Im GesprächAndreas Gontermann, ZVEI

„Die Vorteile des globalen Handels sind einfach zu groß“

Die Elektro- und Digitalunternehmen haben im ersten Halbjahr weniger nach China exportiert als in der Vorjahreszeit. Zugleich stiegen die Ausfuhren in die USA und auch ins restliche Asien kräftig an. Andreas Gontermann, Chefvolkswirt beim Branchenverband ZVEI, erkennt "eine gewisse Sensibilisierung" für geopolitische Risiken, zweifelt aber an der Wirksamkeit von Handelsbeschränkungen.

„Die Vorteile des globalen Handels sind einfach zu groß“

IM GESPRÄCH: ANDREAS GONTERMANN, ZVEI

"Die Vorteile des globalen Handels sind einfach zu groß"

Elektro- und Digitalunternehmen diversifizieren in Asien, aber Konjunkturschwäche Chinas bremst Wachstum – Weltmarkt legt 2024 noch 3 Prozent zu

Die Elektro- und Digitalunternehmen haben im ersten Halbjahr weniger nach China exportiert als in der Vorjahreszeit. Zugleich stiegen die Ausfuhren in die USA und auch ins restliche Asien kräftig an. Andreas Gontermann, Chefvolkswirt beim Branchenverband ZVEI, erkennt "eine zunehmende Sensibilisierung" für geopolitische Risiken, zweifelt aber auch an der Wirksamkeit von Handelsbeschränkungen.

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Der zweistellige Zuwachs, den der Weltmarkt der Elektro- und Digitalindustrie im vergangenen Jahr erreicht hat, dürfte sich im laufenden Jahr auf rund 9% abschwächen und dann 2024 mit 3% deutlich geringer ausfallen. Der ZVEI sieht darin „eine gewisse Normalisierung“, die dem „schwachen gesamtwirtschaftlichen Ausblick Rechnung trägt. Chefvolkswirt Andreas Gontermann weist allerdings im Gespräch mit der Börsen-Zeitung darauf hin, dass „die Klagen über Auftragsmangel inzwischen wieder deutlich zunehmen“. Während in der jüngsten Vergangenheit „vor allem Materialknappheit für die Unternehmen zum Problem wurde, steht jetzt eine schwache Nachfrage schon mehr im Vordergrund“, erklärt der Branchenfachmann. Zugpferde sind derzeit noch die Bereiche Elektromedizin und Energietechnik, wo im laufenden Jahr ein Plus von jeweils 11% erwartet werde, gefolgt von elektronischen Bauelementen mit +10%. Im kommenden Jahr fallen die Zuwächse mit 4 und 5% allerdings auch hier geringer aus.

Schlag ins Kontor

Ins Kontor schlägt dabei besonders die Schwäche im chinesischen Markt, der für „mehr als die Hälfte der globalen Elektroproduktion steht und für 40% vom Weltmarkt“, wie Gontermann betont. Im größten Einzelmarkt der Branche, der 2022 auf ein Volumen von 2,3 Bill. Euro kam, rechnet der ZVEI im laufenden Jahr noch mit einem Wachstum von 11%, kommendes Jahr allerdings nur noch mit 4%. Abgesehen davon, dass sich die chinesische Wirtschaft von den Folgen der Covidkrise nicht so schnell erholt hat wie erhofft, kommen dort auch strukturelle Probleme wie die Immobilienkrise und ein durch die Inflation getrübtes Konsumklima hinzu, die das Marktwachstum dort dämpfen. Überdies ist aus Sicht von Gontermann zu berücksichtigen, dass China gleichwohl in den Pandemiejahren mit „relativer Stärke den Weltmarkt stabilisiert hat, während die Nachfrage in westlichen Ländern schwach war“. Nun sei daher beispielsweise bei den USA auch ein Nachholeffekt zu beobachten gewesen. Dort wird 2024 allerdings auch nur ein Plus von 1% erwartet.

Zwei Länder auf Augenhöhe

Als Absatzmarkt für die deutschen Unternehmen der Elektro- und Digitalbranche haben die USA ohnehin ein ähnliches Gewicht wie das für den Weltmarkt insgesamt deutlich stärkere China. „In beide Länder gingen in der ersten Jahreshälfte Ausfuhren von rund 12,5 Mrd. Euro“, erläutert Gontermann. Auch im vergangenen Jahr lagen die Exporte der Branche in beide Länder in etwa gleichauf. Allerdings waren die Exporte nach China in den ersten sechs Monaten in diesem Jahr um 2,5% gegenüber Vorjahr rückläufig, während die Ausfuhren in die USA 14% zulegten. Deutlich angewachsen sind auch die Exporte ins übrige Asien, mit einem Plus von 7%. Der asiatische Markt steht global für 62% und dürfte nach Schätzungen des ZVEI 2024 noch 4% wachsen nach 10% im laufenden Jahr.

Ausweichmanöver in Asien

Gontermann erkennt „eine gewisse Sensibilisierung“ der Unternehmen, vor allem im Hinblick auf Versorgungssicherheit und Stabilität der Lieferketten, wo sich während der Pandemie eine Verwundbarkeit gezeigt habe, „dass man plötzlich viele Produkte nicht mehr herstellen konnte“. Er geht daher davon aus, dass Ausweichmanöver in andere asiatische Länder Zeichen einer gesunden Diversifizierungsstrategie sind. In diesem Zusammenhang begrüßt der Verband auch die Ansiedlung der Produktion von industriellen Schlüsselprodukten wie Halbleitern in Deutschland.

Grundsätzlich glaubt Gontermann, dass dem politisch motivierten De-Coupling bzw. der Deglobalisierung Grenzen gesetzt werden. „Die Vorteile des globalen Handels sind einfach zu groß“, sagt er, schränkt indes ein: "Subventionen, Exportkontrollen, Verbote von Technologietransfer und dergleichen bedeuten zwar Effizienzverluste, müssen mit Blick auf Ziele wie Versorgungssicherheit oder nationale Sicherheit in gewissem Maße aber wohl in Kauf genommen werden." Gleichwohl bezweifelt der Experte die Wirksamkeit solcher Maßnahmen. Nicht umsonst gelte das Bonmot: „Handel ist wie Wasser. Er sucht sich seinen Weg.“ Niemand könne sagen, ob der verstärkte Handel mit anderen asiatischen Ländern nicht einfach nur ein Umweg nach China sei.

Fachkräftemangel groß

Um Aktivitäten im Heimatmarkt zu stärken, stehen die Unternehmen der Branche ohnehin vor Problemen, die über Materialmangel und Energiekostenschub deutlich hinausgehen. Von Letzterem sind die Firmen ohnehin weniger betroffen. „Wir sind nicht sehr energieintensiv“, sagt Gontermann. Die Materialkosten machen zwar gut die Hälfte des Kostenblocks in den Unternehmen aus, aber „eine Herausforderung ist vor allem auch der Fachkräftemangel“. Von den rund 900.000 Beschäftigten kommen 60% aus naturwissenschaftlichen sogenannten MINT-Fächern, wo auch ein verschärfter Mangel herrscht. Politische Gegenmaßnahmen brauchen dabei lange, bis sie wirken.