Chinas digitale Offensive als Konjunkturdynamo
Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinas Wirtschaftsplaner sind von Partei und Regierung darauf eingeschworen worden, das Wirtschaftswachstum im Reich der Mitte stärker auf qualitative denn rein quantitative Faktoren abzustellen. Die Transformation und Modernisierung der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft hin zu einem stärker konsumgeleiteten Wachstum und einer innovationsorientierten Industrie steht ganz im Zeichen eines forcierten Ausbaus der Digitalisierung, und zwar angeführt von einer Reihe von Technologieunternehmen wie Alibaba, Tencent und Baidu, die auch im Weltmaßstab bereits zu den führenden Adressen im Internet- und E-Commerce-Sektor zählen.Mit der rasend schnellen Verbreitung von Big-Data-Anwendungen und künstlicher Intelligenz soll es auch gelingen, traditionelle Industrien auf eine höhere Wertschöpfungsstufe zu bringen. Die Rastlosigkeit der chinesischen Regierung zur Förderung der digitalen Wirtschaft kennt keine Grenzen. Auch zu Jahresbeginn ist wieder ein neues Projekt für einen Technologiepark mit umgerechnet rund 1,8 Mrd. Euro Investitionsaufwand in Peking ausgerufen worden, bei dem vor allem die Zukunftstechnologien rund um die Anwendung von künstlicher Intelligenz im Vordergrund stehen.Der lange Arm des chinesischen Staates beschränkt sich freilich nicht auf die Technologiecluster in den führenden Metropolen Peking, Schanghai und Shenzhen. Das Forcieren von Investitionen für die Internetinfrastruktur in ländlichen Gebieten ist längst eine regional- und sozialpolitische Maxime, um auch strukturschwachen Gebieten auf die Beine zu helfen. Die lange als besonders rückständig geltende Provinz Guizhou etwa ist zum neuen Hotspot für die Ansiedlung von Cloud-Computing-Zentren avanciert. Die Provinz macht mobilIm laufenden chinesischen Fünfjahresplan stehen staatliche Investitionen von 21 Mrd. Dollar für den Aufbau von Hochgeschwindigkeitsinternetleitungen, die 30 Millionen Haushalte und 98 % der chinesischen Dörfer erreichen sollen. Dies wird als wichtige Facette der Armutsbekämpfungskampagne im Reich der Mitte gesehen, um Bauern und ländlichen Betrieben mit Datenkommunikation bei der Optimierung von Ernteerträgen und der Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten über E-Commerce-Kanäle auf die Sprünge zu helfen, was erstaunliche Erfolge zeitigt.Das Zusammenspiel aus privatwirtschaftlichen chinesischen Vorzeigeunternehmen im Technologiesektor und einer auf massive Innovationsförderung ausgerichteten staatlichen Wirtschaftsplanung scheint einen immer wuchtigeren Niederschlag als einer der bestimmenden Wachstumstreiber der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft zu finden. Der Beitrag der digitalen Wirtschaft wurde jüngst in Berechnungen des staatsnahen Thinktanks China Academy of Cyberspace Studies (CACS) für das Jahr 2016 auf umgerechnet 2,8 Bill. Euro beziffert. Er ist damit auf rund 30 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) veranschlagt.Während sich die Wachstumsraten des chinesischen BIP zwischen 6,5 und 7 % eingependelt haben, wird die Expansion in der digitalen Wirtschaft auch in den kommenden Jahren auf über 20 % veranschlagt. In einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) wird entsprechend ein rascher Ausbau des Beitrags der Digitalwirtschaft zum gesamten chinesischen Output prognostiziert (siehe Grafik).Dabei färbt die Digital Economy immer mehr auf die Beschäftigungssituation ab. BCG veranschlagt das Beschäftigungspotenzial auf rund 200 Millionen Arbeitsplätze bis 2020 und eine Verdoppelung bis zum Jahr 2035. Einen ganz entscheidenden Beitrag hat dabei das E-Commerce-Geschäft, das über die Plattformen von Alibaba und Rivalen wie JD.com zig Millionen von Chinesen zu Mini-Einzelhändlern und selbständigen Unternehmern macht.Trumpfkarte für Chinas Digitalwirtschaft ist das Heranwachsen einer konsumfreudigen und extrem technologieaffinen chinesischen Mittelschicht. In einem Inlandsmarkt, der bei rund 750 Millionen Internetnutzern mehr als ein Fünftel der globalen Internetpopulation auf sich vereint, haben die chinesischen Technologieriesen Entfaltungsmöglichkeiten, die in mancherlei Hinsicht auch die USA in den Schatten stellen. Technologische DividendeBei der Frage, wie sich die laufende Dynamik fortschreiben lässt, stößt man auf Hemmfaktoren. Die Ausdehnung der Internetpopulation kommt naturgemäß an ihre Grenzen. Zuletzt war das Wachstum der Internetnutzer geringer als die Wachstumsrate des BIP. China verliert seine demografische Dividende im Internetsektor, so dass weitere wirtschaftliche Impulse eher aus einer technologischen Dividende heraus erzielt werden müssen, wie etwa der Gründer und Chef von Baidu, Robin Li, betont. Die Anwendung von künstlicher Intelligenz und weitere Avancen bei Big-Data-Anwendungen werden die treibende Rolle übernehmen. Bei dem Tempo, das China hier vorgibt, rechnen Experten damit, dass allein das Zukunftsfeld künstliche Intelligenz in den nächsten Jahren 0,8 bis 1,4 Prozentpunkte zu Chinas BIP-Plus beitragen wird.