Brexit zwingt Briten zum Urlaub daheim
Von Lisa Schmelzer, FrankfurtDie Details für den Austritt der Briten aus der Europäischen Union sind noch längst nicht fixiert, doch der Brexit dürfte unabhängig von den Feinheiten die Airline-Branche in Europa durcheinanderwirbeln. Denn Großbritannien wird wohl aus dem gemeinsamen Luftverkehrsmarkt der EU herausfallen. Zwar könnten mit dem Land Sonderreglungen getroffen werden, wie es diese beispielsweise mit den Nicht-EU-Mitgliedern Island oder der Schweiz gibt, das halten Experten aber für eher unwahrscheinlich. Hürden für VerlagerungAm stärksten betroffen werden Unternehmen mit Sitz auf der britischen Insel sein, aber auch solche, die ein umfangreiches Flugangebot von und nach Großbritannien haben. Die EU hat mit Drittstaaten Luftverkehrsabkommen geschlossen, die künftig für die Briten nicht mehr gelten werden. Mit nahezu allen Regierungen weltweit müsste das Land, wenn es die EU verlassen hat, diese Abkommen, die den freien Flugverkehr zwischen den Staaten regeln, neu verhandeln – insbesondere den wichtigen “Open Skies”-Vertrag mit den USA.Beim in Großbritannien ansässigen Billigflieger Easyjet gab es daher gleich nach dem Brexit-Votum Überlegungen, den Firmensitz zu verlagern. Man werde ein Luftverkehrsbetreiber-Zeugnis (AOC) in der Europäischen Union beantragen, hatte die Airline mitgeteilt. Das ist allerdings keineswegs ein Selbstläufer. “Airlines können nicht einfach wie ein Automobilbauer ihren Herstellungsort wechseln”, betont Ralf Thaeter, deutscher Managing Partner der britischen Wirtschaftskanzlei Herbert Smith Freehills. Denn die Voraussetzung für einen Sitz in einem EU-Land wäre, dass das Unternehmen Easyjet mehrheitlich in EU-Hand ist. Dies ist aber nicht mehr gegeben, wenn Großbritannien die EU verlassen hat und aus britischen Aktionären Anteilseigner aus einem Nicht-EU-Staat geworden sind. Beispiel UnileverAllerdings sind derzeit Bestrebungen zu beobachten, die strengen Regeln für die Besitzverhältnisse bei europäischen Fluglinien auszuhebeln. Im Zusammenhang mit der Pleite von Alitalia soll es Gespräche in Brüssel gegeben haben, ob die derzeitige Klausel von 49 % Anteilsbeschränkung für außereuropäische Investoren weiter Gültigkeit haben soll. Bei der Alitalia soll durch Aussetzen oder Aufweichen dieser Klausel erreicht werden, dass die Fluglinie attraktiver – beispielsweise für chinesische Geldgeber – wird.Die einstige britische Staatsfluglinie British Airways – eigentlich auf Gedeih und Verderb vom Transatlantikgeschäft abhängig und deshalb in besonders misslicher Lage – und ihr Mutterkonzern IAG hoffen noch, dass der Brexit sie nicht so schwer treffen wird wie beispielsweise Easyjet. Denn sie haben dank der IAG-Töchter Iberia aus Spanien und Aer Lingus aus Irland bereits einen Fuß in der EU-Tür. Dies würde die Lage nach Ansicht der Herbert-Smith-Freehills-Experten aber wohl nur entspannen, wenn sich die Gruppe in zwei unabhängige börsennotierte Gesellschaften aufteilen würde, die durch entsprechende Verträge zusammengebunden sind – ähnlich wie beim Lebensmittel-Multi Unilever mit einer Gesellschaft nach britischem Recht (plc) und einem holländischen Ableger (NV). Unter HandlungsdruckDie Reisekonzerne Thomas Cook und Tui könnten für ihr Fluggeschäft eine Neuregelung durchspielen, um für die Brexit-Folgen gerüstet zu sein. Beide Konzerne betreiben Fluglinien in Großbritannien, aber eben auch in Deutschland. Immer wieder wurde darüber spekuliert, ob beispielsweise Thomas Cook seine Airlines in Großbritannien, Deutschland und Skandinavien zusammenlegt, der Brexit könnte hier den Handlungsdruck erhöhen.Die Billigfluglinie Ryanair als irisches Unternehmen kann zwar nach einem Brexit weiterhin innerhalb der EU uneingeschränkt auf Reisen gehen, gerät aber im wichtigen britischen Geschäft unter Druck. Mehr als ein Drittel der Ryanair-Flüge starten und landen in Großbritannien. Der europäische Marktführer hat bereits angekündigt, künftiges Wachstum in die EU – vor allem nach Deutschland – zu verlagern. Die Folgen des Brexit für die Briten hatte Ryanair-Chef Michael O’Leary in gewohnt deutlichen Worten bereits beschrieben: “Vom Sommer 2019 an kann keiner aus England mehr in den Urlaub fliegen.”Ob es tatsächlich so kommt, steht – wie alle Details des Brexit – noch in den Sternen. Angesichts der “Verhandlungen unter allergrößtem Zeitdruck” erwartet Thaeter indes wenig Erfreuliches, denn “wenn man nichts regelt für den Flugverkehr, fliegt das Ding gegen die Wand”. Dann wäre Großbritannien in Sachen Airlines sehr schnell eine abgeschottete Insel, von der aus nur noch in die wenigen Staaten geflogen werden kann, mit denen es alte bilaterale Abkommen gibt, beispielsweise Deutschland.Die Experten plädieren zwar für einen “weichen Übergang”, sehen die Chancen dafür aber nicht als besonders groß an. Gegen Vereinbarungen, wie sie die EU zum Beispiel mit der Schweiz oder Island getroffen hat, spricht, dass sich diese Länder verpflichtet haben, sich im Gegenzug für die Freizügigkeit in der Luft den EU-Regeln etwa in puncto Sicherheit zu unterwerfen. “Zudem erkennen sie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes an und genau das möchte Großbritannien ja nicht mehr”, so Thaeter. Profiteur LufthansaProfitieren von den Verwerfungen im Luftverkehr könnte die Lufthansa. Die deutsche Airline fliegt zwar ebenfalls von und nach Großbritannien, dieses Geschäft macht aber nur einen geringen Teil ihres Umsatzes aus. Wenn sich allerdings ein Großteil des Langstreckenverkehrs vom Flughafen London-Heathrow weg in Richtung andere europäische Drehkreuze verlagert, würde das sicher Lufthansa zugute kommen. Die deutsche Airline ist der größte Kunde am Flughafen Frankfurt, dem eine wachsende Bedeutung zukäme, und unterhält außerdem Drehkreuze in München, Zürich und Wien. Dagegen könnte es kleinere Airports wie Köln oder Berlin schmerzen, wenn das Geschäft von Easyjet oder Ryanair unter den Brexit-Folgen zu leiden hat, denn sie sind auf die Passagiere der Billigflieger angewiesen.