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China droht "unzuverlässigen" Unternehmen mit Marktausschluss

Börsen-Zeitung, 16.10.2020 China hat kürzlich die gesetzliche Grundlage für eine sogenannte "Unreliable Entities List" geschaffen. Dabei handelt es sich um eine "Naming and Shaming"-Liste, auf der Unternehmen aufgeführt werden sollen, die sich an...

China droht "unzuverlässigen" Unternehmen mit Marktausschluss

China hat kürzlich die gesetzliche Grundlage für eine sogenannte “Unreliable Entities List” geschaffen. Dabei handelt es sich um eine “Naming and Shaming”-Liste, auf der Unternehmen aufgeführt werden sollen, die sich an “diskriminierenden Maßnahmen” gegen chinesische Firmen beteiligen, indem sie in marktwirtschaftlich sinnwidriger Weise ihre Beziehungen zu diesen Firmen beenden und ihnen damit erheblichen kommerziellen Schaden zufügen. Weitere mögliche Verstöße, die zur Aufnahme auf die Liste führen können, verbergen sich hinter opaken Begriffen wie der “Gefährdung der nationalen Souveränität, Sicherheit oder Entwicklung Chinas”.Ohne dies konkret auszusprechen, zielt die Liste vor allem darauf, ausländische (theoretisch aber auch chinesische) Unternehmen davon abzuhalten, ihre Liefer- oder sonstigen kommerziellen Beziehungen mit chinesischen Unternehmen zu beenden, die US-amerikanischen Sanktionen unterliegen oder auf der “Entities List” des US-Finanzministeriums stehen. Letztere gilt als Vorstufe zur Verhängung von US-Sanktionen und ist in jüngerer Zeit im Zuge des Handelskriegs mit China stetig erweitert worden.Insofern ist auch der Namensanklang beider Listen kein Zufall; man könnte bei der chinesischen Liste auch von einem Sanktionsblocker-Mechanismus beziehungsweise von indirekten Gegensanktionen sprechen.Ziel der US-“Entities List” ist vor allem, chinesische Staats- und teilweise auch Privatunternehmen zu identifizieren, die ihre Forschungsergebnisse mit dem chinesischen Militär teilen oder gar gemeinsame Forschung betreiben, dem Militär kritische Produkte liefern oder anderweitig in den “militärisch-industriellen Komplex” Chinas eingewoben sind. Wie weit die Sorge reicht, dem chinesischen Militär technologische Hilfestellung bei dessen öffentlich bekundetem Ziel zu leisten, bis 2049 eine “Weltklasse-Armee” zu werden, zeigt der Fall TikTok und die jüngste Berichterstattung in der “Financial Times”, wonach ein ehemaliger chinesischer Diplomat bei TikTok für die Bestimmung zulässiger Inhalte zuständig gewesen sei. Halbleiterindustrie im VisierZum Hauptschauplatz des Handelskriegs zwischen den USA und China entwickelt sich jedoch zunehmend die Halbleiterindustrie. Dies deshalb, weil in diesem Bereich der Westen noch immer einen technologischen Vorsprung hat, der die weitere industrielle Entwicklung Chinas vor allem in den Bereichen der künstlichen Intelligenz und anderer digitaler Technologien behindern beziehungsweise verlangsamen könnte. Die USA haben es heimischen Chipherstellern daher kürzlich untersagt, Produkte nach China zu liefern, die in den USA entwickelte Komponenten enthalten.Auch der immer stärker aufkeimende Konflikt zwischen China und Taiwan erklärt sich teilweise vor dem Hintergrund, dass Taiwan einer der weltweit führenden Standorte für Halbleiterfertigung ist.Ausländischen Halbleiterfirmen, die sich an diese Beschränkungen halten und etwa ihre Forschung & Entwicklung oder Fertigung künftig strategisch zwischen den USA und China aufteilen, um US-Sanktionen zu vermeiden, droht daher ebenfalls die Aufnahme auf die “Unreliable Entities”-Liste.Über das Naming and Shaming hinaus sieht die Unreliable Entities List aber auch sehr konkrete Sanktionsmöglichkeiten gegen unzuverlässige Unternehmen vor. Diese reichen von Bußgeldern über den Ausschluss von Handel (Import/Export) und Investitionen in China, Widerruf von chinesischen Lizenzen bis hin zu Maßnahmen gegen Vertreter der unzuverlässigen Unternehmen, also Entzug von Visa sowie Arbeits- und Aufenthaltserlaubnissen. Im DilemmaDies alles ist derzeit noch recht vage gefasst, soll aber weiter konkretisiert werden. Die Liste soll von einer neuen Abteilung des chinesischen Handelsministeriums, Mofcom, verwaltet werden. Diese soll Unternehmen auch wieder von der Liste entfernen können, wenn sie sich bessern; auch soll es möglich sein, trotz Aufnahme auf die Liste eine temporäre Lizenz zu erhalten, um Lieferbeziehungen (aber wohl nur diese, also zum Beispiel nicht Investitionen) erst einmal fortzusetzen. Der “unzuverlässige” Umgang mit chinesischen Unternehmen kann aber nicht nur in China erfüllt werden; der bewusste Ausschluss von chinesischen Markt- oder Technologieführern von ausländischen Märkten aus nichtkommerziellen Gründen käme insoweit ebenfalls in Betracht (Stichwort Huawei).Insbesondere global tätige Unternehmen stellt die Regelung vor ein Dilemma, aber auch zum Beispiel internationale Private-Equity-Fonds, da zumindest unklar ist, ob nicht auch gegen Muttergesellschaften beziehungsweise (kontrollierende) Anteilseigner in Fondsstrukturen vorgegangen werden kann.Die Regelung zeigt, dass China den Trend multinationaler Unternehmen wahrnimmt, ihre Lieferketten zu entkoppeln und Produktion sowie Sourcing für den US-, aber auch für den europäischen Markt wenn möglich in andere Länder zu verlagern und in China vor allem für den dortigen Markt zu produzieren. Paradoxerweise mag die Liste diesen Trend, soweit er diskret umgesetzt werden kann, eher noch verstärken – ob das möglicherweise sogar gewollt ist: Wer weiß? Heiner Braun, Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt