Im InterviewChristian Kohlpaintner, Brenntag

„Der Markt wirft uns Knüppel zwischen die Beine“

Brenntag lässt sich mehr Zeit für die Entflechtung. Das erfreut nicht jeden Investor. Doch das aktuell schwierige Marktumfeld lässt keine andere Wahl, sagt Vorstandschef Christian Kohlpaintner im Interview.

„Der Markt wirft uns Knüppel zwischen die Beine“

IM INTERVIEW: CHRISTIAN KOHLPAINTNER

„Der Markt wirft uns Knüppel zwischen die Beine“

Brenntag-CEO setzt Fragezeichen hinter Aufspaltung – Veränderungen im Aktionärskreis – Europas Chemieindustrie steht „vor großen Hausaufgaben“

Der Chemielogistiker Brenntag verschiebt die angekündigte Entflechtung um ein Jahr. Ursächlich dafür sind verschiedene Gründe. Das schwierige Marktumfeld erfordere die volle Konzentration auf das operative Geschäft, erläutert Brenntag-CEO Christian Kohlpaintner im Interview.

Herr Kohlpaintner, Sie haben die Entflechtung der beiden Segment Essentials und Specialties zeitlich nach hinten verschoben. Warum?

Wir haben stets klar gesagt, dass wir die Entflechtung in der richtigen Geschwindigkeit und der richtigen Abfolge der einzelnen Schritte vornehmen werden, damit unsere Organisation sie auch stemmen kann. Die Entflechtung darf am Ende nicht zu zwei dysfunktionalen Einheiten führen. Grundsätzlich halten wir an dem Ziel fest, das Unternehmen dort zu entflechten, wo es uns im Markt differenziert, aber es dauert länger.

Damit ist allerdings keine Aussage dazu getroffen, ob am Ende auch die Abspaltung von Specialties steht.

Die Auftrennung der Firma ist nur einer von verschiedenen Wegen, die Entflechtung zu vollziehen. In den nächsten Jahren müssen wir das Unternehmen an den Punkt bringen, verschiedene Optionen auch spielen zu können. Dafür müssen wir zunächst unsere Hausaufgaben machen. Dazu gehört, die Performance und das Portfolio von Specialties zu verbessern und gleichzeitig deutlich Kosten zu senken. 2027 sollten wir in der Lage sein, über die dann bestehenden Optionen ernsthaft zu diskutieren.

Der Umbau des Portfolios braucht Zeit.

Christian Kohlpaintner

Heißt Portfolio-Optimierung Desinvestitionen?

Wir streben ein verbessertes Profitabilitätsprofil an. Das geht über verschiedene Hebel: zum einen über gezielte Akquisitionen so wie bisher. Zum anderen ist unser Spezialitäten-Portfolio, bedingt durch unsere Historie als Vollsortimenter, weniger strategisch entwickelt und positioniert als das der reinen Spezialitäten-Wettbewerber. Dieser Umbau des Portfolios braucht Zeit. Daneben müssen wir uns aber auch die Frage stellen, ob wir in allen kleinen und kleinsten Ländern mit Spezialitäten vertreten sein müssen, wo dieses Geschäft häufig keine kritische Größe hat. Daher werden wir auch aus neun kleineren Ländern aussteigen.

Die Entflechtung hatten Sie auch damit begründet, dass Private-Equity-Investoren die Konsolidierung beschleunigen. Ist das nicht mehr der Fall?

Auch da hat es eine moderate Verschiebung der Zeitleiste gegeben. Die Private-Equity-Investoren haben ebenfalls umfangreiche Hausaufgaben in ihren Portfolio-Unternehmen des Sektors zu erledigen. Daher erwarte ich, dass größere Konsolidierungsschritte in weiterer Zukunft liegen als ursprünglich gedacht. Das gibt uns etwas mehr Zeit, um unsere Aufstellung sauber hinzubekommen und dann handlungsfähig zu sein. 

Im vorigen Dezember haben Sie den Investoren noch Hoffnung gemacht, dass 2026 eine Abspaltung kommen könnte. Haben Sie Ihre Investoren jetzt verprellt?

