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Chinas Autobauer finden Gefallen am Elektrofahrzeug

Von Norbert Hellmann, Schanghai Börsen-Zeitung, 26.11.2015 Es geht ein Ruck, um nicht zu sagen ein Stromstoß durch die chinesische Autobauergemeinde. Das lange eher stiefmütterlich behandelte Thema Elektromobilität, sei es in der Ausprägung des...

Chinas Autobauer finden Gefallen am Elektrofahrzeug

Von Norbert Hellmann, SchanghaiEs geht ein Ruck, um nicht zu sagen ein Stromstoß durch die chinesische Autobauergemeinde. Das lange eher stiefmütterlich behandelte Thema Elektromobilität, sei es in der Ausprägung des Hybridautos mit Verbrennungs- und Elektromotor oder der rein batteriebetriebenen Vehikel, wird seit diesem Jahr mit Vehemenz und hohen Investitionssummen angegangen.Die führenden chinesischen Automobilhersteller setzen nun plötzlich alles daran, bis zum Ende der Dekade mit einer umfassenden Palette von sogenannten New Energy Vehicles (NEV) – und zwar nicht nur im Pkw-, sondern auch im Nutzfahrzeugbereich – in den Wettbewerb zu gehen. Hier lässt der neue Fünfjahresplan der chinesischen Regierung mit wesentlich stärkerer umweltpolitischer Akzentsetzung grüßen.Chinas Wirtschaftsplaner gehen die vehemente Förderung des Elektrofahrzeugmarktes aber nicht nur aus umweltpolitischen Gründen an. Man sieht die NEV nämlich auch als ein Betätigungsfeld an, in dem chinesische Unternehmen künftig zur Avantgarde bei der technologischen Entwicklung gehören können, um so ihren Part bei der industriepolitischen Aufrüstungsoffensive “Made in China 2025” zu spielen.Nach entsprechenden Beschlüssen des Staatsrates gibt es mittlerweile konzertierte Pläne zum landesweiten Aufbau einer NEV-gerechten Netzinfrastruktur von Ladestationen, wobei sich Kooperationsprojekte zwischen Herstellern wie BAIC Group, BYD, Great Wall mit den staatlichen Stromnetzbetreibern, allen voran der State Grid Corporation of China, abzeichnen. Reichlich SubventionenWeitere Vorschläge der Blaupause sind staatliche Fördermaßnahmen und Subventionen für Forschung und Entwicklung (F & E) auf dem Gebiet der Batteriespeichertechnik und dem Design von Ladestationen. Abgesehen davon gibt es weitreichende Pläne, in immer mehr Ballungsgebieten Stadtbusse mit elektrischem Antrieb einzusetzen, die selbstverständlich aus chinesischer Produktion kommen sollen.Bei Great Wall, dem chinesischen Marktführer im Boomsegment der Sports Utility Vehicles (SUV), werden die Anstrengungen für eine lokale Produktion von Autos mit Alternativantrieb forciert. Great Wall will rund 5 Mrd. Yuan (750 Mill. Euro) und damit etwa ein Drittel der im Sommer mit einer Privatplatzierung aufgenommenen Mittel in F & E-Programme in Sachen Elektromobilität und den Bau von Getrieben, Elektromotoren und Batteriesystemen für NEV stecken. Auch bei BAIC wurde jüngst eine Investitionsoffensive für F & E-Tätigkeiten bei alternativen Antrieben angekündigt. Großzügige Steuererleichterungen und Subventionen bei Kauf und Neuzulassung von E-Fahrzeugen gibt es in China bereits, allerdings entfalten sie noch nicht genügend Momentum, weil die Entscheidung für das Elektrofahrzeug von der Sorge um eine mangelnde Ladeinfrastruktur und zu geringen Reichweiten der Fahrzeuge überlagert wird.In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres konnten im Reich der Mitte knapp 137 000 Fahrzeuge mit Alternativantrieb abgesetzt werden (siehe Grafik). Das bedeutet zwar einen Anteil von weniger als 0,1 % an den rund 15 Millionen Neuzulassungen nach drei Quartalen, aber immerhin eine Verdreifachung im Vergleich zur Vorjahresperiode und Rang 2 hinter den USA beim Verkauf von NEV-Fahrzeugen. Und das Momentum schwillt an. Allein im Oktober hat sich die Produktion von E-Fahrzeugen auf über 50 000 Stück erhöht, heißt es beim Industrieministerium. Hält der Trend an, werden in diesem Jahr über 300 000 chinesische NEV vom Band rollen. Damit sehen auch die bislang noch als sehr ehrgeizig geltenden Pläne der Regierung, den jährlichen Absatz bis 2020 auf 1 Million Elektroautos zu steigern, nun sehr viel realistischer aus. Und es bessern sich die Perspektiven für eine künftige Massenproduktion von NEV, die notwendig ist, um wettbewerbsfähige Modelle zum Kunden zu bringen.Einen entscheidenden Anstoß dürfte eine neue Verordnung bringen, der zufolge chinesische Autohersteller bis zum Jahr 2020 einen Durchschnittsverbrauch für ihre Modellpalette von weniger als 5 Litern Kraftstoff pro 100 Kilometer vorweisen müssen. In einem Markt, in dem der Pkw-Diesel praktisch keine Rolle spielt, sind solche Vorgaben nur zu erreichen, wenn die Hersteller den Anteil von Plug-in-Hybridautos und Batteriefahrzeugen an der Gesamtproduktion deutlich steigern. Ansage von GeelyEinen Fingerzeig für den neuen Trend gab jüngst der nach Great Wall zweitgrößte private chinesische Fahrzeugbauer Geely: Dort will man sich immer stärker auf E-Fahrzeuge konzentrieren. Bis zum Jahr 2020 sollen 90 % der heimischen Verkäufe auf Pkw entfallen, die als NEV bezeichnet werden können. Davon dürften zwei Drittel Plug-in Hybrids und ein Drittel reine Batteriefahrzeuge sein, hieß es bei Geely kürzlich. Das ist eine Ansage, die aufhorchen lässt. Der politische Druck und wachsende Anreize färben anscheinend nicht nur auf die staatlichen Autobauer ab. Damit wird es nicht mehr lange dauern, bis China die USA als größten Umschlagplatz für E-Fahrzeuge ablösen kann.