IM BLICKFELD

Britische Einkaufszentren vor dem Ausverkauf

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 10.7.2019 Der Grund für die Misere des britischen Einzelhandels und der Immobiliengesellschaften, die ihm Verkaufsflächen vermieten, wird vielerorts vor allem auf einen Faktor zurückgeführt: die...

Britische Einkaufszentren vor dem Ausverkauf

Von Andreas Hippin, LondonDer Grund für die Misere des britischen Einzelhandels und der Immobiliengesellschaften, die ihm Verkaufsflächen vermieten, wird vielerorts vor allem auf einen Faktor zurückgeführt: die veränderten Konsumgewohnheiten durch Online-Shopping. Die Branche erwirtschaftet bislang knapp ein Fünftel (19 %) ihres Umsatzes im Internet. Geht es nach einer neuen Studie von Retail Economics für die Kanzlei Womble Bond Dickinson, könnte sich dieser Anteil bis 2028 mehr als verdoppeln – auf dann 53 %. Ein Zehntel der für die Studie Befragten gab an, in den kommenden zwölf Monaten weniger in physischen Geschäften einkaufen zu wollen. “Erfolgreiche Einzelhändler mussten sich stets neu erfinden, um relevant zu bleiben”, sagt Richard Lim von Retail Economics. “Das Tempo der Veränderungen wird sich aber unvermeidlicherweise für viele als zu schnell erweisen.”Im High-End-Einkaufszentrum Westfield London öffnete über das Wochenende “The Trending Store” seine Pforten, ein Pop-up Shop, in dem die Besucher genau die Produkte kaufen konnten, die gerade von Social-Media-Trendsettern empfohlen bzw. getragen werden. Zur Ermittlung der Produkte wurde KI-Technologie von Nextatlas eingesetzt. “Wir wissen, dass Großbritannien online einkauft”, sagt Myf Ryan, CMO Europe und Group Director of Brand & Strategic Marketing bei Unibail-Rodamco-Westfield. Aber die Verbraucher schätzten ihrer Meinung nach “den menschlichen Faktor”, den der Einkauf in Person biete – die Möglichkeit, etwas anzufassen, zu fühlen, auszuprobieren und sich beraten zu lassen.Jenseits des Luxussegments, das nach wie vor Käufer anzieht, wird es ungleich schwerer. So wie Büroentwickler einen bestimmten Prozentsatz der Fläche eines Projekts vorab vermieten wollen, setzten die Planer von Einkaufszentren auf einen großen Supermarkt oder ein Kaufhaus als Magneten, der für ausreichend Laufkundschaft bei den übrigen Ladengeschäften sorgen sollte. Dafür waren die Besitzer der Immobilien oft zu Mietnachlässen, wenn nicht gar zu einem goldenen Handschlag bereit. Nach Rechnung der UBS belegt das Traditionshaus Debenhams bei Intu 9 % der Fläche, steuert aber nur 3 % der Mieteinnahmen bei. Seit 2005 gehen die Besucherzahlen von Kaufhäusern zurück. Debenhams steht auf der Kippe und hat es durch ein sogenanntes CVA (Company Voluntary Arrangement) geschafft, die Mieten nachzuverhandeln (vgl. Grafik). Kinos und “Fast Casual Dining” sollen heute dafür sorgen, dass sich die Einkaufszentren nicht leeren. Aber mittlerweile machen auch den Gastronomen höhere Kosten, der steigende Mindestlohn und die mit der Bewertung steigende Gewerbeimmobiliensteuer zu schaffen. Hinzu kommt die Konkurrenz durch Bringdienste wie Deliveroo und Uber Eats. Eine ganze Reihe von Restaurantketten, hinter denen Finanzinvestoren standen, war zu harten Restrukturierungsmaßnahmen gezwungen oder verließ den Markt. Mieter machen DruckAuch zahlreiche Einzelhändler haben die Immobiliengesellschaften vor die Wahl gestellt, entweder weniger Miete zu verlangen oder einen zahlungsunfähigen Mieter mehr zu haben. Im Gegensatz zu den Kaufhäusern und Supermärkten, deren Mieten in der Regel von den Immobiliengesellschaften subventioniert werden, steuern sie den größten Teil zur Rendite der Betreiber von Shopping Centern bei. Viele setzen verstärkt auf E-Commerce. Das Modehaus Next geht davon aus, dass seine Mietkosten um die Hälfte sinken müssen, wenn der Umsatz der physischen Filialen um 10 % jährlich schrumpft. Zudem nutzen die Mieter die Verhandlungen dazu, bisher von ihnen getragene Kosten auf die Betreiber der Einkaufszentren abzuwälzen. Das drückt auf das operative Ergebnis. Zudem steigen die Verwaltungskosten, weil Mietverträge auf kürzere Zeit abgeschlossen werden.Das Problem sei “strukturell, nicht zyklisch”, urteilen die Immobilienexperten der US-Investmentbank Jefferies. Deshalb gebe es keine Rückkehr zum Mittelwert. Sie gehen davon aus, dass der Wert von Einkaufszentren bis Ende 2020 um 45 % einbrechen wird. Noch gingen die Bewertungen allein stimmungsbedingt zurück, da es keine Käufer gebe. Der nächste Schritt werde die Berücksichtigung deutlich niedrigerer Mieten, die sich auf nachhaltiger Basis erwirtschaften ließen, und steigender Kosten sein.Damit nicht genug: Eine Reihe großer Immobiliengesellschaften will Objekte verkaufen. Die Analysten von Liberum Capital gehen davon aus, dass British Land, Hammerson und Intu Assets im Umfang von insgesamt 3 Mrd. Pfund veräußern wollen. Im ersten Quartal habe das Transaktionsvolumen bei Einkaufszentren bei gerade einmal 280 Mill. Pfund gelegen. In diesem Tempo würden die angestrebten Divestments rund drei Jahre in Anspruch nehmen, lässt man alle anderen Marktteilnehmer außer Acht. Kein Wunder, denn: Schnäppchen sehen anders aus.