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"China auf dem Weg zur automobilen Supermacht"

China ist der größte Automarkt der Welt. Jetzt starten die dortigen Hersteller zur Expansion in Europa. Westliche Fachleute halten die Aussichten für gut: Die Qualität der Fahrzeuge und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmten.

"China auf dem Weg zur automobilen Supermacht"

Serie: IAA-Mobility (6)

China auf dem Sprung zur Supermacht

Berater im Westen trauen den chinesischen Autoherstellern in Europa viel zu – Alix Partners: Die Fahrzeuge aus dem asiatischen Land sind frischer

Von Joachim Herr, München

China ist der größte Automarkt der Welt. Jetzt starten die Hersteller dort zur Expansion in Europa. Westliche Fachleute halten die Aussichten für gut: Die Qualität der Fahrzeuge und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmten. Die Konkurrenz im Westen könne sich einiges abschauen, zum Beispiel die schnellen Entwicklungszeiten.

Namen wie BYD, Aiways, Wey, Nio und Ora klingen hierzulande noch fremd und sind nur wenigen bekannt. Zahlreiche Fachleute in der Branche sind sich jedoch sicher, dass sich das bald ändern wird und chinesische Autos auf europäischen Straßen nicht mehr lange Exoten bleiben. Noch ist ihre Anzahl hier gering. Laut der Statistik des Kraftfahrt-Bundesamtes wurden von Januar bis April dieses Jahres – aktuellere Daten gibt es noch nicht – gerade einmal 6.870 chinesische Pkw in Deutschland zugelassen. Das ergab ein Anteil von nur 0,8%, verglichen mit dem Vorjahreszeitraum waren es aber mehr als doppelt so viele. Mit diesem Anstieg liegen die chinesischen Hersteller weit vorn. Das Beratungsunternehmen Alix Partners traut den Neueinsteigern im Markt viel zu und empfiehlt der deutschen Autoindustrie, sich einiges von der Konkurrenz in China abzuschauen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Fabian Piontek, Experte von Alix Partners für die Branche, erkennt gute Chancen und klare Ziele der chinesischen Hersteller – nicht nur im Heimatmarkt, sondern auch als Exporteure: „Sie haben ein Riesenpotenzial, um in den nächsten drei bis fünf Jahren im unteren und mittleren Preissegment die Märkte in Europa und danach in den USA zu durchdringen und sich zu etablieren“, sagt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Mit ersten größeren Expansionen rechnet Piontek zuerst in Europa.

Erst im Heimatmarkt wachsen

„Im vergangenen Jahr wurden etwa 900.000 Autos aus China in die USA und nach Europa exportiert, 2026 werden es nach unseren Prognosen 1,5 Millionen sein.“ Das erscheint für chinesische Verhältnisse nicht allzu ambitioniert. Piontek hat dafür eine Erklärung: Zum einen sei es für die Unternehmen derzeit einfacher, im Wachstumsmarkt China mitzuwachsen, als sich neue Märkte aufzubauen. Zum anderen müsse erst eine Lieferkette für die Expansion entstehen. „Vielleich kommt später eine Produktion in Europa hinzu.“ Seine Prognose für Chinas Autohersteller lautet jedenfalls: „In 10 bis 15 Jahren wird ihr Marktanteil in Europa etwa 10% ausmachen.“

Die Unternehmensberatung KPMG rechnet im Segment der Elektroautos in Europa mit einem Anteil der Chinesen von rund 15% im Jahr 2025. Im vergangenen Jahr seien es noch weniger als 10% gewesen.

Die Coronazeit genutzt

Zusammen mit der Bedeutung Chinas als größter Automobilmarkt der Welt und als Produktionsstandort ist Alix-Experte Piontek der Ansicht, dass das Land „auf dem besten Weg zur automobilen Supermacht“ ist. Dabei ist es noch nicht allzu lange her, dass chinesische Autos im Vergleich mit den westlichen Modellen in Crashtests katastrophal schlecht abgeschnitten haben.

Die Produzenten ergriffen den Wandel zur Elektromobilität, großzügig unterstützt vom Staat, als Chance für einen Neustart. „Die chinesischen Hersteller haben die Zeit hinter dem Coronavorhang genutzt, um qualitativ gute Fahrzeuge zu entwickeln und zu bauen, die die kaufentscheidenden Kriterien chinesischer Kunden besser treffen als die Autos europäische Hersteller“, sagt Piontek.

