"Celonis kommt jetzt in eine neue Phase"
Im Interview: Bastian Nominacher
„Wir kommen jetzt in eine neue Phase“
Der Co-Vorstandsvorsitzende von Celonis berichtet über die Entwicklung des wertvollsten deutschen Einhorns und über Pläne für einen Börsengang
Das Münchner Softwareunternehmen Celonis rechnet damit, dass das von ihm angebotene "Process Mining" für Unternehmen so selbstverständlich wird wie E-Mail. Um das weiterhin hohe Wachstumstempo zu bewältigen, ist die zuletzt mit knapp 13 Mrd. Dollar bewertete Firma nach Ansicht ihres Co-CEO Bastian Nominacher sehr solide finanziert. Zeitdruck für einen Börsengang gebe es nicht.
Herr Nominacher, von Investmentbanken ist zu hören, Celonis plane für nächstes Jahr den Börsengang in New York. Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen?
Wir haben sehr langfristige Ambitionen, aber wir haben keine konkreten Pläne für einen Börsengang oder Ähnliches. Das ist kein Thema, mit dem wir uns aktuell beschäftigen. Wir fokussieren uns ganz auf unsere Kunden und die Produktentwicklung.
Wie erklären Sie sich dann die Informationen von den Banken?
Ich verbringe meine Zeit nicht damit zu spekulieren, was die Investmentbanken machen. Ich weiß nicht, woher diese Spekulationen kommen. Die gibt es schon seit längerem. Erfolgreiche Unternehmen müssen wohl damit leben, dass verschiedene Szenarien gesponnen werden.
Anders gefragt: Haben Sie Kontakt mit Investmentbanken?
Wir sind regelmäßig im Austausch mit den großen Investmentbanken. Einerseits sind sie Kunden von uns, andererseits haben wir im vergangenen Jahr eine Kreditfazilität über maximal 600 Mill. Dollar mit einem Konsortium abgeschlossen, in dem zahlreiche führende Investmentbanken tätig sind. Zudem beschäftigen wir uns mit Übernahmezielen und haben auch deshalb Kontakt mit Investmentbanken.
Es sieht so aus, als planten die Investmentbanken den Börsengang, und Celonis weiß noch nichts davon.
Investmentbanken wollen natürlich immer Optionen aufzeigen und Dinge vorantreiben. Vielleicht auch, weil es im aktuellen Marktumfeld nur wenige IPOs gibt. Als Unternehmer konzentrieren wir uns aber darauf, Celonis auf die nächste Entwicklungsstufe zu bringen.
Generell ist für Sie ein Börsengang aber nach wie vor eine Option, oder?
Definitiv. Mit unserer Software können wir vielen Unternehmen helfen, effizienter zu werden und Kosten zu senken. Um diese Mission zu erfüllen, kann es irgendwann sinnvoll sein, ein börsennotiertes Unternehmen zu sein. Wir haben dafür aber keine feste Zeitleiste oder konkrete Pläne.
Das könnte sich mit dem Bedarf an frischem Kapital ändern. Wann ist das so weit?
Einen solchen Bedarf haben wir nicht, weil wir sehr solide finanziert sind: einerseits mit dem Cashflow aus unserem Geschäft, andererseits dank der Finanzierungsrunden und der revolvierenden Kreditfazilität. Das gibt uns eine große Flexibilität. Insofern gibt es keinen konkreten Zeitpunkt.
Ihre Investoren wollen aber irgendwann ihr Engagement versilbern.
Wir haben sehr langfristig orientierte Investoren. Diese wollen mit uns ein erfolgreiches großes Unternehmen aufbauen. Wir haben deshalb keinerlei Zeitdruck.
Unabhängig von der Frage nach dem Zeitpunkt für ein IPO: Favorisieren Sie eine Notierung in New York?
Wenn es so weit ist, werden wir uns alle Möglichkeiten anschauen. Die verschiedenen Börsenplätze haben verschiedene Vorteile. In New York sind beispielsweise viele Softwareunternehmen gelistet. Da wir noch keine konkreten Pläne haben, gibt es aber auch noch keine prädestinierte Lokation.
Gibt es Argumente für die Frankfurter Börse?
Ja – oder auch für London. Das würde, wenn es konkret werden sollte, von den Rahmenbedingungen wie etwa dem Markt und der Regulierung abhängen. Vieles kann man jetzt noch nicht voraussagen.
Haben Sie die freie Kreditlinie in Anspruch genommen?
Nein, wir haben diese bisher nicht genutzt. Wir haben ein hohes Volumen an Eigenkapital aufgenommen und haben nach wie vor viel Spielraum zur Finanzierung unseres Wachstums.
Die bisher letzte Finanzierungsrunde im Sommer 2022 brachte 400 Mill. Dollar ein. Gibt es neben den bisher kleineren Akquisitionen größere Übernahmeziele, für die Celonis dieses Geld einsetzen würde?
Für unser Geschäft und für Innovationen haben wir zwei Treiber: zum einen die eigene Produktentwicklung und zum anderen Zukäufe. Voraussetzungen für Akquisitionen sind, dass die Technologie und die Kultur zu uns passen; das Unternehmen muss ein stabiles Geschäft mit vielen zufriedenen Kunden haben, und es muss gut finanziert sein.
Da wegen der hohen Zinsen Finanzinvestoren zurückhaltend sind, müssten sich für Sie derzeit günstige Gelegenheiten ergeben – auch mit Blick auf den Preis für Unternehmen.
