Unternehmen eine wichtige Stellschraube bei der Kundengewinnung und der Kundenbindung sowie auch bei der Preisgestaltung. Dabei werden naturgemäß Inhalte bevorzugt, solche, die auch die Kunden bevorzugen, denn nur damit können die Telekomfirmen entsprechend locken und so am Ende höhere Umsätze erzielen.

Der Kampf um die Netzneutralität hängt auch zusammen mit einer Unwucht an anderer Stelle. Die Unternehmen müssen versuchen, mit attraktiven Tarifen Geld bei den Kunden zu holen, das sie von den speziell stark genutzten Content-Anbietern nicht bekommen. Die Beteiligung derer an den Netzausbaukosten, die die höchste Inanspruchnahme verursachen, ist bisher ein frommer Wunsch geblieben.

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