"Ein Mehr an Ausstattung"

Zum einen sind die Preise deutlich niedriger. „Zudem konzentrieren sie sich auf die wichtigen Merkmale für chinesische Kunden: äußeres Design, Design des Innenraums und technische Features.“ Kurz: ein Mehr an Ausstattung, wie es Piontek formuliert. Das gelte auch für die unteren Preisklassen, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimme. Dagegen hätten deutsche Premiumhersteller in den vergangenen zwei Jahren mit hohen Preisen für teure Autos Gewinne abgeschöpft und Käufer im Einstiegs- und mittleren Segment bestraft, indem sich Lieferzeiten immer weiter verschoben haben: „Leichter kann man es einem Newcomer nicht machen“, meint Piontek. Und: „Die chinesischen Autos sind voller Ecken und Kanten.“ Diesen expressionistischen Stil wollten die Käufer dort haben. „Demgegenüber stehen Traditionsunternehmen in der westlichen Welt, die immer noch viel Geld in der Entwicklung ausgeben für Komfort, etwa für Schall- und Vibrationsdämpfung.“

Kurze Entwicklungszeiten

Im Heimatmarkt punkten die Chinesen auch mit rasanter Produktentwicklung. „Chinesische Autos sind frischer“, meint Piontek. „Die Hersteller schaffen es, etwa alle zwei Jahre Modelle mit signifikanten Produktaufwertungen in den Markt zu bringen.“ Bisher galten und gelten in der Autoindustrie überwiegend Modellzyklen von etwa sieben Jahren, eine Auffrischung gibt es in der Regel in der Mitte dieser Zeit. Um schneller zu werden, hat Volkswagen vor kurzem eine Entwicklungspartnerschaft mit dem chinesischen Elektroautohersteller Xpeng abgeschlossen.

Aus Sicht der Berater von Alix Partners ist die Start-up-Mentalität in China ein weiterer Pluspunkt. „Gerade von den Herstellern von batterieelektrischen Fahrzeuge: ein viel höherer Mut zum Risiko und zu einem möglichen Scheitern“, meint Piontek. „Private Investoren und der Staat stecken viel Geld in diese Unternehmen.“ Dass sie im Gegensatz zu den traditionellen Herstellern nicht den Wandel vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb bewältigen müssen, ist auch von Vorteil.

Was die Konkurrenz lernen kann

Preise, Design und Ausstattung, eine schnellere Entwicklung, mehr Mut: Die westlichen Produzenten könnten sich einiges abschauen. Piontek fügt hinzu: „Was sie für den chinesischen Markt lernen müssen, ist das komplett neue Absatzmodell: der Direct-to-Consumer-Vertrieb.“ Dazu gehört, Kunden über Kanäle wie Tiktok an sich zu binden oder mit Pop-up-Stores. In China funktioniert das offenbar. Piontek begründet dies mit dem Fehlen einer ausgeprägten Markenloyalität: „Zum Teil wird erstmals in einer Familie überhaupt ein Auto gekauft.“

Ambitionen im Premiumsegment

In Europa und den USA sieht das freilich anders aus. Die Treue zu einer Automarke ist dort viel größer, in manchen Familien setzt sie sich über Generationen fort. Das gilt besonders für Premiummarken wie Mercedes und BMW. Kunden aus diesem Kreis zu gewinnen dürfte für die Chinesen deutlich schwieriger sein, auch wenn sie in diesem Segment ebenfalls große Ambitionen haben.

So will Li Auto schon im nächsten Jahr die Nummer 1 der Premiummarken im chinesischen Markt sein. BMW, Mercedes-Benz und Audi sollen überholt werden. Damit dies gelingt, werden neue Modelle schneller auf den Markt gebracht und die Produktion hochgefahren, wie Konzernchef Li Xiang vor kurzem ankündigte. 2024 sollen es vier neue Modelle sein, davon drei Elektroautos.

"Nähe aufbauen"

Selbst wenn Li Auto das gelingen sollte, in den westlichen Märkten erscheint das noch auf lange Zeit aussichtslos. Bezogen auf alle Klassen erkennt Alix-Experte Piontek einen wichtigen Ansatzpunkt: „Die Herausforderung für chinesische Hersteller in Europa ist, die Kunden noch besser zu verstehen und eine Nähe aufzubauen, um das Gefühl des Fremden zu verlieren.“ Die Beispiele der koreanischen Produzenten Kia und Hyundai zeigten, dass das zu schaffen sei.

Für Piontek steht schon fest, wie die chinesischen Unternehmen außer mit der Elektromobilität im eigenen Land und im Export erfolgreich sein wollen: „Das autonome Fahren wird der nächste große Hebel in China sein.“

Zuletzt erschienen: Chinas Autobauer auf der Erfolgsspur (25. August)

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