Sanktionen

China kommt in Russland groß ins Geschäft

Die Chinesen nutzen die Sanktionen maximal, um sich in Russland wirtschaftlich festzusetzen. Gerade auf dem Automarkt zeigt sich, welchen Erfolg sie dabei haben. Und mit welcher Geschwindigkeit sie westliche Produkte ersetzen.

China kommt in Russland groß ins Geschäft

China kommt in Russland groß ins Geschäft

Am stärksten zeigen sich die tektonischen Verschiebungen auf dem Automarkt

est Moskau

Schleichend haben sie begonnen, die tektonischen Verschiebungen im russischen Außenhandel seit Beginn von Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022. Allmählich gewannen sie dann an Fahrt. Und mittlerweile haben sie eine Geschwindigkeit erreicht, die ihresgleichen sucht.

Am stärksten tritt der Paradigmenwechsel auf dem Automarkt zutage. War dieser in den vergangenen zwei Jahrzehnten – also im Großen und Ganzen beginnend mit Putins Machtantritt im Jahr 2000 – dominiert von westlichen Marken, so wird die Lücke, die ihr Rückzug seit Kriegsbeginn hinterlassen hat, inzwischen nicht nur von der eigenen russischen Produktion – etwa zur Hälfte – gefüllt, sondern auch von chinesischen Marken. Und das in einem Ausmaß, das die kühnsten Prognosen übertrifft: Betrug ihr Marktanteil zu Kriegsbeginn weniger als 10%, so ist er mit Ende Juni dieses Jahres auf 45% gestiegen, wie die maßgebliche Statistik der Association of European Businesses in Moskau (AEB) soeben zutage förderte.

Der russische Automarkt, mit 1,7 Millionen Neuwagen und leichten Nutzfahrzeugen im Jahr 2021 noch der weltweit achtgrößte, war im Kriegsjahr auf etwa 600.000 implodiert und im ersten Quartal 2023 weiter geschrumpft, was die prozentualen Verschiebungen Richtung chinesischer Autobauer begünstigt hat. An der Tendenz ändert dies freilich nichts. Und sie setzt sich nun auch vor dem Hintergrund fort, dass sich der russische Automarkt deutlich zu erholen beginnt.

Der Markt könne bis Ende 2023 wieder ein Volumen von einer Million verkaufter Pkw und leichter Nutzfahrzeuge erreichen, erklärte Alexej Kalizew, Chef des AEB-Komitees der Autohersteller, dieser Tage. Legten die gesamten Neuwagenverkäufe im April um 70% und im Mai um 112% zu, waren es im Juni 133% auf über 87.000 Stück, wobei hier zum ersten Mal auch jene Autos berücksichtigt sind, die über den parallelen Import, also ohne Zustimmung der Hersteller, auf Umwegen ins Land gelangen.

Willkommenes Testfeld

„Wir begeben uns ganz schnell in eine immer größere Abhängigkeit von China“, sagt Natalja Subarewitsch, Professorin der Staatlichen Universität Moskau (MGU), der Börsen-Zeitung. Russland sei für die Chinesen ein willkommenes Testfeld, wie man auch global dem Westen Konkurrenz machen könnte, wurde auf der Automesse in Schanghai im Frühjahr wiederholt geäußert.

In der Tat befinden sich die chinesischen Autobauer, die sich momentan im Inland aufgrund von Überkapazitäten bei E-Autos zerfleischen, gerade in den Startlöchern, um Marktanteile in der Welt und ganz klar auch in Europa zu erobern. Dass ihr Erfolg für Europas Autoindustrie verheerende Folgen haben könne, brachten kürzlich Studien von Allianz Trade und Boston Consulting Group zutage.

In Russland deckten allein die Top 3 der chinesischen Marken in dem Land, nämlich die staatliche Chery Automobile sowie die privaten Geely Holding und Great Wall Motor mit der Submarke Haval, im ersten Halbjahr ein Drittel der gesamten Neuverkäufe ab. Die AEB-Statistik zeigt auch, dass sich unter den zehn stärksten Marken neben drei russischen ganze sechs chinesische befinden. Nur die südkoreanische Kia stört das entglobalisierte Top-Ranking mit ihrem zehnten Platz, wobei die Kia-Verkäufe im ersten Halbjahr um 85% auf gerade noch 7.056 Autos eingebrochen sind. Die restlichen Autobauer aus dem Westen sind fast ausnahmslos auf teils weit unter 1.000 verkaufte Autos abgesunken – ein Minus von 83 bis 99%. Demgegenüber steigerten die Chinesen die Verkäufe je nach Marke um 127 bis 412%. Bei der Marke Great Wall war es sogar ein Plus von 1.444% auf 4.895 Autos.

Schon fordern manche russische Marktteilnehmer einen Schutz der eigenen Produktion vor den chinesischen Autobauern, die ja vorwiegend in China produzieren und sich – anders als zuvor die westlichen Autobauer – mit Investitionen in Russland auffällig zurückhalten. Auch bei anderen Produktgruppen bleibt China vorerst lieber beim Export.

Dass der bilaterale Handel blüht, lässt sich auch daran ablesen, dass sich in Russland als Konkurrenz zu Dollar und Euro der zuvor völlig vernachlässigbare chinesische Yuan breitmacht. Im Frühjahr zeigt sich an den Transaktionen der Moskauer Börse, dass der Yuan zum ersten Mal den Dollar überrundet hat und in der Monatsstatistik zur meistgehandelten Devise in Russland wurde. Und Daten der Zentralbank zufolge betrug mit 1. Juni der Anteil der Valuten aus freundlichen (also nicht westlichen) Staaten auf den Konten und Depots russischer Unternehmen bereits 42% – 5 Prozentpunkte mehr als einen Monat zuvor. Der Löwenanteil davon entfällt auf Yuan.

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