Das Thema wird von unseren Investoren nicht unbedingt einheitlich gesehen. Manche haben sich bei Brenntag engagiert, weil sie auf eine schnelle Aufspaltung spekuliert haben. Viele andere, darunter unsere langfristigen Investoren teilen hingegen unsere Einschätzung, das tun zu müssen, was für das Unternehmen, unsere Kunden und Lieferanten langfristig richtig ist. Mit der Ankündigung hat es deshalb durchaus einen gewissen Wechsel in der Aktionärsstruktur gegeben. Entscheidend ist, dass wir die Entflechtung der beiden Segmente nicht aus reinen Wertkreierungsperspektiven heraus betreiben, sondern aus der Notwendigkeit, die sich aus unseren Märkten ergeben.


Zur Person

Christian Kohlpaintner, seit 2020 CEO von Brenntag, hat die längste Zeit an der Vorstandsspitze des Chemiedistributeurs gestanden. Ende 2025 läuft sein Vertrag aus. Auf eine weitere Amtszeit wollte sich der promovierte Chemiker nicht einlassen. Mit dann 62 Jahren sei die Zeit gekommen, um über die persönliche Lebensplanung zu entscheiden, sagt Kohlpaintner und betont, dass ihm die Entscheidung nicht leicht gefallen sei. Brenntag – der Dax-Wert war im vorigen Jahr von Aktionärsaktivisten massiv unter Druck gesetzt worden – steckt mitten in der Transformation. Deren Vollendung wird Kohlpaintner, der 32 Jahre Industrieerfahrung mitbringt, aber nicht mehr an vorderster Front vorantreiben. Immerhin war es in diesem Sommer an ihm, das 150-jährige Firmenjubiläum zu feiern.


Was hat sich gegenüber vorigem Dezember verändert?

Es gibt eine Reihe von Gründen. Zunächst haben wir jetzt Klarheit über die Höhe der Dissynergien aus der Entflechtung, die wir auf 90 Mill. bis 120 Mill. Euro taxieren. Diese Zahl hatten wir vor einem Jahr so noch nicht quantifizieren können. Der zweite Grund ist die aktuelle, äußerst schwierige Marktsituation. Ich bin jetzt seit 32 Jahren im Geschäft und habe noch nie zuvor einen so langen Abschwung im Chemiezyklus erlebt. Das kann von uns nicht unbeachtet bleiben. In dieser Phase muss der Fokus zu 100% auf dem operativen Geschäft liegen.

Ist das im Sinne von knappen Managementkapazitäten zu verstehen?

Das hat auch viel mit Psychologie zu tun. Die Leute beschäftigen sich stark mit der Frage, wie die Aufspaltung aussieht. Was bedeutet das für mich und wie grenzt man sich zueinander ab? In einer Phase, in der die gesamte Industrie durch sehr schwieriges Fahrwasser steuert, kann man das am wenigsten gebrauchen. Wir müssen deshalb die richtige Geschwindigkeit finden, der die Organisation auch folgen kann. Der Markt und die Konjunktur werfen uns aktuell Knüppel zwischen die Beine. Dem müssen wir als Management Rechnung tragen.

Die Kühne Holding scheint Ihren Weg zu unterstützen. Sie stockte die Beteiligung kürzlich auf über 15% auf. Können Sie etwas zur strategischen Zielsetzung von Kühne sagen?

Dazu kann ich leider nichts sagen. Klar ist, dass Kühne mit 15% ein strategisches Interesse verfolgt. Dem trägt Brenntag Rechnung, indem Dominik de Daniel, CEO der Kühne Holding, in der kommenden Hauptversammlung zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagen wird. Dort würde er Andreas Rittstieg ersetzen, der sich nicht mehr zur Wahl stellt.

Ich empfinde Artisan nicht als aktivistischen Investor.

Christian Kohlpaintner

Umgekehrt hat sich mit Artisan Partners aber auch ein weiterer Aktionärsaktivist eingekauft. Da dürfte die kurzfristige Sicht überwiegen. Hatten Sie schon Kontakt mit dem Investor?

Wir sprechen regelmäßig mit allen Investoren. Artisan war ganz zu Beginn meiner CEO-Tätigkeit schon einmal engagiert. Ich empfinde Artisan nicht als aktivistischen Investor, sondern als perfomanceorientierten, langfristigen Anleger. Wir führen einen sehr intensiven Dialog. Dort schätzt man, dass wir umsichtig mit dem Thema der Weiterentwicklung des Unternehmens umgehen.