Im Durchschnitt sind die Preise jetzt niedriger. Aktuell sind viele Unternehmen auf der Suche nach einem starken Partner und einer Plattform. Oft gibt es kurzfristig Gelegenheiten, aber die Unternehmen müssen, wie gesagt, perfekt zu uns passen.
Symbio scheint perfekt zu passen. Denn in dieser Woche hat Celonis die Übernahme dieses Unternehmens in Aschheim bei München mit 40 Mitarbeitern bekannt gegeben. Was versprechen Sie sich davon?
Das ist ein großer Schritt, um unseren Kunden eine noch umfassendere Prozessintelligenz zu bieten. Symbio erweitert unsere Plattform. So können Kunden ihre Prozesse nicht mehr nur auswerten, um Chancen zu erkennen und Mehrwert zu schaffen, sondern mit einer KI-gestützten Lösung ihre Prozesse auch gestalten und optimieren.
In den ersten Jahren nach der Gründung im Jahr 2011 erwirtschaftete Celonis Gewinne. Laut Bundesanzeiger entstand im Geschäftsjahr 2018/19 erstmals ein Fehlbetrag von 6,5 Mill. Euro. Jüngere Zahlen haben Sie nicht veröffentlicht. Sind Sie noch in der Verlustzone?
Seit 2016 sind wir im Investitionsmodus. Das Jahresergebnis hängt von unseren Projekten ab und wie viel wir jeweils investieren.
Okay, Sie halten sich mit Geschäftszahlen zurück. Lange Zeit hat sich der Umsatz von Celonis verdoppelt. Ist das noch so?
Wir haben einen sehr großen adressierbaren Markt, den wir so schnell wie möglich erschließen wollen. Deshalb wachsen wir sehr, sehr stark. Lange Zeit hatten wir eine Verdoppelung. Das ist jetzt nicht mehr so, weil die Basis inzwischen sehr groß ist. Im Branchenvergleich liegen wir mit unserem immer noch signifikanten Wachstum aber am oberen Ende.
Es gibt Schätzungen, dass der Jahresumsatz inzwischen einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag erreicht. Dem widersprechen Sie nicht?
Dazu geben wir keine Auskunft.
Kein Geheimnis machen Sie aus der Zahl Ihrer Mitarbeiter: mehr als 3.000.
Ja. Und wir stellen nach wie vor in unseren Kernbereichen ein. In München zum Beispiel suchen wir gute Entwickler. Hier haben wir rund 800 Mitarbeiter, hier ist unser Herz.
Zweiter Hauptsitz ist New York. Wie viele Menschen beschäftigt Celonis dort?
Einschließlich unserer Niederlassungen sind es in den USA knapp 1.000 Mitarbeiter.
Laut den Marktforschern von Gartner gibt es Kritik einzelner Kunden am Service von Celonis. Ist das Unternehmen zu schnell gewachsen?
Wenn man sehr schnell wächst, gibt es immer wieder Aspekte, die man verbessern muss, zum Beispiel den Kundenservice. Allgemein haben wir aber eine sehr hohe Kundenzufriedenheit. Die Zahl der Nutzer unserer Systeme ist schnell und stark gewachsen. Das Datenvolumen unserer Kunden ist dabei noch schneller gewachsen als der Umsatz. Deshalb müssen wir ständig in unsere Infrastruktur investieren, um unsere Position als Markt- und Innovationsführer aufrechtzuerhalten. Wichtig ist auch, dass wir eine offene Fehlerkultur haben: Wir wollen die besten Resultate für unsere Kunden erzielen.
Celonis ist nach wie vor Marktführer auf dem Gebiet "Process Mining". Konzerne wie SAP, Salesforce, Servicenow und Microsoft sind mittlerweile aber auch in diesem Geschäft. Wie will sich Celonis auf Dauer behaupten?
Indem wir nah an den Kunden bleiben, mit Innovationen und technischer Exzellenz weiterhin überzeugen und dank unseres motivierten und starken Teams. Wir kommen jetzt in eine neue Phase: Es geht um die breite Adaption unserer Produktplattform.
Was heißt das?
Wir sind davon überzeugt, dass Process Mining zum Standard für Unternehmen wird, wie E-Mail, Customer Relationship Management und Ähnliches. Wer damit nicht wie seine Konkurrenten Prozesse effizienter macht und optimiert, wird in vier, fünf Jahren nicht mehr wettbewerbsfähig sein.
In welchen Branchen?
Etwa dort, wo es hohe Einkaufsvolumina oder eine große Anzahl von Rechnungen gibt. Hier hilft unsere Software, die Anzahl manueller Eingriffe in den Einkaufs- oder Rechnungsstellungsprozess massiv zu reduzieren. So konnte Pepsico mithilfe von Celonis bei seinem Order-to-Cash-Prozess die Anzahl der abgelehnten Kundenaufträge um 86% reduzieren. Und dies ist nur ein Beispiel von vielen.
Warum nutzen nicht alle die Software?
Manche Unternehmen setzen andere Prioritäten oder sind noch nicht auf Process Mining aufmerksam geworden. Dabei kann fast jede Firma in kurzer Zeit damit einen Mehrwert erzielen.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir bieten Apps zur Optimierung der Lagerbestände und des Betriebskapitals an. Das ist ja seit einiger Zeit für viele Unternehmen ein drängendes Problem, auch weil sich viele Kunden mit der Bezahlung mehr Zeit lassen. Mit unserer "Duplicate Checker"-App vermeiden Unternehmen, Rechnungen, die zwei- oder dreifach gesendet werden, doppelt zu bezahlen. Das ist direkt erfolgswirksam. So verhindern Kunden, einige Millionen Euro im Jahr zu verlieren.
Das Interview führte Joachim Herr.