Brenntag macht der hohe Wettbewerbs- und Preisdruck zu schaffen. Ist das ein vorübergehendes Phänomen oder haben sich die Rahmenbedingungen grundsätzlich verändert?

Insgesamt betrachtet, hat der Chemiezyklus die Talsohle erreicht. Die Nachfrage stabilisiert sich. Das sehen wir an den Volumina. Die Hersteller realisieren aktuell höhere Margen, weil ihre Kapazitätsauslastung steigt. Daher lassen die Produzenten noch die Finger von den Preisen. In dieser Phase des Chemiezyklus erfolgen Preissteigerungen in der Regel erst in zwei, drei Quartalen. Regional ist das Bild jedoch differenzierter zu sehen.

Inwiefern?

Die klassische Entwicklung, wie ich sie beschrieben habe, wird sich vor allem in Nordamerika abspielen. In Europa haben wir das schwierigste Umfeld. Hier haben wir teils massive, nicht wettbewerbsfähige Überkapazitäten.

Wenn man in China unterwegs ist, hat man den Eindruck, wir haben hier vieles verschlafen.

Christian Kohlpaintner

Auf welche Produkte bezieht sich das?

Das ist vor allem bei energieintensiven Wertschöpfungsketten der Fall, weil die Energiekosten der Europäer höher sind als in den USA, Nahost und China. Die europäische Chemieindustrie hat große Hausaufgaben vor sich. Alles, was ich zuvor zur weiteren Zyklusentwicklung gesagt habe, wage ich für Europa nur in Klammer vorherzusagen. Wir haben in Europa konjunkturelle und strukturelle Probleme. Das macht die Region momentan sehr vulnerabel.

Wie sieht es in Asien respektive China aus?

China hat das Problem, dass die inländische Wirtschaft für chinesische Verhältnisse nur langsam wächst. Auch China hat riesige Überkapazitäten geschaffen. Dadurch, dass die heimische Nachfrage stockt, wird sehr viel Material exportiert. Das drängt zukünftig zusätzlich vor allem nach Europa, weil sich die Amerikaner durch Schutzzölle absichern werden.

Inwieweit werden die chemischen Exporte in China staatlich unterstützt?

Das kann ich nicht feststellen. Man muss anerkennen, dass die chinesischen Chemieunternehmen teils sehr gut aufgestellt sind. Gleiches gilt zum Beispiel ja auch für die Automobilindustrie. Wenn man in China unterwegs ist, hat man den Eindruck, wir haben hier vieles verschlafen.

Viele Chemiefirmen nicht wettbewerbsfähig

Ist das ein weiterer Schritt in Richtung Deindustrialisierung? 

Das Ende der europäischen Chemieindustrie ist nicht nahe. Die Industrie hat stets mit Innovationen und Spezialisierung auf den Druck bei den Industriechemikalien reagiert. Das wird sie auch diesmal tun. Die Heimat der Spezialchemie ist immer noch Europa. Aber: Die Restrukturierung der nicht wettbewerbsfähigen Kapazitäten ist eine Aufgabe, die vor der Chemieindustrie in Europa liegt, und dazu zählt auch die Re-Gruppierung ihrer Portfolios. Wir haben in Europa zahlreiche Chemieunternehmen, die ich in der heutigen Größe nicht für dauerhaft wettbewerbsfähig halte. Es muss sich in der Konsolidierung etwas tun, um weiterhin wettbewerbsfähige Spieler hervorzubringen.

Was bedeutet der Ausgang der US-Wahlen für Brenntag?

Die Auswirkungen für den Konzern sind nach meiner Einschätzung neutral bis leicht positiv. Für unser Geschäft dort, mit einem Umsatzanteil von über 40%, wird das insgesamt positive Effekte haben. Donald Trump wird viel für die heimische Wirtschaft tun, nicht nur über Importzölle. Nordamerika ist für mich die Region, die in der nächsten Dekade im Chemiebereich sehr erfolgreich sein wird – durch die starke Kombination aus Zugang zu günstigen Rohstoffen und günstiger Energie, vor allem Gas. Dazu kommen politische Rahmenbedingungen, die Ansiedlungen in der Region fördern.

Das Interview führte Annette Becker.

Das Interview führte Annette Becker.

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